Sonntag, 10. Mai 2020

Ronny des Monats - Mai 2020


"Und nun ist Deutschland mehrheitlich das, was es immer ist, nämlich zugleich gedankenlos und sehr aufgeregt, und das führt immer zu sehr Unangenehmem, um es zurückhaltend zu formulieren. Nun wird also lamentiert und gemeckert und »Freiheit!« gerufen oder sich um Friseurtermine gedrängelt, weil weiß ja jeder, ohne Façonschnitt keine Bürgerrechte, und alte Leute sterben ja sowieso bald, da ist es doch nun wirklich egal, ob sie zehn Jahre früher oder später nicht mehr da sind. Und man sitzt da und staunt, wer plötzlich alles Coronaleugner-Querfrontseiten und Ähnliches bei Facebook liket und kommt mit dem Entfreunden gar nicht mehr hinterher, und man ist sie so satt, diese absolute und dazu auch noch so offensive, stolze Blödigkeit, mit der unfassbarer und völlig unlogischer Schwachsinn* verbreitet wird." (Elke Wittlich)
 
Ganz kurz sah es so aus, als hätten die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der kurrenten Seuche nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die rechte Szene heruntergefahren. Im März wurde gar berichtet, die AfD-Parlamentarier hätten sich ausnahmsweise durchaus konstruktiv gezeigt. Spätestens mit den Lockerungen aber scheint alles beim Alten. Die Widerwärtigkeiten im Alltag, gegen alles, was nicht deutsch genug ist, all die Beschimpfungen, tätlichen Angriffe, Drohungen, Schmierereien, Brandstiftungen etc. scheinen wieder auf Stand zu sein. Natürlich sollte das nicht wirklich überraschen. Neu ist allerdings, dass wegen des chinesischen Ursprungs der Pandemie jetzt auch Menschen mit sichtbar asiatischem Migrationshintergrund, die von Rassisten sonst gern als vorbildlich mucksche und fleißige Parademigranten vorgeschoben wurden - man hat ja nichts gegen Ausländer! -, zunehmend zu leiden haben.

Die Top 5 des Monats Mai:

Platz 5: Der Schwurbelnazi aus Facebook wieder
Jetzt schreibt er auch noch Gedichte. Ich möchte seinen jüngsten lyriſchen Ausfluss nicht groß kommentieren, aber um zwei Verse erweitern:

Das, was du ſo Lyrik nennſt, / nenne ich aufgeblaſenes Opfer-Gejaller.
Das, was dir ſo vorſchwebt, / nenne ich: Rückfall in die Barbarei.

Platz 4: Jagdszenen aus Norddeutschland
Die Küstenregionen hängen mehr oder minder stark vom Tourismus ab. Da geht es in der momentanen Situation durchaus um etliche Existenzen und da ist es vollauf verständlich, dass Nerven blank liegen. So wie es natürlich auch passieren kann, dass man als freiberuflicher C- bis D-Promi angesichts wegbrechender Einnahmen eventuell offener wird für die Ausführungen 'alternativer' Experten. Geschenkt, möchte da nicht tauschen. Dass aber in einigen Urlaubsregionen inzwischen Autos mit fremden Kennzeichen attackiert und deren Halter bepöbelt werden, das überstrapaziert dann auch meine mtunter grenzenlose Langmut. Enthielten Ostfriesenwitze am Ende doch ein Körnchen Wahrheit?

Platz 3: Wasser predigen, Wein trinken
Bei der AfD legt man ja stets Wert darauf, gegen das Establishment zu sein. So geißelte Robert Lambrou, seines Zeichens AfD-Fraktionschef im hessischen Landtag, seine Kollegen öffentlichkeitswirksam für ihre Dienstwagen, die er als "Luxusschlitten" bezeichnete. Er selbst, tönte er, werde für die Dauer der Legislaturperiode auf einen teuren Dienstwagen verzichten. Kommt immer an beim deutschen Michel, so was. Jetzt stellt sich heraus, dass Lambrou sich seit einiger Zeit auch mit einem Dienstwagen chauffieren lässt. Einem Smart? Einem Toyota Prius? Einem VW Golf? Nein, mit einem 7er-BMW. Begründung: Das habe nichts mit Luxus zu tun, sondern mit Sicherheit, da die Ereignisse von Hanau ihn sehr nachdenklich gemacht hätten. Aha. Fällt einem nicht viel zu ein, außer vielleicht: Einfach mal weniger Fresse aufreißen.

Platz 2: Der nächste Corona-Experte
Dass man uns alle zwangsimpfen, chippen und kastrieren wird, das weiß der Herr Jens Maier (Facebook) ganz genau. Herr Maier sitzt für die AfD im Bundestag und ist eigentlich Richter. Das, nennen wir‘s, rechte Spektrum scheint seit einiger Zeit jedenfalls wieder ein Thema zur Mobilisierung gefunden zu haben: Corona-Kritik. Bzw. Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung. Kann man sich prima als antiautoritäre, antidiktatorische Bürgerrechtspartei aufspielen und nebenbei noch massig doofe Querfrontler einsammeln, die mittlerweile jeden Schwachsinn glauben und denen vor lauter Schaum vor dem Mund der politische Kompass komplett abhanden gekommen ist.

"Oh ach so, deine Eltern waren im Widerstand! Na so ein Zufall! Meine auch!! Und ihre Nachbarn! Und die Familie aus dem 1. Stock auch! Jetzt wo ich drüber nachdenke: Der ganze Straßenzug war im Widerstand! Eigentlich echt erstaunlich, wie dieses Regime sich solange halten konnte bei so viel Widerstand." (fefe zum 8. Mai)


Platz 1 und Ronny des Monats Mai geht an:

Den Westdeutschen Rundfunk (WDR)
Es ist mit einiger Sicherheit kein Zufall dass die eloqente Dekadenz- und Intellektuellen-Darstellerin Lisa Eckhart zum Stammpersonal von Dieter Nuhrs Sendung gehört. Nuhrs gesellschaftliche Funktion besteht darin, mit humoristischen Mitteln dafür zu sorgen, dass dem Kleinbürgertum die soziale Kälte nicht zu sehr abhanden kommt. Eckhart ist aber nicht nuhr Nuhrs Stammgast. Schon 2018 ventilierte das steirische Spaßgerippe in der Sendung 'Mitternachtsspitzen' das folgende:

"Es ist ja wohl nur gut und recht, wenn wir den Juden jetzt gestatten, ein paar Frauen auszugreifen. Mit Geld ist ja nichts gutzumachen. [...] Was tun, wenn die Unantastbaren beginnen, andere anzutasten? [...] Am meisten enttäuscht es von den Juden, da haben wir immer gegen den dummen Vorwurf gewettert, denen geht es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht es wirklich nicht ums Geld, denen geht es um die Weiber, und deswegen brauchen sie das Geld." (zitiert bei Samira El-Ouassil)

Nun will ich hier kein großes Interpretationsfass aufmachen, ob und inwieweit das nun antisemitisch ist oder eine Ironiestufe weiter, was ich aber nicht in der Lage bin zu erkennen in meiner galaktischen Ignoranz oder auch nicht. Derlei Diskussionen pflegen schnell ennervierend, beckmesserisch und anstrengend zu werden und sie führen in der Regel auch zu keinem Erkenntnisgewinn. Nur sollte man in diesem Zusammenhang schon daran erinnern, dass man beim WDR duchaus nicht unsensibel ist, wenn's um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht.

Der WDR verteidigte Eckharts Auftritt mit der Begründung, man stünde zur Freiheit der Satire. Verstehe. Klar, Satire darf ja alles. (Ein - im Übrigen aus dem Zusammenhang gerissener und damit sinnentstellter - Satz von solch erhabener Schlichtheit, dass damit noch der letzte Depp Gebildetsein und Unangepasstheit vorschützen kann.) Wenn ein paar Kinder eine fiktive Oma als "Umweltsau" besingen und sich rechter Pöbel künstlich aufkröppt deswegen, dann ist die Grenze der Satirefreiheit aber ratzfatz mal so was von erreicht. Das verstehe wiederum, wer will.

Mit Teilen des deutschen Kabaretts habe ich inzwischen eh so meine Probleme. Weil es immer weniger um Aufklärung zu gehen scheint, sondern darum, die Ressentiments eines sich grenzenlos aufgeklärt wähnenden Publikums zu bedienen. Und da darf es im Jahr 10 nach Sarrazin gern auch mal gegen Schwächere gehen und bedeuten, sich im Stillen zu sagen, wird man ja wohl sagen dürfen! Aber:

"Diese Grenzverletzungen fördern keinerlei Erkenntnis, demaskieren weder Macht noch kulturelle Vorurteile, reproduzieren sie vielmehr. Komisch finden kann das nur ein verklemmtes Publikum, das denkt: Hihi, darüber macht man doch keine Witze. Dieses verklemmte Publikum gibt es natürlich, und wer gelernt hat, seinen Erfolg in Applaus und Aufmerksamkeit zu messen, findet hier gewiss dankbare Goutanten von Gratismut. Satire darf ja schließlich alles, und also muss sie auch auf den Gräbern der Ermordeten und den Nerven der Lebenden rumtrampeln dürfen." (Johannes Schneider)


Fehlt noch der Ehrenronny, die Honourable mention des Monats. Die geht dieses Mal an:

Die "Partei" 'Widerstand2020'
Natürlich sind das keine Nazis, dies vorweg. Wieso dann aber trotzdem ein Ehrenronny? Nun, weil sich bei dem lustigen, von Schwindeldoktor Schiffmann mitgegründeten Verein unter dem grundsätzlich ehrenwerten Motto 'Jeder darf/kann mitreden und Ideen einbringen', gleich mal ein paar antidemokratische, wenn nicht kryptofaschistische Ideen breitmachen. Es wird die Leier gekurbelt von den entzogenen Grundrechten, die man sich zurückholen müsse. Ralf Ludwig etwa, seines Zeichens Rechtsanwalt, diagnostiziert: "Unser Grundgesetz ist fehlerhaft." Seine superdemokratische Abhülfe: Den Bundestag auflösen und durch ein per Zufallsgenerator zusammengestelltes Notstandsparlament ersetzen. Hat ähnlich 'Fridays for Hubraum', durchaus Potenzial.

Fun fact: Noch am 5. Mai teilte der Bundeswahlleiter mit, "dass bisher keine Unterlagen einer Partei mit derartigem Namen eingereicht wurde. Des Weiteren fehlt auch ein Programm, was für das Bestehen einer Partei unerlässlich ist.“ (volksverpetzer.de) Professionell, muss ich sagen!



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* Warum der Schwachsinn hochgradig unlogisch ist, kann man u.a. hier nachlesen.




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