Am langen Wochenende steht einmal mehr der Besuch der alten Blase im Schwäbischen an. Da war die Idee aufgekommen, ob man am Samstag, anstatt irgendwie Zeit totzuschlagen, nicht mal nach Stuttgart sollte. Das ist gerade mal 50 Kilometer entfernt und man kommt bequem auch ohne D-Ticket günstig mit dem Zug hin. Warum also nicht mal ins Porsche-Museum? Dummerweise ist aber auch Cannstatter Wasen. Das zweitgrößte Massenbesäufnis der Republik. Wo man Gebräu wie 'Dinkelacker' trinkt. Aus Eimern. Wenn ich also großes Pech habe, dann schmeißt ein ungnädiges Fatum mir einen 'Bummel' über das bierselige schwäbische Schlachtfeld des Frohsinns vor die Füße.
Das Schwäbische kann ich noch ausblenden und das Bier ist einem nach der zweiten Maß eh egal. Aber riesige Menschenansammlungen sind mir zuwider. Ich bin kein Menschenfeind, aber wenn Gevatter Mitmensch in Massen auftritt, werde ich zutiefst misstrauisch und fühle ich mich unwohl. Erst recht, wenn es wogt und wallt und schunkelt und alles eins wird. Sollte es mich in diesem Leben doch noch einmal auf das Münchner Oktoberfest verschlagen, dann nur unter zwei Bedingungen: Erstens würde ich, wenn überhaupt, nur auf die 'Oide Wiesn' gehen. Wo es gemächlicher zugeht und der Andrang mittels Tickets kanalisiert wird. Das Gefühl, mir im Gedränge und in beschickertem Zustand Fahrgeschäfte anzutun, kann ich hier auf der Cranger Kirmes in Herne auch haben. Mit dem Gedanken, niemals im Leben Toboggan gerutscht zu sein, werde ich leben müsse.
Zweitens: Ich würde mir unter keinen Umständen Maskerade wie Dimpfelhut oder Seppelhose anschaffen. Wer auf dem Oktoberfest Tracht aus dem Internet trägt, läuft auch in Paris mit Baskenmütze und 'I LIKE PARIS'-Shirt herum. Mode ist mir weitestgehend egal und ein jeder macht sich zum Gemüse so gut er kann, aber doch bitte nicht mit Gewalt. Dabei habe ich ja längst nichts mehr gegen Tracht. Im Gegenteil, wäre ich integrierter Einwohner eines oberbayerischen Ortes, ich hätte wahrscheinlich eine. Eben weil ich als ausgemachter Modemuffel den Gedanken sehr verlockend finde, mit so einem Aufzug, der zudem die eine oder andere Folge des guten Lebens zu kaschieren vermag, immer richtig angezogen zu sein. Aber nicht als alberne Verkleidung. Meinethalben nenne man das gern einen Spleen.
Ich war nämlich eines dieser Kinder, die zeitweise in Lederhosen gesteckt wurden. In einem Bayernurlaub wurde ich in einem echten Trachtengeschäft mit einer voll authentischen eingekleidet. Nicht billig, das. Nach dem Urlaub wurde ich mit dem Folklorefummel in die Schule geschickt. In eine weiterführende. In Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank auch. In jeder Klasse gab es damals einen Seppelhosenjungen, der sich mit der Buxe für alle anderen zum Deppen machte und darum bettelte, einen schweren Stand zu haben. Der war dann ich. Den Typen, der immer die Hochwasserschlaghosen seines älteren Bruders auftragen musste, hat es gefreut.
Damals galten Trachten in unseren Breiten vor allem als bevorzugte Kleidung hinterwäldlerischer Landeier mit einem Faible für Uniformfetischismus. Für uns im Ruhrgebiet der Achtziger Heranwachsende war die Vorstellung, welche zu tragen, so unsagbar uncool wie Eiskunstlauf gut zu finden. Als später dann Privatsender die Republik unter anderem mit Peter Steiners Theaterstadel und so genannten 'Lederhosenfilmen' flächendeckend bestrahlten, war der Fall klar: So was tragen grenzdebile, dauergeile Begattungsmaschinen, die seltsames Idiom sprechen und nur das eine im Kopf haben. Und Dirndl waren was für Resis, die man mit dem Traktor abholte.
Aber zurück zu Massenaufläufen. Woher meine Abneigung rührt? Weiß nicht recht. Früher schien mir das noch nicht so ausgeprägt. Dass ich tendenziell introvertiert bin, wird sicher eine Rolle spielen, aber das brach sich erst so ab dem vierten Lebensjahrzehnt richtig Bahn. Zumal ich mich auch heute nicht bange mache vor Theatern, Konzerten, Biergärten, Kneipen und ähnlichem. Gut, was an 'Clubs' so toll sein soll, hat sich mir noch nie erschlossen. Sich inmitten verschwitzter Leiber in einer dunklen Räuberhöhle, so ich überhaupt da reingelassen würde, die Nacht um die Ohren zu schlagen zu Musik, die sich anhört, als würde ich mir permanent mit dem Gummihammer vor die Runkel geben, fand ich noch nie sonderlich verlockend. Zuletzt war ich mit Mitte dreißig mal in einem Laden ohne Gesichtskontrolle, in dem Musik gespielt wurde, die mir zumindest teilweise bekannt war. Gegen sechs in der Früh war ich wieder zu Hause und mir taten noch zwei Tage später die Knochen weh.
Im Kindergartenalter hatten sie mich zum Kölner Karneval mitgeschleppt. Ich erinnere mich noch dunkel, aber gar nicht mal traumatisch, wie ich Atemnot bekam, weil ich gegen die Absperrung an der Straße gedrückt wurde. Bis mein Vater mich mit einem beherzten Griff befreite, nachdem er sich robust freigerempelt hatte. Viele Jahre später hatte ich eine Art Déjà-vu: Ich war mit den beiden zeitweisen Stiefkindern bei einem Rosenmontagszug und fand mich in der Rolle des Bodyguards für die jüngere, die ohne meinen Körper- und Ellenbogeneinsatz von manischen, in Horden auftretenden Bonbonsammlern einfach beiseite geschubst worden wäre.
Dann war da noch ein Besuch bei einer Lustbarkeit namens 'Bochum Total'. Der Hauptact sollte auf dem Südring stattfinden. Wir fanden uns eingekeilt in einer riesigen Menschenmenge, die einem fast jede Bewegungsfreiheit nahm. Irgendwann scannte ich die Gegend nach möglichen Schlupflöchern ab und dachte: Wenn diese Masse jetzt irgendwie ungut in Bewegung gerät, weil eine Panik ausbricht, dann kann man die Reste von mir und meinen Begleitern von der Straße kratzen und wir würden in der Biotonne enden. Das feierwütige Volk um uns herum schien von solchen Gedanken wenig getrübt und hatte eine super Zeit. War ich da überempfindlich? Ein paar Jahre später kam es in Duisburg zur Tragödie auf der Love Parade und ich fühlte mich, allem Schrecken zum Trotze, darin bestätigt, nicht überempfindlich zu sein. Und von Bombendrohungen habe ich noch gar nicht angefangen.
tl;dr: Hoffentlich regnet’s am Samstag.
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