Sonntag, 29. November 2020

Große Erwartungen

 
Die ARD-Serie 'Tatort' wird heute 50 Jahre alt.
 
Und, ein Sektchen kaltgestellt? Paar Schnittchen vorbereitet? Das Fernsehzimmer ein wenig dekoriert für den festlichen Anlass? Heute wird der 'Tatort', gern und oft eines der letzten öffentlich-rechtlichen televisionären Lagerfeuer genannt, fünfzig Jahre alt. Am 29. November 1970 nahm Walter Richter alias Kommisser Trimmel im Taxi nach Leipzig Platz. Heute wird die 1.146. Folge ausgestrahlt. Natürlich gibt es nicht nur Gratulation, sondern auch Kritik. Mit am weitesten geht Anne Haeming in der taz, die der Serie jegliche gesellschaftliche Relevanz ab-, die ARD-Intendant Tom Burow ihr zusprechen will. Statt aktueller Themen bloß piefige Vorhersehbarkeit.

Denn wo seien im 'Tatort' die drängenden Themen der Zeit? Die rechten Netzwerke bei Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr? Die 'Todeslisten' von Rechtsextremen, die Drohschreiben des 'NSU 2.0', die verschwundenen Beweise des Missbrauchsnetzwerks von Lügde, die aus Polizeicomputern geklauten Daten etc. Alles richtig, und wieder nicht. Denn vom 'Tatort' zu erwarten, die Verhältnisse infrage zu stellen, wäre zu viel verlangt. War es übrigens schon immer. Auch in seinen besten Momenten war der Serien-Dino selten mehr als ein mehr oder minder gelungenes Abbild der jeweiligen Zeitumstände und deren Brüche und tat den Teufel, irgendwas im Kern infrage zu stellen.

So verkörperte der Essener Kommissar Haferkamp (Hansjörg Felmy) den gesellschaftlich-kulturellen Wandel der Siebziger. Von seiner Frau war er geschieden, damals noch die Ausnahme, doch weigerten sich beide, ein großes Drama darum zu machen, pflegten weiterhin freundschaftlichen Kontakt und hatten gelegentlich sogar Sex. Haferkamp lebte allein, ohne dass eine Wirtin ihm den Haushalt besorgte, für einen Junggesellen, wie das damals hieß, die große Ausnahme. Er ernährte sich von Spiegeleiern, Buletten und Altbier. Er trug zwar Trenchcoat, verzichtete aber auf Krawatte.

Mehr progressiv ging kaum in diesen bunten, aber immer noch engen BRD-Jahren. (Man kann an dieser Stelle durchaus erwähnen, dass im Ost-Pendant ‚Polizeiruf 110‘ von Anfang an weibliche Ermittlerinnen selbstverständlich dazugehörten, während mann bei der ARD sich erst 1981 traute, mit der von Karin Anselm gespielten Hauptkommissarin Wiegand die erste Ermittlerin auf Verbrecherjagd zu schicken.)

Der von Hajo Gies und Chiem van Houweninge erfundene und von Götz George gespielte Horst Schimanski war durch und durch Kind der Achtziger. Da saßen noch die letzten autoritären Säcke, die in Kriegszeiten ihre Karrieren begonnen hatten, auf den Chefsesseln und die jüngeren rannten dagegen an. Darunter der ungehobelte, antiautoritäre und mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn versehene Schimanski, der als Jugendlicher selbst auf der schiefen Bahn war. War nie Profi, sondern ging im Gegenteil höchst unprofessionell vor. Verbiss sich zu hundert Prozent in seine Fälle, nahm Ungerechtigkeiten, Korruption und andere Schweinereien persönlich. Zu Beginn war Schimanski die vielleicht am meisten missverstandene Figur im deutschen Fernsehen. Weil man nicht sah, dass es nicht darum ging, 'realistische' Polizeiarbeit zu zeigen. Am Ende wurde er von fast allen geliebt. Cooler wurde es nie wieder.

"Die Eingangsszene von »Duisburg Ruhrort«, wenn Götz George aus dem Fenster schaut und sich am Rücken kratzt, im Hintergrund die Hochöfen, grauer Himmel, die Wohnung ein einziger Sauhaufen – man möchte sie sich einrahmen. No Future. […] So war das damals. Haferkamp war Helmut Schmidt, Schimanski war Joschka Fischer. Der damalige Joschka Fischer, wohlgemerkt. Als er noch nicht Helmut Schmidt war." (Peter Ahrens)

Die Kölner Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) sind die treuen Begleiter der neoliberalen Wende der Neunziger. Eher Sozialarbeiter denn Schergen und mit viel Verständnis für alles und jedes, transportieren sie die Botschaft: Die Welt mag scheiße sein, der Kapitalismus und seine diversen Begleiterscheinungen richtet üblen Flurschaden an and screws us all, aber dafür gibt es da und dort ein paar gutmütige, dackeläugige Bullen, die es zwar auch nicht ändern können, einen aber wenigstens verstehen. Und nach einer Currywurst am Rheinufer vis à vis des Domes ist alles wieder gut.

Die Münsteraner Klamauktruppe um Boerne und Thiel bedient die in den Neunzigern sozialisierte, nunmehr alt gewordene Spaßgenereration. Die ist einst damit aufgewachsen, nichts und niemanden ernst zu nehmen und im Zweifel alles ironisch zu sehen. Heute haben sie Jobs und schicke Küchen und müssen Häuser abbezahlen und genehmigen sich von Zeit zu Zeit am Sonntagabend einen Ausflug in alte Zeiten. Man kann weitermachen und heruminterpretieren. Dass die Dortmunder um den durchgebratenen Faber (Jörg Hartmann) mit horizontaler Erzählweise das Netflix-sozialisierte Serienpublikum ansprechen sollen, die Fälle um den ebenfalls nicht völlig knusperen Felix Murot (Ulrich Tukur) die Tarantino-sozialisierten Filmnerds. Und so weiter.

Selbstverständlich ist der ‚Tatort‘ gesellschaftlich relevant. Nur eben nicht so, wie Frau Haeming glaubt (und ob Herrn Burow das so bewusst ist, darf auch bezweifelt werden): Den 'Tatort' gibt es exakt aus dem Grund, aus dem am Sonntagabend auf Privatsendern massentaugliche Spielfilme und in anderen Programmen Rosamunde Pilcher-Schnulzen gezeigt werden: Werktätigen Menschen, die sich Tag für Tag aufreiben, das herrschende System mit ihrer Erwerbsarbeit am Laufen zu halten, soll der Abend vor dem Montagmorgen versüßt werden, sie sollen mit einem wohligen Gefühl in die neue Arbeitswoche geschickt werden. Im 'Tatort' meist jene Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn mit dem Ergreifen des Täters die herrschende Ordnung wiederhergestellt ist.

Darum geht es im Kern. Das scheint bis heute zu funktionieren, die Einschaltquoten sind ordentlich bis gut. Das heutige dürfte daher nicht das letzte Jubiläum sein.




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