Montag, 25. Oktober 2021

Tief im Osten

 
Was taugt 'Asterix' Band 39?

Seit ein paar Tagen ist der neue 'Asterix' auf dem Markt. Band 39 inzwischen. Der fünfte, den Didier Conrad und Jean-Yves Ferri verantworten. Nachdem ich 2017 das Kapitel für mich abschließen wollte, vermeinte ich im letzten Band 'Die Tochter des Vercingetorix' von 2019 einen Aufwärtstrend zu erkennen. Bei aller Kritik sollte immer bedacht werden, dass es nicht eben einfach ist, im 21. Jahrhundert einen Asterix-Band zu verfassen. Nicht nur, weil das Erbe, wie hier schon mehrfach erwähnt, ein schweres ist. Es wollen auch viele Erwartungen bedient werden. 'Asterix' ist ein bisschen wie Lego: Die altgedienten Kenner und Nerds wollen ebenso auf ihre Kosten kommen wie jüngere Erstkunden.

Weil 'Asterix' so ziemlich der einzige Comic ist, von dem ich als Comic-Laie tatsächlich so was wie Ahnung habe, soll auch das neue Album auf inzwischen bewährte Weise einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Freunde der Sonne, kocht euch nen Tee, es geht los:

[Milde Spoiler voraus.]


The Klappentext

Es geht tief in den Osten, an den Rand der damals bekannten Welt, ins Gebiet der Sarmaten, irgendwo zwischen Russland, Kasachstan und der Mongolei. Eine römische Expedition hat die sarmatische Kriegerin Kalaschnikowa aufgegriffen und gefangen genommen. Durch seinem Geografen Globulus erfährt Caesar von dem sagenhaften Greif, der irgendwo in den endlosen Weiten des Ostens leben soll. Caesar findet, das Fabeltier könnte ein Knüller bei den Zirkusspielen in der Arena sein und gibt eine weitere Expedition in Auftrag, bei der Kalaschnikowa als Ortskundige fungieren soll. Gleichzeitig machen sich Asterix, Obelix und Miraculix mit einem Fässchen Zaubertrank ebenfalls auf den Weg zu den Sarmaten. Miraculix war der Schamane Terrine, zufällig Kalaschnikowas Onkel, im Traum erschienen und hatte ihn gebeten, die römische Expedition zu sabotieren, da der Greif ein heiliges Tier sei. Klar, dass die Wege der Gallier und Römer sich bald kreuzen.

(Eine Vorgeschichte mit dem Titel 'Die große Reise' wurde bereits im Juli 2021 veröffentlicht: Prolog - Szene 1 - Szene 2 - Szene 3 - Szene 4 - Szene 5 - Szene 6.)


The Good

Die Story. Die ist dieses Mal solide konstruiert und die beiden parallelen Handlungsstränge sind sauber durchgearbeitet. Die Exposition der Geschichte ist in sich stimmig und wird auf gerade einmal drei Seiten etabliert. Auch Timing und Tempo stimmen jetzt: Obwohl die Gallier so weit weg sind vom heimatlichen Aremorica wie noch nie zuvor, hält man sich nicht mit langen Reiseschilderungen auf. Solides Handwerk.

Die Namen. Gasturbine, Honigbine, Dachlawine, Supernowa, Primadowna, Brudercus, Ausdiemaus, Fakenius, Dienstschlus, Regengus,... - passt!

Obelix, der alte Charmeur. Als eine Sarmatin namens Casanowa für ihn entflammt, stellt sich die Frage: Was schenkt man so einer? Da kein Hinkelstein in der Nähe ist, tut der unverbesserliche Romantiker instinktiv genau das richtige: Er überreicht ihr, als Blumenstrauß quasi, einen Arm voll verprügelter Römer. Hach!

Die Anspielungen. Sind als gelungen zu bezeichnen. Geograf Globulus erinnert optisch sehr an Michel Houellebecq (vermutlich wegen dessen Roman 'Karte und Gebiet'), Die sarmatische Chefkriegerin Matrjoschkowa ähnelt der Schauspielerin Helen Mirren, die russische Wurzeln hat. Je weiter die römischen Legionäre in die vereisten Weiten vordringen, desto empfänglicher werden sie für die Verschwörungstheorien ihres Kameraden Fakenius und wenden sich gar esoterischen Praktiken wie schamanischen Tänzen zu. Nett.

Die sarmatischen Pferde haben alle einen fünfzackigen roten Stern als Brandzeichen.

Die Piraten. Sind noch da. Tauchen in einem einzigen Bild auf, sonst nicht. Kann sein, dass Conrad und Ferri der Meinung sind, der Running gag mit den Piraten ("Die Ga...die Gaga...!", "Eine 'ömische Galee'e steue'bo'd vo'aus!") sei inzwischen ausgelutscht. Vielleicht ist man auch der Meinung, die Darstellung des schwarzen Ausgucks mit der R-Schwäche sei irgendwie rassistisch oder so, keine Ahnung. Oder dass Piraten dank Disney und Johnny Depp inzwischen zu Tode parodiert sind. Vermisst habe ich sie nicht wirklich.


The Ich weiß nicht recht

Die Zeichnungen. Didier Conrads Zeichnungen waren immer das mit Abstand Beste an den Asterix 2.0-Alben seit 2013. Jetzt entwickelt er langsam einen eigenen Strich, scheint sich peu a peu von Übervater Uderzo zu lösen. Das geht völlig in Ordnung. Auch Uderzos Zeichungen haben sich stetig entwickelt. Leider sind viele von Conrads Panels sehr kleinteilig, wirken überladen und unruhig, fast wie Wimmelbilder. Bei mir wollte sich kein rechter Lesefluss einstellen. Oder ich werde langsam alt.

Feminismus. Dass die Sarmaten in einem Matriarchat leben, in dem die Frauen Kriegerinnen sind und die Männer den Haushalt schmeißen, stört nicht weiter. Klar, man kann darüber rumnölen, dass hier fashionabel auf den Feminismuszug aufgesprungen wird. Aber in der Antike war immer wieder die Rede von Amazonenvölkern, warum sollte nicht auch bei 'Asterix' mal eines auftauchen? Zudem waren die Frauen auch in den alten Heften immer starke Figuren, die, obwohl meist in traditioneller Rolle, zu Hause die Hosen anhatten.

Apropos Frauen. Man kann es ferner ein wenig blöde finden, dass Kalaschnikowa gezeichnet ist wie ein supersexy Supermodel, das allen Männern im Umkreis die Köpfe verdreht. Als ich dann aber erfuhr, dass in der kanadischen Provinz Ontario 5.000 Kinder- und Jugendbücher aus Bibliotheken entfernt und teils sogar verbrannt (!) worden sind, darunter 'Asterix'-Bände, in denen eine amerikanische Ureinwohnerin angeblich in "sexualisierter" Weise dargestellt war, fand ich’s wieder völlig okay. Es gibt Leute, denen sollte man einfach keinen Millimeter nachgeben.

"Dass man im 21. Jahrhundert noch Bücher verbrennt, hätte meinen Vater irrsinnig gemacht." (Anne Goscinny)

Die Rolle, die der Zaubertrank spielt. Ferri und Conrad arbeiten weiter daran, die Funktion des Zaubertranks zu entwerten. Hier geschieht das allerdings auf plausible Weise: Während der Reise durch die eisige Steppe ist Miraculix' Vorrat eingefroren. Ihn einfach wieder aufzutauen würde nichts bringen, da der Trank, einmal gefroren, jede magische Wirkung verliert. Weil alle Versuche misslingen, neuen Zaubertrank vor Ort zu brauen, können unsere Gallier sich nicht mehr darauf verlassen, im Zweifel mit allen Feinden fertig zu werden, sondern müssen sich mit List und Diplomatie durchwursteln. Was mehr schlecht als recht gelingt. Überhaupt sucht man große Keilereien dieses Mal vergebens. Durch die kriegerisch dominanten Amazonen und mangels Zaubertrank wird zudem Asterix selbst zur Nebenfigur.

[MASSIVER SPOILER!!!]

Die Auflösung. Dass der sagenhafte Greif gar nicht existiert, sondern sich am Ende bloß als Felsformation auf dem Grund eines Sees entpuppt, in dessen Nähe sich nur Schamanen aufhalten dürfen, ist eine nette Idee und enthält clevere Religionskritik. Finden aber wohl eher Erwachsene. Jüngere Leser/innen könnten eventuell enttäuscht sein.


The Bad

Die Gewaltdarstellung. Bei 'Asterix' war Gewalt immer folgenlos, etwa wie in den Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill. Zwar gab es immer Beulen, blaue Augen und ausgeschlagene Zähne, aber wirklich zu Schaden oder gar zu Tode kam nie jemand. Außerdem war die Gewalt oft grotesk überzeichnet, etwa wenn Obelix im Alleingang eine ganze römische Garnison plattmachte. Jedes Kind erkennt, dass es sich dabei um Übertreibung handelt, zumal die Superkräfte die Helden zu Dingen befähigen, die offenkundig menschenunmöglich sind. In 'Asterix und der Greif', reißt Obelix an einer Stelle eine Holzbrücke ein und mehrere Legionäre werden vom Fluss fortgespült. Ihre Kameraden rufen ihnen betrübt ihre Namen hinterher (Abschiedsgrus, Sagleiseservus). Es bleibt offen, ob es da Tote gibt, aber das ist neu. Ein Knacks. Wie auch die durchaus gruseligen sarmatischen Holzfiguren, die nicht ironisch gebrochen werden.

Das Essen. Da 'Asterix' auch ein Hohelied auf französische Lebensart ist, spielt Essen von jeher eine zentrale Rolle. Metaphorisch dafür steht Obelix' Vorliebe für gebratenes Wildschwein. Gibt es das irgendwo nicht oder nicht in gewohnter Form (etwa - shocking! - gekocht und in Pfefferminzsauce), wird er unleidlich. Bei den Sarmaten gibt es nur vergorene Stutenmilch und Käse aus vergorener Stutenmilch, was zu Beginn einmal für lange Gesichter sorgt, danach nur noch für geräuschvolles Grollen der Eingeweide. Am Ende delektiert sich Obelix klaglos an einer Gemüsesuppe (er liebte zwar auch den Gemüseeintopf bei den Avernern, aber für den brauchte es viel Fleisch, pardon: Fleisch - denn ohne Fleisch kein Preisch). Sollen wir etwa darauf vorbereitet werden, dass die erzkarnivoren Gallier demnächst zu Vegetariern werden? Wäre sogar durchaus reizvoll. Was wäre los im Gallischen Dorf, wenn die Wildschweinpopulation in den umliegenden Wäldern auf einmal nicht mehr da ist?

Die Eifersuchtsgeschichte um Idefix. Ein Running gag des aktuellen Abenteuers ist, dass Idefix sich einem Wolfsrudel anschließt und Obelix sich darob Sorgen macht, als sei Idefix sein Kind, das in schlechte Gesellschaft geraten und von zu Hause weggelaufen ist. Dass der nicht Dicke an den kleinen Kerl hängt, ist schließlich nichts Neues. Dass aber die bereits erwähnte, in Obelix verknallte Casanowa am Ende sagt, sein Herz gehöre wohl seinem kleinen Hund, fand ich dann doch, wie soll ich sagen, etwas dick aufgetragen. (Moment mal! Wer ist hier dick!?)

Die Story. Ja, die. Die ist zwar, s.o., dieses Mal wirklich solide angelegt, enthält aber auch wieder ärgerliche erzählerische Lücken. Ferri löst immer noch Handlungsstränge nicht auf bzw. lässt sie ins Bedeutungslose kippen und entwickelt Figuren nicht. So spielt Kalaschnikowa zunächst eine wichtige Rolle, sie ist einer der Gründe, wieso die Handlung überhaupt in Gang kommt. Am Schluss erfahren wir von einem römischen Soldaten, sie sei ihren Bewachern entwischt, im Wald verschwunden und nicht mehr gesehen worden. Aha. Und auch wir sehen sie nicht wieder. Und ich so: Duh?


The Ugly

Das Lettering. Nein, ich kann mit diesem Pseudo-Handlettering immer noch nichts anfangen. Die Lesbarkeit leidet noch mehr, wenn die Sarmaten mit spiegelverkehrtem E sprechen, was vermutlich einen russischen Akzent andeuten soll. Ein Königreich für einen fähigen Typographen!

Niemand spinnt mehr und es wird sich nicht mehr an die Stirn getippt. Geht gar nicht, par Toutatis!


The Verdict

Nach dem kompletten Desaster 'Asterix in Italien' setzt 'Asterix und der Greif' den Aufwärtstrend, der sich schon beim letzten Band angedeutet hatte, trotz einiger Schwächen erfreulicherweise fort. Conrad und Ferri schaffen es, mit der Zeit zu gehen und aktuelle Themen einzubauen, ohne alles opportunistisch umzukrempeln. Asterix wird also nicht plötzlich woke. Das Bemühen des Autorenduos um ein gewisses Niveau ist deutlich erkennbar, ebenso dass man Kritiken offenbar ernstgenommen hat. Eventuell hat auch eine Rolle gespielt, dass der 2020 verstorbene Albert Uderzo dieses Mal nicht mehr mitreden konnte. Nicht mehr die große Kunst von einst, hat mir aber ein Stündchen guter Unterhaltung bereitet. 3,5 von 5 Sternen.

 
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Didier Conrad/Jean-Yves Ferri: Asterix und der Greif. Berlin: Egmont Ehapa 2021, 48 S., 6,90 €






3 Kommentare :

  1. Ja hängt denn wenigstens Troubadix beim Gelage am Ende wieder wie gewohnt gefesselt und geknebelt am Baum?

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    1. Ein bisschen Restspannung muss doch bleiben, gell? Nur so viel: Gelegenheit zum Singen hatte er dieses Mal keine.

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    2. Er war ja offenbar auch beim Trip in den kalten Osten nicht in der Reisegruppe dabei ...

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