Samstag, 19. Januar 2019

Ohne Seife


2005 machte Harald Schmidt den Begriff 'Unterschichtenfernsehen' populär. Hier lag der große Entertainer mal falsch, denn eigentlich hätte es Mittelschichtsfernsehen heißen müssen. Die diversen Trash-Formate, die mit den Terminus vom Unterschichtenfernsehen gemeint waren, richten sich nach meinem Dafürhalten nämlich weniger an die so genannte Unterschicht, sondern primär an die Mittelschicht. Die soll sich das wohligen Schauers ansehen, sich dabei selbstzufrieden über den Lullu streichen und sich trösten: Tss, tss, tss, da sieht man‘s mal. Zustände wie im alten Rom! Jaja, das kommt davon, wenn man sich morgens nicht aus dem Bett wuchtet zwecks HarterarbeitTM. Wie gut, dass unsereins da gaaanz anders ist!

Hat übrigens auch in absatzwirtschaftlicher Hinsicht eine Logik. Gehören doch diejenigen, die nicht wissen, wie sie mit ihren paar, in Drecksjobs errackerten oder gnädigerweise vom Jobcenter überwiesenen Kröten über den Monat kommen sollen, mangels Kaufkraft eher nicht zu den so genannten werberelevanten Zielgruppen. Keine Arme, keine Kekse.

Ähnlich verhält es sich mit dem Werbespot des Pflegeprodukteherstellers Gillette, der vorletzte Woche viral gegangen ist, wie wir Internet-Profis zu sagen pflegen. Aus dem lässt sich, wie sich inzwischen auf der halben Welt herumgesprochen haben dürfte, mit einiger Mühe die alte vulgärfeministische Leier ableiten, dass der Mann an sich und in überwiegender Mehrzahl ein zivilisierungsbedürftiges, halbwildes Urviech sei. Das Motto des Spots: Wir von Gillette helfen mit, das haarige Machomonster zu zähmen und machen die Welt so zu einem besseren Ort.

Nun ja, dem obsessiven Virilitätsgehuber des amerikanischen Klingen-Multis wurde bereits Anfang der Neunziger vom Comiczeicher Wolfgang Sperzel komplett und letztgültig die Luft herausgelassen. Der parodierte einst ein Plakat, auf dem zwei rektal kopulierende Jungmänner zu sehen sind, versehen mit der Bildunterschrift: "Wienett - für das Feste im Mann". Damit war das Thema für unsereins damals durch. Es ist kein leichtes Geschäft, sich frühmorgens nass zu rasieren, wenn man beim Anblick seines Rasiergerätes andauernd kichern muss. Wer überdies immer noch auf die Hightech-Versprechungen des Ladens hereinfällt und sich mittels sauteuer nachzukaufender xfach-Klingen ruinieren lässt, dem ist eh nicht zu helfen.

Auf die Idee aber, dass die weit wichtigere Zielgruppe des Werbefilmchens gar nicht Männer sind, sondern vielmehr Frauen, scheint indes kaum jemand zu kommen. Hat auch in absatzwirtschaftlicher Hinsicht eine Logik. Inzwischen treffen Frauen nämlich 80 Prozent der Konsumentscheidungen und kaufen oder schenken daher auch ihren Männern und Lebenspartnern mit hoher Wahrscheinlichkeit das Rasierzeug. Zumal Gillette längst auch sehr aktiv ist im Felde weiblicher Körperenthaarung. Da kann so ein bisschen feministisch angehauchte PR in einer scheinbaren Männerdomäne doch nur nützlich sein.

Und daher wird diesem Anbieter auch das komplett maßlose Gejammer der in ihrer Ehre gekränkten Mannesmänner komplett am sauber enthaarten Arsch vorbeigehen. Man verstehe mich nicht falsch: Man kann das im Werbespot angeblich transportierte, nicht unproblematische Männerbild weiß Gott kritisch diskutieren. Allein, was soll's? Das macht triebgestaute Maskulisten, die es nötig haben, andauernd ihre atavistische Männlichkeit demonstrieren zu müssen, ebensowenig zu einem akzeptablen Umfeld für mich wie kleingeistige misandrische Megären, die am liebsten alle Männer in die Tonne treten würden. (Und sich schon kurz nach der Entsorgung fragen würden, wer denn jetzt die gefährlichen, körperlich harten und dreckigen Jobs macht. Wird man wohl Frauenquoten einführen müssen.)

Wenn man mag, kann man den Spot auch anders lesen, nämlich als Aufruf, "[…] bewusster miteinander umzugehen und die Grenzen anderer Menschen respektieren zu lernen. Man plädiert dafür, dass Gewalt im alltäglichen Umgang kein Mittel der Problemlösung darstellen soll, dass Frauen denselben Respekt wie Männer verdienen und es nicht mit einem »Jungs sind eben Jungs« zu rechtfertigen ist, wenn Buben andere Kinder mobben oder verprügeln." (Konrad Müller) Was daran so falsch sein soll, erschließt sich mir nicht. Entgegen einem verbreiteten Missverständnis leiden unter übergriffigen Machos und Bullys ja nicht nur Frauen, sondern auch eine Menge Männer.

Was nervt, ist diese spottbillige Gratis-Heldenpose. Nie war es so einfach (und so folgenlos) wie heute, sich zum Widerstandskämpfer zu stilisieren. Verbreitet ist die Meinung, eine zeitweise Kaufverweigerung mache einen bereits zu einem. Nur ist es ziemlich dämlich, alles und jedes, das einem irgendwie quer kommt (meistens weil man zu doof ist, das zu verstehen), reflexhaft mit Boykottaufrufen zu belegen. Weil es wiederum arg gaga ist zu glauben, etwas bleiben zu lassen, i.e. etwas nicht zu kaufen, sei nur ansatzweise ein Ersatz dafür, seinen Hintern hochzukriegen und wirklich was zu tun. Das funktioniert vielleicht auf lokaler Ebene, bei Restaurants oder kleinen Einzelunternehmern in Kleinstädten, bei mehr oder minder global agierenden Konzernen ist das in der Regel sinnlos. Ich wette, in den Social Media-Abteilungen ist inzwischen immer ein großes Hallo, wenn irgendwo wieder einmal ein paar unterbelichtete Brüllaffen "Boykott!" quaken und es werden Strichlisten geführt.

Wer den Werbespot des Klingenkönigs unpassend findet, möge halt die Konsequenzen ziehen und gut. Mache es wie ich und lasse sich einen Bart stehen oder mache es wie Kollege Kurbjuhn und rasiere sich fürderhin mit traditioneller Qualitätsware (deren höherer Anschaffungspreis durch die Einsparungen beim Nachkaufen von Klingen schnell wieder ausgeglichen ist). Aber mache bitte nicht so einen hysterischen wie unnützen Lärm darum. Das ist nicht nur peinlich, sondern auch unmännlich. Denn Männlichkeit hat auch etwas mit Souveränität zu tun sowie damit, den Zumutungen des Lebens mit einer gewissen Würde zu begegnen.

Zumal das im Übrigen auch erfolgversprechender wäre. Abgesehen davon, dass Männer vermutlich gar nicht die Zielgruppe sind, ist eine stillschweigende Abkehr vieler für einen Hersteller weit schwieriger zu handhaben als die fünfzigtausendste geräuschvolle Online-Kampagne mit höchstens zweiwöchiger Halbwertszeit. Gillette aber hat ein Musterbeispiel funktionierenden Marketings abgeliefert und alles richtig gemacht. Seit der Veröffentlichung ist der Kurs der Aktie der Firma Procter & Gamble, zu der Gillette gehört, um ein Prozent gestiegen.




5 Kommentare :

  1. Zoelibart ist die Loesung!

    https://jakebaby.wordpress.com/2019/01/20/273/

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  2. "Am Ende schwappt die Empörung aus der rechten Blase und die Werbung wird breit diskutiert. Die empörten Rechten, die aus allen Kanonen feuern, werden so zu nützlichen Idioten, die eine Werbekampagne völlig kostenlos in Gang bringen."

    https://netzpolitik.org/2019/wie-unternehmen-die-rechte-empoerungsmaschinerie-geschickt-fuer-werbung-nutzen/

    Köstlich!

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  3. jake..: Nimm das...........

    Gillette, für das Beste am Mann!

    https://tinyurl.com/yco6eg5k

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  4. Lechts, Rinks, Mitte … Am Ende springen sie (und wir) alle über's Stöckchen bzw. die Klinge, insofern ist die Kampagne natürlich ein voller Erfolg.

    P.S. Schnelle Nachhilfe für alle Kommentatoren, die nicht wissen, wie man eine Seite verlinkt. Nieder mit der toxischen Copy+Paste-Kultur!

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