Samstag, 2. August 2025

Faule Säcke!

 
Es ist immer wieder herzig, wenn CDU und CSU offenkundig nicht bemerken oder bemerken wollen, wie ihr patriarchales Familienbild ein ums andere Mal frontal kollidiert mit den Realitäten einer spätkapitalistischen Gesellschaft. Wenn wieder irgendwo die Forderung erhoben wird, wir müssten alle gefälligst mehr und länger arbeiten und später in Rente gehen, dann sollte man sich klar machen, dass, erstens, gar nicht alle in der Lage sind, mehr und länger zu arbeiten, und dass, zweitens, die Forderung nur Sinn ergibt, wenn man noch einen Nebensatz dran hängt. Er lautet: "... weil wir nichts an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändern wollen."

Hierzu bekommen wir seit Wochen das Märchen von Faulenzerparadies Deutschland aufgetischt. Nirgends sonst werde so wenig und so kurz gearbeitet und hätte man so viel frei wie hier, heißt es. Sogar die Griechen, die uns 2014 noch als arbeitsscheue Schuldenmacher und Pleitegeier vor die Nase gehalten wurden, seien fleißiger,heißt es. Um den drohenden Kollaps der Sozialversicherungen abzuenden, hülfe nur: Alle müssen mehr arbeiten. 

Der Punkt ist nur: Deutsche Arbeitnehmer:innen arbeiten im europäischen Vergleich nicht wenig, sondern eher durchschnittlich viele Stunden. Wobei die Dunkelziffer an nicht erfassten Überstunden noch nicht berücksichtigt ist. Na schön, könnte man sagen, es mag ja sein, dass die Deutschen gar nicht mal sooo wenig arbeiten, aber wie ist es mit der Lebensarbeitszeit? Weil in Deutschland alle mit 63 in Rente gehen und faulenzen wollen. Auch das kann angezweifelt werden. Die durchschnittliche Lebensarbeitszeit in Deutschland liegt nur knapp unter dem EU-Schnitt.

Interessant ist allerdings, dass in Deutschland eine der höchsten Unterbeschäftigungsquoten (die im Gegensatz zur Arbeitslosenquote kaum in den Nachrichten erscheint -- honi soit qui mal y pense) und eine der höchsten Teilzeitquoten Europas herrschen. Von Unterbeschäftigung redet man, wenn Menschen gern mehr arbeiten würden, gern auch Vollzeit, dies aber aus Gründen nicht können, in der Regel aufgrund familiärer Verpflichtungen. Und wo weniger gearbeitet wird, fließen auch weniger Einnahmen an die Sozialversicherungen. 

Anders als in anderen Ländern gibt es in Deutschland, vor allem in Westdeutschland, kein flächendeckendes Betreuungssystem für Kinder von 0-3 Jahren und die Pflege pflegebedürftiger Angehöriger findet oft zu Hause statt. Gestemmt werden diese Leistungen fast immer von Frauen. die dann deswegen, oft wider Willen, meist nur Teilzeit arbeiten können. Man kann sagen: Die CDU, die mit einer kurzen Unterbrechung seit 1982 den Kanzler stellt, hat diese volkswirtschaftlichen Aufgaben privatisiert und sie statt dessen unter einem Rubrum wie 'Familienförderung' halt ein wenig bezuschusst. 

Angela Merkel, das linksradikale Ost-U-Boot im Kanzleramt, wusste natürlich um die Wichtigkeit einer allgemeinen Kita-Versorgung unter 3 Jahren und deren Bedeutung für die Erwerbstätigkeit von Frauen. Und so wurde unter ihrer Kanzlerinnenschaft ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder von 0-3 Jahren gesetzlich verankert. Und weil die Union halt die Union ist, wurde dieser Rechtsanspruch sofort wieder aufgeweicht mit dem fast zeitgleich eingeführten Betreuungsgeld, das zu recht als 'Herdprämie' bezeichnet wird, weil es Eltern dazu motiviert, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz unter 3 Jahren eben nicht in Anspruch zu nehmen.

Erfreulich ist es und nur recht und billig, dass in den letzten Jahren Pflegeberufe auch in puncto Verdienst aufgewertet wurden und es ist schön, dass sich endlich die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, dass Erzieherinnen keine bloßen Kinderaufpasserinnen sind, die außer Klötzchen legen und Märchen vorlesen nicht viel können brauchen und die man daher mit Minilöhnen abspeisen kann. Die Kehrseite ist nur, dass besser qualifiziertes und besser bezahltes Personal in Kinderbetreuung und Pflege das Einnahmenproblem der Sozialkassen weiter erhöht. Denn dass die Sozialkassen eines haben, ist ja unstrittig. In welchem Maße wir es aber mit einer ideologisch aufgeladenen Debatte zu tun haben, zeigt die Tatsache, dass andere Lösungsansätze als mehr und immer mehr arbeiten, die es durchaus gibt, gar nicht erst diskutiert werden.

  • Man will nicht von oben nach unten umverteilen, also z.B. Beitragsbemessungsgrenzen erhöhen oder Möglichkeiten für Spitzenverdiener einschränken, sich aus den Sozialversicherungen auszuklinken.
  • Man will keine größeren Mehrinvestitionen in Bereichen wie Kinderbetreuung und Altenpflege vornehmen, durch die mehr Frauen in die Position kämen, mehr und länger zu arbeiten. 
  • Die Regelung, dass Minijobs auf Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreit werden können, steht, wie es aussieht, ebenfalls nicht zur Diskussion.
  • Dass Einkünfte aus Erwerbsarbeit im Gegensatz zu Kapitaleinkünften deutlich mehr mit Abgaben belastet sind, kommt ebenfalls gar nicht erst zur Sprache.
  • Von Arbeits- und Sozialministerin Bas' Idee, auch Beamte in die Rentenversicherung zu integrieren, ist so gar nichts mehr zu hören.
  • Und schließlich: Migration, die dieses Problem zumindest abmildern könnte, will man, wenn überhaupt, nur unter strengen Auflagen. Weil alles andere nur der AfD hülfe. Am genehmsten wären fertig Ausgebildete mit Sprachniveau C1, die nach 20 Jahren Arbeit wieder gehen und nicht wagen, hier noch Rente zu kassieren. Nicht eben ein Massenpublikum, will mir scheinen.

Und weil das alles Geld kosten, Arbeit machen und, schlimmer noch, das Bild von der heilen Kernfamilie stören würde, wo Vollzeitvati und allenfalls Zuverdienerinnenmutti sich in trautem adenauerschen Kernfamilienglück asymmetrisch um die Kinder kümmern, ist es natürlich viel bequemer, denen, die jetzt bereits Vollzeit arbeiten (plus eine nicht messbare Dunkelziffer von unbezahlten Überstunden), zu sagen, sie sollen gefälligst nicht so faule Säcke sein. 






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