Freitag, 23. Februar 2018

Jenseits der Blogroll - 02/2018


Wie immer zu Beginn der letzten Woche des Monats eine Sammlung dessen, was mir seit dem letzten Mal Interessantes, Überraschendes und Bedenkenswertes begegnet ist. Viel Spaß.

Wie sieht eigentlich Armut aus? Nach immer noch gängiger Auffassung tragen Arme zerfledderte Klamotten, leben unter der Brücke, decken sich mit der Zeitung zu und sind überhaupt selber schuld, weil es das bei uns ja gar nicht geben kann wegen unserem supertollen Sozialstaat. Elfriede Hammerl hat einmal durchgespielt, wie Armut inmitten wohlsituierter Mittelschichtmenschen aussieht und wie sie sich auswirkt. Nota bene: Frau Hammerl ist Österreicherin, dort gibt es noch keine 'Agenda 2010'. Etwas in der Art soll es aber bald geben dort, wenns nach den Schwarzblauen geht.

Zum Glück bin ich noch keine 50. Aber fast. Und ich bin Akademiker. (Tusch!) Nicht mehr lange, und ich bin ein 50-jähriger Akademiker. Und damit jemand, dem man nach Ansicht cooler, durchblickender Digital Natives gar nicht erst versuchen braucht, 'das Internet' zu erklären. Aber noch ist es ja nicht so weit. *Martenstein-Modus an* Mir will es ja zum Beispiel nicht in den Kopf, wieso etwa das pseudowissenschaftliche Geraune des Wannabe-seriösen Wissenschaftlers Daniele Ganser allein deswegen total relevant sein soll, bloß weil 'das Netz' voll ist davon. *Martenstein-Modus aus*

Wirtschaftsteil. Kapitalismus bizarr: Im Bombardier-Werk in Görlitz glaubte man, das große Los gezogen zu haben, als man einen milliardenschweren Auftrag der Schweizerischen Bundesbahnen an Land zog (den größten, den die SBB jemals vergeben hatte). Sollte man meinen. So was kann sich aber auch leicht ins Gegenteil verkehren. Dem Werk könnte trotz der rosig scheinenden Auftragslage tatsächlich das Aus drohen. Eine Geschichte, die "zeigt, was passiert, wenn staatliche Bahnen und ihre Aufseher nicht wissen, wie sie mit dem aufkommenden Wettbewerb umgehen sollen."

Abteilung: Was man irgendwie schon immer geahnt hatte, aber noch eines Beweises bedurfte. Es ist nicht zu fassen. Auf der Ficki-wisch-und-weg-Plattform Tinder haben Männer, die gängigen Anforderungen an Hotness entsprechen, deutlich bessere Chancen auf sexuellen Erfolg. Nicht zu fassen! Was finden die bloß als nächstes raus? Dass es dunkel wird, wenn man nachts das Licht ausknipst? Gut, ich als fast 50-jähriger Akademiker hatte ja immer gedacht, es gönge bei diesem Dating-Firlefanz um innere Werte und so und...

Abteilung: Was man irgendwie immer geahnt hatte, aber noch eines Beweises bedurfte (2). War mir ja schon vor ein paar Jahren aufgefallen. Werden die Kommentarspalten diverser Online-Medien bei entsprechenden Themen immer sehr schnell von Rechten geradezu geflutet (die mehrheitlich mit reichlich Tagesfreizeit ausgestattet zu sein scheinen), so scheinen diese Gestalten im realen Leben deutlich dünner gesät zu sein. Verdacht: Da steckt irgendwie Methode hinter. Bestätigt.

Apropos Trolle: Maxim Biller über den Wert der "polemisch-intellektuellen Übertreibung" und den wichtigen Unterschied zwischen Hass, Polemik und einfach mal Pöbeln.

Don Alphonso ist... kontrovers. Nicht selten wirkt er schwer erträglich selbstverliebt. Auch sein dauerndes Spiel mit der Frage, wie viel von ihm nun Kunstfigur ist, macht die Lektüre manchmal arg anstrengend. Aber eben auch nur selten langweilig. Und er kann nun einmal verteufelt gut schreiben. Sein Stück über die schleichende Zwangsdigitalisierung des Alltags ist so ein Ding, das man als Schreiberling selbst gern mal hinbekommen würde.

Zu ernsteren Themen: In Polen wurde jüngst ein Gesetz verabschiedet, das es unter Strafe stellt, die auf heutigem polnischen Territorium liegenden NS-Vernichtungslager als 'polnische Lager' zu bezeichnen. Blogger- und Historikerkollege Stefan Sasse klärt gewohnt kenntnisreich und unaufgeregt über die Hintergründe auf. Erhellend.

Apropos: Kann man eigentlich Antisemit sein, wo man doch bloß kapitalismuskritisch ist, aber gar nichts gegen Juden hat? Jup, kann man, meint Marina Weisband. Vertiefendes gibt es bei Thomas Schmidinger nachzulesen.

Abteilung Humor. "Ist es nicht immer wieder erstaunlich, mit welchem Weihrauch im Ton Journalisten das Ausfüllenkönnen von Bewirtungsquittungen schon für Schreiben ausgeben?", fragte Wiglaf Droste einst rhetorisch. Aber auch bei der Recherche scheint zuweilen die eine oder andere Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung zu klaffen. Zum Beweis lässt der Email-Verkehr, den die Rechercheweltmeister vom Springerblatt mit Informant 'Juri' hatten, sich bei der 'Titanic' herunterladen.

Abteilung Kulinarik. Winterzeit ist Curry-Zeit. Pikantscharfes Geschmortes mit massig Gewürzen, die in unseren Breiten nur im Glühwein, in Lebkuchen oder Spekulatius landen, vermag einen bei klirrender Kälte wunderbar von innen zu wärmen. Von der auch sonst empfehlenswerden Hari Ghotra stammt mein Lieblingsrezept für Lamb Madras. (Keine Sorge wegen der vielen Gewürze, die sind im Asia-Shop für kleines Geld zu kriegen.) Überhaupt ist indische Küche perfekt für unsere Zeit, weil man auf dem Subkontinent schon seit jeher mit diversen Nahrungstabus und -no-gos ganz prima klarkommt und niemand ein großes Fass aufmacht deswegen. 




4 Kommentare :

  1. "Männer, die gängigen Anforderungen an Hotness entsprechen..."

    Dagegen spricht, daß die zu ihrer Zeit angesagten Typen alle kulturell ausgestorben sind.
    In der Steinzeit waren der Jäger und Krieger angesagt, im Mittelalter der Krieger und Großbauer, im aufkommenden Bürgertum der Besitzende, bis heute.
    Letzterer zeigt bereits Risse in seiner Überlegenheitserzählung, bereits ad acta gelegt sind der Krieger und der harte Typ, der die Frauen mit Dominanzverhalten beeindruckt.

    To be continued...

    Survival of the fittest, statt
    survival of the hottest.

    AntwortenLöschen
  2. "Gut, ich als fast 50-jähriger Akademiker hatte ja immer gedacht, es gönge bei diesem Dating-Firlefanz um innere Werte und so und..."
    Ich weiss ja nicht, wie das bei der Familie Veilchen gewesen ist, aber für mich wirkt das eher, wie ein Vielfaches der gelebten Vergangenheit.

    Sofern mir bekannt (etwas jünger als der Autor, obgleich nicht viel...), waren zwecks Besamungsritualen Akademiker und Proletarier nicht auffällig auseinander gedriftet. Wie der Proletarier auch, hat sich der Akademiker Mikes Prollbike ausgeliehen und ist in die Stadt zu Uschis Ballerbude gebrettert, weil da eben die scharfe Sabine (mit dem süssen Schmollmund und den Mörderhupen) rumsprang und man so, auf billige Weise, schon mal vor dem Eigang Eindruck schinden konnte.

    Freilich war auch der Akademiker nicht so blöd und hat sofort ein Gespräch über die neusten Aufsätze von Ardorno mit ihr gesucht, sondern erst mal geschaut, wie man mittels Komplimenten, Nichtigkeiten und ggf. dem ein oder anderen additiven Cocktail die Gute schnell in die Horizontale befördern kann - übrigens ein Konzept, was auch dem Proletarier nicht fremd war, was den Schluss zulässt, dass der Homo in vielen Situationen eben nicht ganz sapiens ist.

    Aufrgund der schieren Anzah der Besamungsanwärter (sowohl akademisch, wie auch proletarisch) entsprang allerdings nicht selten das gelebte nahlesianische Oppositionskonzept (erfolgreiche, soziale Kontakte durch Schläge in die Fresse), da mit der hässlichen Hilde, die zwar super dichten konnte und auch in anderen Künsten brillierte (nicht zu vergessen: Die tolle Kolumne in der Schülerzeitung) weder Akademiker noch Proletarier wollten.
    Da lag es nahe, die Nachteile der nötigen Aktionen zu eliminieren und die Vorteile effizient zu konzipieren und so erfanden die pickligen Jungs von der IT das Datingportal.
    Gemäß dem Prinzip: "Wot ju klick is wot ju fick!" dürfen sich hier mögliche Geschlechtspartner (allerdings nicht ganz zwanglos) für Besamungsrituale verabreden.

    Das Konzept der inneren Werte ist indes beileibe kein Akademisches, sondern ein streng Religöses. Es entstammt noch den Zeiten, als die bucklige Verwandschaft (sowie der Landvogt) noch über Braut und Bräutigam entscheiden durfte, um das Schlimmste zu vermeiden.
    Neudeutsch würde man dazu auch sagen: "Es ist ja nicht alles schlecht!"

    --

    Studien, die deutschlandweit Hasskomentare im Internet auswerten, halte ich für wenig repräsentativ. Man kann ja auch (je nach erlernten Sprachen) auf die der Welt (damit ist nicht die Gazette gemeint) schauen. Da befindet sich Deutschland dann bestenfalls im Mittelfeld. Nicht etwa bei den so vie gescholtenen Russen, sondern gerade bei den Amerikanern ist ein "Kopfschuss" nicht nur probates Mittel gegen das Schülermobbing in der Highschool.
    Viel schlimmer indes finde ich da die Kommentare im realen Leben. Es ist mittlerweile egal, ob Du nun in Sachsen, Westfalen, Niedersachen oder Bayern in die Kneipe gehst. Dem gemeinen Flüchtlingsbashing entkommst Du nur, wenn Du das Thema erfolgreich auf den Fussball lenken kannst.
    Das bestärkt meine These: Wo viele Menschen zusammen kommen, verwandelt sich selbst die schönste Idylle in eine braune Kloake (ganz unabhängig von Standpunkten, Meinungen oder Gesinnungen der angeblichen Individuen oder der bedauerlichen Einzelschicksale).





    AntwortenLöschen
  3. Es ist wirklich nicht neu, das Artikel von Rechten regelrecht zugemüllt werden, die irgendwie Reizworte und -themen enthalten, auf die sie in pawlowscher Manier anspringen. Das es sich dabei oft nur um Wenige und ziemlich sicher auch Mehrfach-Accounts handeln dürfte, ist nahezu ebenso klar. Das fällt oft schon an der Syntax auf oder wenn sich vermeintlich verschiedene User "zufällig" die Bälle zuspielen, um beliebige Themen permanent nach vorne zu bringen und dabei gleich noch ein bisschen Stimmung in ihrem Sinne zu produzieren.
    Das ist schlicht System und fällt mit den Methoden ihrer Vorbilder zusammen; Ständiges Wiederholen, Phrasen, diffuser Wortmüll und Anspielungen mit mehr oder weniger Anlehnen an den Duktus des Dritten Reichs inklusive desselben Geschwurbels gegen alles Nichtdeutsche und dabei speziell gegen Juden und Muslime sowie das übliche Gesabber gegen linksgrünrotgutmenschwasweissich...

    Auch der Rest der Links wie meist mehr als lesenswert, bis auf Stefan Sasse zu Polen bin ich durch;-)

    Danke für´s Geräusch!

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.