Sonntag, 6. Januar 2019

Schmähkritik des Tages (24)


Heute: Christian Baron über moderne Erwerbsarbeit

"Früher musste man die Menschen in die Fabriken hineinknüppeln. Heute muss man sie aus den Betrieben und Büros herausprügeln. So sehr haben sie ihre abhängige Erwerbsarbeit als sinnstiftend, unabdingbar und naturnotwendig akzeptiert. Viele Umfragen zeigen: Selbst wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, würden die meisten einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen. Vordergründig ist also kein Zwang mehr notwendig, damit die Leute große Teile ihrer Lebenszeit einem Unternehmen übereignen.

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit war das noch anders. Wer Menschen für sich arbeiten lassen wollte, brauchte rohe Gewalt. Vor ein paar hundert Jahren erfolgte die Trennung von Produzenten und Produktionsmitteln, und es entstand der Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital. [...]

Würden die Arbeitenden ihren Job wirklich so sehr lieben, wie es beim Smalltalk oft den Eindruck erweckt, dann wäre Erwerbsarbeit so erfüllend, wie es in Unternehmenswerbespots wirkt, und so ermächtigend, wie es die alten Lieder der Arbeiterbewegung behaupten. Wer aber an einem Freitagmorgen das Radio einschaltet, den müssen die Moderatoren erst einmal motivieren: »Haltet durch. Nur noch ein Tag, dann ist endlich Wochenende!« […] Psychologen berichten seit Langem von Sonntagsdepressionen. Manche Leute können sich demnach an diesem Tag nicht entspannen, weil sie ständig daran denken müssen, dass ab morgen wieder eine neue, womöglich anstrengende Arbeitswoche bevorsteht.

Offenbar ist da also auch heute noch eine Art von Zwang im Spiel. Erwerbsarbeit steht im Mittelpunkt einer jeden kapitalistischen Gesellschaft. Wer bei einer Party auftaucht, wird von Unbekannten in aller Regel neben dem Namen zuerst nach seinem Beruf gefragt. Sollte dann auch noch jemand offenbaren, aus Überzeugung in Teilzeit zu arbeiten, dann erhält er oft eine Frage zur Antwort: »Was machst du denn dann mit der ganzen Zeit?« Auf Geld zu verzichten, um Lebenszeit zu gewinnen, das erscheint den meisten unverständlich, weil Erwerbsarbeit und Leben für die Mehrheit identisch geworden sind." (Der Freitag, Nr. 51/2018)


Anmerkung: Morgen geht für viele abhängig Beschäftigte wieder die Erwerbsarbeit los. Viele Anmerkungen sind eigentlich nicht zu machen zu dem oben Gesagten. Außer: So geht‘s eben zu in einer Gesellschaft, in der ausreichend viele sich ausbeuten zu lassen zum Lebenszweck erhoben haben, die sozial findet, was Arbeit schafft und die sich gleichzeitig wundert, warum die Menschen trotz aller propagierter Jobwunder krank werden.


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