Donnerstag, 18. Dezember 2025

Zum Bund?


Natürlich ist dem Kollegen Sasse recht zu geben, wenn er sagt, Schulen würden mit Gründen den Teufel tun, Kindern und Jugendlichen frei zu geben, um gegen die Wehrpflicht zu demonstrieren und auch keine elterlichen Entschuldigungen deswegen zu akzeptieren. Natürlich kann man einwenden, es gönge schließlich um ein ehrenwertes, edles Ziel. Aber das nehmen im Zweifel alle für sich in Anspruch. Was, wenn irgendwo eine Mehrheit der Schüler:innenschaft einer Schule gegen 'unkontrollierte Massenmigration' demonstrieren will und dafür frei haben will? 

Zum Thema Wehrpflicht habe ich mich bislang eher zurückgehalten, weil ich damals nicht dabei war und verweigert habe. Es ging mir gar nicht so sehr um Pazifismus, sondern eher pragmatisch um die Frage nach dem Sinn. In den Achtzigern schien klar: Wenn es ernst werden würde, dann ginge es um eine Konfrontation der beiden großen Blöcke und es würde bald auch atomar werden. Was würde dann nach kurzer Zeit noch übrig sein vom Vaterland, das zu verteidigen lohnte? Eine strahlende Wüste? Mir erschien es daher sinnvoller, im Krankenhaus anzupacken, statt mit den Drillichbrüdern Teile der Lüneburger Heide zu verwüsten. Defätismus? Die Bundeswehr hatte damals, trotz stetig steigender Verweigerungsquote, kaum Personalprobleme. 

Ich jedenfalls habe meinen Teil getan und dem Gemeinwesen 20 Monate meiner Lebenszeit und Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt. Ich bin raus. Dass das zu einer Zeit passierte, in der die Möglichkeit, dass es wirklich ernst werden könnte, eher eine theoretische war, nun das war wohl Glück. 

Die Jugoslawienkriege der Neunziger haben mich dann zu einem nicht einfachen Umdenken gebracht. Ich musste erkennen: Es kann ein Punkt kommen, an dem gegen Akteure wie Milosević und seine Spießgesellen, die die UNO am Nasenring durch die Arena schleiften, weder Verhandlungen noch Appelle an Vernunft und Menschlichkeit mehr halfen, sondern nur noch Gewalt. Für so was hielt ich eine vergleichsweise kleine, professionelle Interventionsarmee für ausreichend. So wie die französischen und britischen Streitkräfte minus Flugzeugträger und Atomwaffen. Seit Februar 2022 hat sich das geändert. Seitdem ist allgemein bekannt, was von russischen 'Sicherheitsgarantien' zu halten ist.

"Wenn irgendwo zwischen zwei Mächten ein noch so harmlos aussehender Pakt geschlossen wird, muß man sich sofort fragen, wer hier umgebracht werden soll." (Otto von Bismarck)

Vorerst sollen keine ganzen Jahrgänge eingezogen werden, sondern erst einmal nur alle jungen Männer gemustert werden und junge Frauen sich weiterhin freiwillig mustern lassen können. Es geht darum, die momentan ausschließlich aus Freiwilligen bestehende Bundeswehr um gut 80.000 Personen aufzustocken, was knapp 0,01 Prozent der Bevölkerung entspräche. Das bedeutet keineswegs, dass man dabei ist, das Land komplett zu militarisieren und eine Armee aufzubauen, die bis bis Moskau durchrollen könnte. (Fun fact: Im Kalten Krieg hatten Bundeswehr und NVA zusammen etwa 700.000 Mann unter Waffen). Es geht um eine überzeugende militärische Abschreckung, die die Bundeswehr in ihrem momentanen Zustand, auch im Verbund mit den NATO-Partnern, nicht wirklich darstellt. 

Das alles ist weit entfernt von Schreckensszenarien, in denen junge Menschen wie bei 'Im Westen nichts Neues', aufgehetzt von militaristischen, nationalbesoffenen Lehrern, massenhaft von der Schulbank weg rekrutiert und ein paar Wochen später als Kanonenfutter an die Front geschickt wurden, wo dann unter dem Kommando inkompetenter, ruhm- und ordenssüchtiger Generäle vom Feind Hackfleisch aus ihnen gemacht wurde. 

Übrigens ist es auch Quatsch, militärische Ausbildung gleichzusetzen mit Drill, sadistischer Entmenschlichung und Demütigung. Militärische Ausbildung bedeutet im Kern, Menschen gezielt an ihre Grenzen zu bringen, damit sie in Extremsituationen, in denen sie normalerweise durchdrehen, den Verstand und/oder die Nerven verlieren würden, noch funktionieren. Vieles von dem, das für Außenstehende wie pure Schikane wirkt, hat durchaus seinen Sinn und kann im Ernstfall Menschenleben schützen. Und dass Soldaten mitnichten durch die Bank faschistoide Uniformfetischisten mit latentem Hang zu S/M sind -- auch das musste ich erst lernen.



Daher kann ich das teils hysterische Gewese, das um die Reaktivierung dieses Spar-Wehrdienstes gemacht wird (die Wehrpflicht wurde nicht abgeschafft, lediglich ausgesetzt), nicht wirklich nachvollziehen. Was soll das? Es wird niemand gezwungen werden, und das ist gut so. Zumal das Beispiel Ukraine zeigt, dass es auch im Kriegsfall keineswegs nötig sein muss, ganze Generationen in Uniformen zu pressen. 

Nach wie vor gilt Art. 4 Abs. 3 GG. Es handelt sich um ein Grundrecht. Es dürfte also nach wie vor vollauf genügen, mit dem Einberufungsbescheid (nicht früher!), so man überhaupt jemals einen bekommt, seinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung einzureichen. Das Verfahren war zuletzt weit weniger aufwändig als noch zu meiner Zeit, da die schriftliche Begründung weggefallen war. Mir war schon -- Gnade der späten Geburt --  diese mündliche Anhörung erspart geblieben.

Hinzu kommt, dass allen Wehrdienstverweigerern wieder die Möglichkeit eines Ersatzdienstes angeboten werden müsste. Die entsprechende Infrastruktur, angefangen beim Bundesamt für den Zivildienst, müsste teuer und aufwändig wieder aufgebaut werden. Es ist nicht bekannt, dass da irgendetwas in der Pipeline ist. Klar, man kann die Ressourcen nutzen, mit denen das FSJ gestemmt wird. Ob es aber vor Verwaltungsgerichten Bestand haben würde, nur einen kleinen Teil prinzipiell Wehrwilliger einzuberufen, alle Verweigerer hingegen zum Zivildienst zu nötigen, ist noch die Frage. Und inwieweit eine diesbezügliche Ungleichbehandlung von Frauen und Männern nach aktuellem Rechtsverständnis rechtens ist, wird vermutlich eh Karlsruhe zu entscheiden haben.

Und ich so? Würde ich heute, mit dem Background von damals, zum Bund gehen oder wieder verweigern? Ehrlich, ich kann es nicht sagen. Erstens weil die Rahmenbedingungen damals andere waren als heute. So saßen, als ich an der Reihe war, in Chefetagen und Amtsstuben immer noch etliche alte Preußen herum, die Zivis für Feiglinge und Drückeberger hielten, die ein Problem mit Gehorsam haben. Das bewog einige, die Karriere machen wollten, auch gegen ihre Überzeugungen zu Bund zu gehen. Später wurde verweigern dann immer mehr Mainstream. Zweitens weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, wie schnell Überzeugungen sich wandeln können. 

Mit 16 sah ich mich noch ziemlich sicher beim Militär, danach setzte ein Denkprozess ein, der letztlich beim Verweigern endete. Wie schnell sich auf ewig zementiert scheinende politische Verhältnisse wandeln können, erfuhr ich dann kurz darauf, 1989. Auf die Idee, für eine Demoteilnahme Dispens von der Schule bekommen zu wollen, wären wir als Schüler aber im Leben nicht gekommen. Den Tadel hätten wir getragen wie ein Ehrenzeichen. 








1 Kommentar :

  1. Meine Gründe für den Zivildienst waren noch viel pragmatischer: Zuhause wohnen bleiben, Freundin, Freundeskreis, Stammkneipe, keine Kaserne, keine Kurzhaarfrisur, kein Gleichschritt, Fernsehen und Musik, so lang ich will usw.

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