Mittwoch, 26. Januar 2022

Römischer Ruin

 
Als katholisch sozialisierter Agnostiker hat sich lange etwas gesträubt bei mir, wenn Worte fielen wie 'Kinder****erverein' oder ähnliches. Zwar konnte ich mit dem Spirituellen nie viel anfangen, doch habe ich auch viele positive Aspekte kirchlichen Lebens kennengelernt. Mich kaum je beengt gefühlt, und unsittlich berührt wurde ich auch nie. Schade auch um all diejenigen, die dort immer noch mit Herzblut und Überzeugung arbeiten, nicht selten für niedrige Löhne. Ein nicht verknöchertes, am Religionsstifter orientiertes christliches Menschenbild ist ja nicht das allerschlechteste von allen.

Meine Erfahrungen sind natürlich nicht repräsentativ. Und auch eine Generationenfrage. Mein Vater wurde vom Pfarrer einst noch regelmäßig geohrfeigt, wenn er ein Kreuzzeichen nicht hundertprozentig rechtwinklig vollführt hatte ('Blasphemie!'). Gab er zu Hause dann eine ehrliche Antwort auf die Frage, wieso er eine dicke Backe habe, dann bekam er noch eine geballert. Weil er einen gesalbten Abgesandten Gottes verunglimpft hatte ('Verleumdung!' - wer hier einen Kern für aktuelle Probleme findet, darf ihn behalten). Es sind schon Kinderseelen unter weit geringeren Belastungen zerbrochen.

Wenn man sich vergegenwärtigt, mit welcher Selbstverständlichkeit hierzulande nicht gewählte Kirchenmänner in diversen politischen Gremien am Tisch saßen und sitzen, mit der nicht nur die römische Zentrale, sondern auch etliche Bischöfe Abermillionen Gläubigen auf der Welt in die Schlafzimmer hineinregiert hat, vorehelichen Geschlechtsverkehr teils zur Todsünde aufgeblasen hat.

Jede Form von Empfängnisverhütung als Teufelswerk und Eingriff in den großen Plan Gottes geschmäht hat, den man natürlich genau zu kennen für sich in Anspruch nahm und nimmt (seltsamerweise war es offenbar kein unstatthafter Eingriff in Gottes Plan, einen Papst nach einem Attentat medizinisch zu versorgen).

Wie widerlich geschichtsvergessen Teile des Klerus die Entfernung noch des empfindungslosesten Zellklumpens aus einem Mutterleib mit dem Menschheitsverbrechen der Shoah gleichgesetzt, zum Tag der Unschuldigen Kinder die Glocken geläutet haben.

Man gleichzeitig aber massiven, jahrelangen sexuellen Missbrauch von Priestern an Minderjährigen (und: vergessen wir das nicht, auch an Ordensschwestern) zu bloßen 'Verfehlungen' bagatellisiert hat, die mit einem Besuch im Beichtstuhl sich ausräumen ließen und das alles von allerhöchster Stelle bzw. zumindest mit deren Wissen systematisch verschwiegen und vertuscht wurde.

-- Dann weiß ich auch nicht mehr, was ich noch sagen soll. Bedaure. Fisch stinkt vom Kopfe.

Man kann natürlich weitermachen. Etwa dabei, dass homosexuelle Priester, auch wenn sie noch so zölibatär leb(t)en, qua Neigung für ungeeignet erklärt wurden und darüber in Gewissensnöte, Alkoholismus und Depressionen stürz(t)en, während Insidern immer bekannt war, dass in und um den Vatikan ein gar fröhliches homophiles Treiben herrscht(e), das die alten Römer wohl hätte erblassen lassen.

Und von dem, was historisch weiter zurück liegt, habe ich noch nicht einmal angefangen. Man muss da auch gar nicht mal so weit zurückgehen. So kann man etwa erwähnen, dass ein katholisches, bis in höchste Vatikanische Kreise reichendes Netzwerk Adolf Eichmann zur Flucht verhalf und Pius XII. 1949 alle Kommunisten exkommunizierte. Damit also auch jene Rotarmisten, die vor 76 Jahren, am 27. Januar 1945, das Höllenloch Auschwitz befreiten.

Wäre die Katholische Kirche nicht die Katholische Kirche, sondern eine Firma, eine Behörde, ein Verein, eine Partei etc. -- wohl jeder halbwegs professionelle Berater würde spätestens jetzt, da der jahrzehntelang zweitmächtigste, später dann mächtigste Mann und letzte Instanz dieser weltumspannenden Organisation indirekt einräumen musste, doch irgendwie von diversen Sauereien gewusst zu haben, sagen: Lasst gut sein! Hat keinen Sinn mehr. Dichtmachen, den Laden, und mit neuem Personal unter neuem Namen und mit neuer Struktur völlig neu anfangen. Irgendwo ganz unauffällig, in der hinteren Ecke eines Gewerbegebiets. Auf eigene Kosten.

Geht aber leider nicht, denn die Katholische Kirche ist keine Firma, keine Behörde, kein Verein, keine Partei etc., sondern nach eigenem Selbstverständnis auf ewig die einzig wahre und vom Juniorchef persönlich beauftragte Lordsiegelbewahrerin des Wortes Gottes. Das macht die Sache natürlich ein wenig komplizierter. Wenn man kein Atheist ist.

Bringt man es über sich, einmal kurz hinwegzusehen über das ganze Leid, das geweihte Männer in ungezählten Fällen Kindern angetan haben, dann kann man ganz nüchtern folgendes festhalten.

Ein mahnendes Beispiel für das, was einem irgendwann unweigerlich um die Ohren fliegt, wenn man über einen sehr langen Zeitraum die Außenwirkung bzw. das Image seines Vereins über alles stellt ("Das Ansehen", das auf keinen Fall Schaden nehmen darf) und wenn man strukturelle Probleme, die jedem Außenstehenden irgendwann sonnenklar waren, wenn nicht sein mussten, konsequent zu bedauerlichen Einzelfällen herunterbagatellisiert, wenn sie dann ans Licht kommen.






7 Kommentare :

  1. Guten Tag,
    die Analyse mag ja richtig sein, allerdings reden wir hier immer noch von einem Problem welches sich zuerst auf Deutschland bezieht. Die Wahrnehmung in Europa halte ich schon nur noch für marginal und in Asien, Afrika und Südamerika wird man sich darum nicht scheren. Somit bleibt es für den "Globalen Konzern" für einen lokalen "Ausrutscher" und wird an der Geschäftsorganisation nix ändern. (Hand drauf — ich kenne mich als Mitarbeiter eines global agierenden Konzerns aus)

    Gruß
    Jens

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    1. Das ist nicht ganz korrekt. Die Häufung von Missbrauchsfällen ist keineswegs nur auf Deutschland beschränkt. In den USA wurden bislang über 4 Mrd. USD an Entschädigungen gezahlt, in Irland (Ryan-Bericht) eine knappe Milliarde EUR etc. Zudem sind in den USA und in D die reichsten Bistümer weltweit. Hat also schon einen gewissen Einfluss.

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  2. OK — hatte ich nicht kontrolliert.
    aber mitgliedermäßig spielt die Kirche mengentechnisch nicht in Europa oder den USA?

    Gruß
    Jens

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    1. Meines Wissens nach kann man es grob auf die Formel bringen, dass in Europa/den USA as Geld ist, im Rest der katholischen die Gläubigen (Chicago und Köln sind glaube ich die beiden reichsten Erzbistümer der Welt und haben weltweit mittels Krediten und Zuwendungen erheblichen Einfluss).

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  3. Die Kirche läßt aber auch jede Gelegenheit zur Selbstkritik aus.
    Erst neulich hat Papst Franziskus die Kinderlosigkeit moderner Paare angeprangert.
    Das seine Vorläufer in dieser Sache noch bis in die frühe Neuzeit weitaus fleißiger waren als die aktuellen Päpste und somit auch mit gutem Beispiel voran gingen, kam ihm nicht in den Sinn.
    Andererseits muss ich als ebenfalls "katholisch sozialisierter Agnostiker" folgendes konstatieren:
    Warum sollte eine Institution, die sogar eine längere durchgehende Kontinuität als China vorweisen kann, auf so Mode-Erscheinungen wie Human Rights reagieren?
    Kann denn irgendjemand garantieren, dass es immer vorwärts geht?
    Vielleicht bringt die Erderwärmung durch entsprechende Verwerfungen die für die Kirche paradiesischen mittelalterlichen Zustände zurück?
    Schaut man sich alleine mal die politischen Umwälzungen auf der Landkarte Europas in den letzten 150 Jahre an, dann würde ich, wäre ich 10 mal so alt wie dieser Zeitraum, auch einfach nur "Hosianna, Amen, Urbi et Orbi" murmeln, abwarten und Tee trinken.
    Auf Regen folgt Sonne und umgekehrt. Gute, aufgeklärte Zeiten sind nun mal schlecht für Spökenkieker, aber so was ändert der Mensch im Handumdrehen.

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  4. Und bevor Eichmann von katholischen Netzwerken ausser Landes geschleust wurde, ging ein Integrant des selben "Vereins" in Ausschwitz anstelle eines Mitgefangenen in die (Aus-)Hungerzelle. Aber Pater Kolbe ist wahrscheinlich auch wieder ein Beleg dafür, dass es meistens Individuen sind, die religiöse Lehren zu leben versuchen - und keine Institutionen. Mit agnostischen Grüssen!

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    1. Das hat durchaus eine gewisse Tragik, denn gerade der katholische Widerstand war ja durchaus mutig, aber eben von Individuen abhängig.
      Auch der Journalist George Monbiot, der in den Achtzigern in Mittel und Südamerika gearbeitet hat, meinte mal, in den schlimmsten Ecken, wo die Todesschwadronen umgingen, seien katholische Priester, Mönche und Nonnen die mutigsten gewesen, hätten auch dann noch ausgeharrt, wenn alle anderen Institutionen wegen des zu hohen Risikos die Zelte abgebrochen hätten.

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