Montag, 22. Oktober 2018

Sozialneid von rechts


Erwähnte ich schon, dass ich eine goldene Taschenuhr besitze? 585er Gold, Baujahr 1901, gebaut in Genf. (Bevor hier jemand auf originelle Ideen kommt: Das Messgerät befindet sich an einem sicheren Ort, auf den ich keinen direkten Zugriff habe. Mich mit Gewalt zu irgendetwas zwingen zu wollen, wäre also zwecklos.) Und, sind Sie schon rechtschaffen neidisch auf mich rumprotzendes Kapitalistenarschloch? Wie kommt so einer bloß an so viel Kohle? Darf der so was überhaupt haben? Ja geht das denn? Antwort: Wieso nicht? So eine Uhr zu kaufen, könnte ich mir natürlich nicht leisten, selbst wenn ich meine drei Deutsche-Bank-Aktien versetzen würde, die ich einst zur Firmung bekommen habe.

Muss ich mir aber auch nicht. Das edle Zeiteisen ist nämlich ein Erbstück meines Urgroßonkels, den ich nie kennen gelernt habe. Besser gesagt, hat mein Großvater sie ihm irgendwie abgeluchst und sie mir dann vermacht. So viel zu der Frage, wie ein in jeder Hinsicht durchschnittlicher Verdiener wie ich legal an einen solchen Wertgegenstand kommen kann. Der Möglichkeiten sind quasi unendlich viele und gehen, sofern alles mit rechten Dingen zugegangen ist, absolut niemanden etwas an. So wie mir auch niemand eine Rechtfertigung abzupressen hat, wieso ich welches Auto fahre oder auch nicht, teils im Bioladen einkaufe oder Sneaker bestimmter Marken trage.

Daher ist es auch völlig unerheblich, wie Staatssekretärin Sawsan Chebli zu jener Rolex gekommen ist, die sie auf einem vier Jahre alten Foto spazieren trägt, das nunmehr wieder ausgegraben und ihr unter die Nase gehalten wird. Damit wir uns recht verstehen: Frau Chebli wirkte bei diversen öffentlichen Auftritten mehr als einmal überfordert, und selbstverständlich kann man daher über ihre berufliche Eignung diskutieren, vielleicht auch ihre fachliche. Sie aber wegen einer teuren Armbanduhr diskreditieren zu wollen, ist lachhaft. Dass solche Angeberzwiebeln überdurchschnittlich oft an den Handgelenken unangenehmer Wichtigmenschen zu finden sind oder solchen, die es aus anderen Gründen gewaltig nötig haben, tut nichts zur Sache. Man kann das protzig finden, aber schlechter Geschmack ist nun einmal nicht verboten.

"Dass Banken bei den #CumExFiles 55,2 Milliarden Euro Steuergelder geklaut haben, interessiert den rechten Mob nicht, der geht nur auf die Barrikaden, wenn Sawsan Chebli eine Rolex trägt." (Thomas Laschyk)

Der Anwurf, politisch im weitesten Sinne links zu verortende Menschen hätten gefälligst in Sack und Asche aus dem Kleidercontainer zu gehen, sich von Wasser und Brot zu nähren und auch sonst besitzlos zu sein wie die Mönche, ist so verbreitet wie blödsinnig. Beruht auf der irrigen Annahme, Linke predigten Armut, weil sie die herrschenden Verhältnisse infrage stellen. Tun sie nicht, außer ein paar ganz krasse Sektierer vielleicht. Einer Sozialdemokratin, war ferner zu hören, stünde ein solches Statussymbol nicht gut zu Gesichte, da Sozis schließlich die 'Kleinen Leute' vertreten würden. Aha. Letzteres halte ich für ein Gerücht. Sozialdemokraten kann man weiß Gott vieles nachsagen, etliches davon zu Recht, aber bestimmt nicht, dass sie jeglichen Privatbesitz vergesellschaften bzw. ihn verbieten wollten. Ist in etwa so falsch wie Antifaschismus per se gleichzusetzen mit Linksradikalismus, hat aber Methode.

Mein Lieblingsargument ist ja, für Frau Chebli sei eine Armbanduhr dieser Preisklasse unangemessen, weil sie schließlich vom Steuerzahler alimentiert würde, wohingegen das kein Problem wäre, wenn sie etwa Unternehmerin wäre. Aha. Gilt das auch für Unternehmer, die teilweise von Steuergeldern alimentiert werden, etwa durch Fördermittel und Subventionen? Für Banker, deren faltige Ärsche vor nicht allzu langer Zeit mit Milliarden Steuergeldern gerettet wurden? Oder für Vermieter, die indirekt Subventionen kassieren in Form von Wohngeld, weil deren Mieter sich die Wuchermieten anders nicht mehr leisten können? Man könnte noch eine Menge mehr sagen zu dem Quark. Belassen wir es vielleicht dabei, dass ich im Zoo schon intelligentere Äußerungen von dortigen Bewohnern vernommen habe.

(Nebenbei: Auch die als Bundestagsabgeordnete ebenfalls aus Steuermitteln alimentierte Alice Weidel trägt zuweilen Rolex. Wieso gibt es da keinen Shitstorm? Könnte es vielleicht sein, so als völlig spinnerte Idee, dass da eventuell mit zweierlei Maß gemessen wird? Rein hypothetisch, versteht sich.)


Abgesehen davon: Was sind das eigentlich genau, diese 'Kleinen Leute'? Bis zu welcher Einkommensgrenze gehört man dazu? Wer bestimmt neuerdings, was man unterhalb dieser Grenze besitzen darf und was nicht? Erwähnte ich überdies schon, dass welche, die sich anmaßen darüber zu befinden, was andere gefälligst zu besitzen haben und was nicht, etwa weil sie ihr persönliches Lebensglück davon abhängig machen, was andere alles haben oder nicht, für mich zum Unangenehmsten gehören, was die Evolution bis dato hervorgebracht hat? 

Hier wird eine absurde, allen Ernstes als '#Uhrengate' aufgeblasene Sozialneidkampagne geführt, die diesen Namen ausnahmsweise wirklich verdient. Diesmal aber von rechts. Denn wer anderen vorschreiben will, was ihnen zukommt und was nicht, und für was diese oder jene Menschen da seien bzw. wo ihr Platz ist, offenbart damit vor allem mal eine zutiefst autoritäre Persönlichkeitsstruktur.

Als ob die Jobcenter nicht schon genug wären.




7 Kommentare :

  1. Die wesentlichen Vorwürfe bleiben natürlich unausgesprochen: Wieso darf eine Frau (!) mit Migrationshintergrund (!!), die aus einem palästinensischen Clan stammt (!!!), überhaupt eine Rolex tragen? Die Uhr ist doch geklaut! Mit Drogengeldern finanziert!!

    Dazu kommt, dass die arme Frau in der SPD ist. Diese Partei macht bekanntlich alles falsch.

    Mein Tipp: in die FDP eintreten, Haare blond färben und einen Typen namens Schmidt heiraten, damit auch endlich mal der Nachname stimmt.

    Man greift sich an den Hintern, weil der Kopf zu schade ist ...

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    1. Und deswegen kam der beste Beitrag zum Thema auch von Abdelkarim - der Mann kennt sich eben aus.
      Ich bin immer noch versucht, das irgendwie als gutes Zeichen zu sehen, nämlich als eines dafür, welche Karrieren inzwischen möglich sind. Solange die Migrantinnen noch die niederen Arbeiten gemacht haben, wars okay, aber jetzt, da sie zunehmend in die Topjobs kommen, haben halt welche Schaum vor dem Mund.

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    2. Die Rolex-Geschichte ist so lächerlich wie eigentlich alle Social-Media-Aufreger – heute gehashtagt, morgen vergessen. Und zwischendurch instrumentalisiert sie eben jeder möglichst effektiv für die eigene Gesinnung. Frau Chebli bekommt auf Twitter & Co. sehr viel Häme ab, sie präsentiert sich dort aber nun mal auch als eine leichte Zielscheibe: halbgebildet, selbstgerecht und permanent mit der eigenen migrantischen Herkunft hausierend – der entsprechende Backlash ist also auch hausgemacht.

      Selbstanzeige wegen Hate Speech ist raus! ;-)

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    3. Es ging ja auch nur um die Rolex-Geschichte. Dass das Problem ansonsten durchaus zwei oder mehr Seiten hat, bestreite ich nicht. (Andererseits: Sollte sie wg. Seilschaften als Vorzeigemigrantin in den Job protegiert worden sein - who cares? Würde man alle unfähigen/überforderten Elitenfuzzis, die nur dank ihrer Zugehörigkeit in Studentenverbindungen und Burschenschaften im Amte sind, in ähnlicher Weise angreifen, dann würde das bestimmt lustig.)
      Hate Speech kann ich aber keine erkennen.

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  2. Rolex? Lediglich eine Geschmackssache – m.E. gibt es für sehr viel weniger Kohle sehr viel schönere Uhren (selbst im <200€-Segment) …

    Die auch funktional mithalten können!

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  3. Wie schon gesagt wurde, dienen solche "Entrüstungen" - egal ob von links, liberal oder rechts - nur zur Ablenkung. Damit sich niemand darüber aufregt, dass die Finanzwirtschaft sowie Milliardäre und deren Systemerhalter (in Politik, Medien und Wissenschaft) sukzessive die Realwirtschaft, die Gesellschaft und schlussendlich Demokratie "austrocknen" und so zerstören.

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    1. So nach dem Motto: Pass auf, von Status(verlust)angst gebeutelter Mittelschichtler, die Palästinenser-Muslima da nimmt dir deine Rolex weg!

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