Freitag, 29. Mai 2020

Je suis Dieter


Die Älteren werden sich erinnern. Damals in den Achtzigern machte man nicht Party, sondern Feten. Bei uns nur stilecht mit dem langgezogenen E auf der ersten Silbe. Feeeten. Man traf sich aber nicht im Feeeten-, sondern im finsteren Partykeller irgendeines Elternhauses, tanzte ganz easy eine Runde zu Chartmusik, klönte dann ein wenig schlaues Zeug und hoffte, irgendwie cool rüberzukommen und bei den Mädels landen zu können. In Wahrheit war man bloß ein ungelenk rumzappelnder Spätpubertant mit Pickeln und Schwitzehändchen, der streng nach einer Überdosis 8x4 roch und seine Hemmungen hinter altklugem Gesabbel versteckte.

Dazu gab es fast immer Nudelsalat. Unserer hatte aber keinen Namen.


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Das war auch die Zeit, in der man zuweilen die hintenraus langgezogene Frage "Magstn Teeeeee?" gestellt bekam. Bejahte man die, musste man sich in einer dämmrigen Räuberhöhle im Schneidersitz auf einem Kissen auf den Boden setzen und bekam gruseligen aromatisierten Vanille- oder Wildkirschtee aus henkellosen irdenen Becherchen kredenzt, an denen man sich immer die Flossen verbrannte. Dazu mieften Duftkerzen plus Räucherstäbchen vor sich hin und es wurde halfzware Shag gequalmt wie nicht gescheit. Hatte man richtig ins Klo gegriffen, lief im Hintergrund 'The Köln Concert' von Keith Jarrett oder etwas, das einen ein Stück weit betroffen machte.

Auf Gymnasiastenfeeeten war immer ein ganz großes Hallo, wenn Heinz Rudolf Kunze via Konserve anhub, "Dies ist Klaus" zu nöllern, um dann fortzufahren: "Klaus hält sich raus." Klaus war der Inbegriff eines jungen Spießers. Ein Mitläufer, ein Funktionierer ohne politische Haltung. Und seine Freundin hat auch nix zu lachen. Ging jedenfalls gar nicht, der Typ. Die politische Dimension entging uns damals komplett (besten Dank an Mechthild!). Merke: Ein Spießer braucht keinen Jägerzaun und auch keinen deutschen Schäferhund. Da ging man richtig drauf ab als wannabe  durchblickender Nachwuchsintellektueller und grölte den Text aus vollem Halse mit.

Nun gut, verdamp lang her, jede Phase geht vorbei und eh man sich‘s versieht, ist man in einem Alter gelandet, da man, eine gewisse Selbsterkenntnis vorausgesetzt, die eine oder andere Spießigkeit an sich selbst entdeckt. Hier gilt‘s, entspannt zu sein, denn die allerschlimmsten Spießer, das sollte man gelernt haben, sind die, die aller Welt andauernd krampfhaft beweisen müssen, dass sie keine sind. Spaßkanonen wie Dieter Nuhr und Harald Martenstein, denen die altersbedingt stets halbvolle Blase offenkundig permanent aufs Zornzentrum im Hirn drückt, mögen da als mahnende Beispiele herhalten.

Ich mag mich täuschen, meine aber, die literarische Übung, anhand einer imaginierten Person mit Allerweltsnamen a'la Klaus durchzuexerzieren, was ein idealtypischer Spießer ist, schien ein wenig in Vergessenheit geraten seither. Doch ich habe mich getäuscht. Ladys und Gentlemen, meet Dieter by Mely Kiyak and Lena by Judith Sevinç Basad.

Dieters Todsünde besteht darin, als Durchschnittsverdiener einfach Spaß am Konsumieren zu haben. Dieter geht samstags gern zu Deichmann, isst danach bei Nordsee einen Happen Fisch, grillt abends Schweinebauch, trinkt Bier dazu und scheut insgesamt Veränderungen, der Ungut. Er ist nicht woke genug, um zu begreifen, dass sein "gewöhnliches Dieterleben an einem gewöhnlichen Samstag […] ohne Kinderarbeit, Menschenausbeutung, Umweltverschmutzung, Konsumismus nicht auskommt". Schlimmer noch: Er begreift Die KriseTM nicht als Chance, in sich zu gehen und sein Leben radikal zu ändern, sondern will bloß zurück zur Normalität. Denn für Dieter ist Politik, wie für die Automobil- und andere Großindustrien, bloß eine Servicetheke.

Lenas Problem hingegen ist, dass sie über-woke ist. Die Studentin verachtet ihre Eltern, hält sie sie für kleinkarierte, rassistische, sexistische Spießer, nimmt deren finanzielle Unterstützung und Geschenke aber gern mit. Sie ist glühende Antiamerikanerin, lässt sich an der Uni aber mit irgendwelchen Ami-Theorien indoktrinieren, die alle mit "Post-" anfangen, sie hat ein einfaches Weltbild, wähnt sich im Besitz der absoluten Wahrheit, woraus sie das Recht ableitet, alle Welt penetrant zu missionieren und absurde Verbote bzw. Zensur zu fordern.

Bei alledem ist Lena aber nicht abgeklärt genug um zu merken, dass sie selber die allerschlimmste Spießerin und dazu ein verdammt autoritäres Biest ist. Sie stempelt Menschen viel radikaler und intoleranter ab als es ihren Eltern je einfallen würde. Denn aufgemerkt: "Lena merkt nicht, dass sie die Vielfalt, Freiheit und Widersprüchlichkeit einer offenen Gesellschaft, die sie selbst so vehement einfordert, gar nicht ertragen kann. Denn im Geiste hat Lena die Vorgärten ihrer schwäbischen Kleinstadt nie verlassen."

Amen, Sisters.

Nun ist das alles nicht unflott geschrieben und auch nicht alles falsch, keine Frage. Das Problem ist nur, das solche Übungen der Marke "Ich bin heiliger als ihr!" wenig bis nichts an Erkenntnis liefern, sondern bloß verbale Wärmeöfchen sind für alle, die sich gern auf Kosten anderer einen runterholen auf die eigene Großartigkeit. Hihi, guck mal, Spiiießer! Puh, wie gut, dass ich da ganz anders bin. Das hättest du gern, Schätzchen!

"Wer einem Spießer verbieten will, ein Spießer zu sein, ist selber einer." (Chris Kurbjuhn)

Seine eigene Abgeklärtheit zu feiern, indem man eine imaginäre Lena als wahre Superspießerin brandmarkt, zeugt eben genau nicht von Abgeklärtheit, sondern ersetzt bloß eine Verkrampfung durch die nächste. Natürlich kann man Lenas Gebaren lästig finden. Oder es einfach alters- und milieutypisch für eine angehende Akademikerin u30, Flausen im Kopf zu haben, vernagelt zu sein, sich so glühend wie verpeilt für etwas einzusetzen, überhaupt etwas zu tun, dessen man sich später vielleicht schämt. Abgeklärt wäre, darüber zu reflektieren, dass zu allen Zeiten die Köpfe geschüttelt wurden über die nichtsnutzige Jugend, die den Karren dereinst an de Wand fahren wird, und dass man selbst da gerade keine Ausnahme ist.

Abgeklärt wäre vielleicht auch der Verweis darauf, dass sich das mit hoher Wahrscheinlichkeit auswachsen wird. Alle Statistiken sprechen dafür, dass unser Lena, sobald das erste Kind da und das Eigenheim bezogen ist, sich mit hoher Wahrscheinlichkeit schneller in der traditionellen Rolle wiederfindet als sie 'Elterngeld' sagen kann. Dann wird sie ihren Mitmenschen vermutlich mit ihrem Supermuttisein so auf den Wecker fallen wie jetzt mit ihrem Bessermenschsein.

Man hat einfach zu viel gesehen über die Jahre. Vor allem zu viele von denen, die anderen im hohen Tone moralischer Überlegenheit andauernd alles mögliche abklemmen wollen, denen aber jede Menge gute Gründe einfallen, warum das für sie selbst bitte nicht zu gelten hat.

Da ist die ehemalige grüne Vizebürgermeisterin, die Autofahrern den Spaß am Autofahren vermiesen wollte. Nun, da sie wieder als Anwältin tätig ist, denkt sie nicht im Traum daran, anders als mit dem Auto zu diversen Terminen zu fahren und hat sich auch schon als Vielfliegerin geoutet.

Da ist der woke Abiturient, der bei 'Fridays for Future' mitdemonstriert, aber nicht einsieht, wieso seine Langstreckenflüge, mit denen er in sein Gap year in Neuseeland aufbricht und wieder zurück, ein Problem sein sollen.

Da sind die, die Billigschweinebauch grillierende Dieters zum Veganismus bekehren wollen, im Park tonnenweise Lammkebabs brutzelnde orientalische Großfamilien aber voll divers finden. (Übrigens: wenn Sie so richtig günstiges Grillfleisch wollen, gehen Sie mal in einen türkischen Supermarkt. Das sind Preise, da rotieren die Gebrüder Albrecht in ihren Gräbern.)

Und so weiter.

Ist aber auch nicht schlimm, denn ein wenig Dieter und Lena steckt in uns allen. Wer das für sich nicht akzeptiert, braucht mir nicht zu kommen.

Ich sehne mich übrigens auch nach Normalität. Ich möchte wieder mehrmals pro Woche schwimmen gehen, ohne erst umständlich telefonisch einen Termin machen zu müssen (so ich überhaupt durchkomme am dauerbesetzten Telefon). Ich habe meinen ersten Kneipenbesuch genossen und ich freue mich wie ein Schnitzel darauf, morgen mal wieder essen zu gehen. Und ja, ich sehne mich auch nach Grillabenden mit lieben Menschen, wenn auch ohne Schweinebauch. Denn je suis Dieter. Un peu.




11 Kommentare :

  1. Der Klaus aus HR Kunzes lied ist kein harmloser spießer ohne politische haltung, sondern ein agent provocateur vom verfassungsschutz, der sich als gar nicht so friedlicher unter die friedensbewegten mischt. Das war einer der wenigen songs von Kunze, die nicht völlig schlecht waren.

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    1. Richtig. Nur ist uns Pubertanten und -onkels das damals gar nicht aufgegangen, das kam erst später. Hatte ich nicht hinreichend deutlich gemacht. Habe ich jetzt versucht, besten Dank für den Hinweis.

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    2. Dann empfehle ich Ihnen, mal die HRK-Platten "Reine Nervensache", "Eine Form von Gewalt" und "Der schwere Mut" zu hören. Lohnt sich jedes einzelne Lied!

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  2. Ich habe mir geschworen, dass auf meinen Rollator das AC/DC-Logo prangen wird.

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    1. Auf meinem wird ein Aufkleber prangen "Ich bremse nicht für E-Scooterfahrer!"

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  3. Du kannst schon schwimmen gehen? Das will ich auch. Ich ruf da SOFORT an.

    "...musste man sich in einer dämmrigen Räuberhöhle im Schneidersitz auf einem Kissen auf den Boden setzen und bekam gruseligen aromatisierten Vanille- oder Wildkirschtee aus henkellosen irdenen Becherchen kredenzt..."

    Ach, ach... Süßer Vogel Jugend. Wildkirschtee war das non plus ultra.

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    1. Gern doch. Hier sind die Telefonnummern. Schön wenn NRW mal irgendwo cooler ist als Berlin.

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    2. Mein Freibad hat auch schon wieder auf - wer hätte das gedacht?

      Im übrigen halte ich die Coolness von Berlin für überschätzt. Unsereiner wohnt hier wie die ewige Landpomeranze direkt auf'm Dorf. Und der gemeine Berliner ist nicht cool sondern kodderig.
      Alle anderen sind enteierte Hipster direkt importiert aus anderen Dörfern der Republik. Wenn du mich fragts.

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  4. Sich am idealtypischen deutschen Spießer abzuarbeiten ist ein deutscher Evergreen, der wahrscheinlich mit Manns Diederich Heßling begonnen hat. Von daher ist Kiyak über 100 Jahre zu spät dran. Noch blöder ist es, dass die Dame das ohne eine Spur von Selbstironie macht. Der Gedanke, dass sie selber irgendwann einmal spiessig werden könnte oder dass sie sich von einem Spiesserblatt wie die "Zeit" bezahlen lässt, stört sie nicht im geringsten. Blöd nur, wenn das Objekt ihrer Verachtung irgendwann aufhört, sich abzustrampeln, um es Leuten wie Kiyak recht zu machen, und seine Spiessigkeit hemmungslos auslebt nach dem Motto: ich kann tun was ich will, die verachten mich sowieso, also: Bratwurst auf den Grill und AFD gewählt.

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  5. Die Mauer in Berlin war also doch zu was gut - Keith Jarretts Kölner Konzert ist bis zu diesem Post komplett an mir vorbeigegangen. Und ich habe eigentlich nie was anbrennen lassen. Schwein gehabt.

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    1. Ja, und wir haben den Biermann gekriegt - *klampf, klampf*

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