Freitag, 13. Mai 2022

Keinen billigen Exorzismus bitte

 
Ich muss hier was gestehen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in jüngeren Jahren auf einen wie Fynn Kliemann reingefallen wäre, ist einigermaßen hoch. Wäre mein jüngeres Ich in seinen Bannkreis geraten, mit Feuereifer wäre ich dabeigewesen im Kliemannsland. Hätte kostenlos oder gegen ein warmes Abendessen Arbeitsstunden gekloppt. Und wäre mächtig stolz drauf gewesen, Teil von etwas so Schönem zu sein. Hätte noch danke gesagt dafür.

Hätten mir welche gesagt bzw. mich gefragt: Ähhh, bist du sicher? Ich meine, du arbeitest da für nix und dessen Laden scheint irgendwie immer größer zu werden und... - ich hätte wahrscheinlich im Brustton geantwortet: Ey komm, geh mir weg mit deinem Kapitalistenscheiß! Geht schließlich darum, eine bessere, freundlichere Welt zu erschaffen. Da darf man nicht immer alles nur in Geld bemessen. Und der Fynn, der macht das doch nicht des Geldes wegen. Gut, ja, er hat seine Kosten, der arme Mann, und muss schließlich auch von was leben. Aber sonst?

Dummer Junge, dummer. Ich musste erst so Mitte dreißig und einmal gewaltig verarscht werden, bis ich solche Touren endlich durchschaute und lernte, dergleichen Typen mit größtmöglichem Misstrauen zu begegnen. Zu kapieren, dass das, was sie, entgegen allen anderslautenden Beteuerungen, vor allem mal besser machen wollen, ihr Kontostand und/oder ihr Ego ist. Geholfen hat da übrigens auch ein Fall aus dem Umfeld: Die Dame war an einen 'alternativen Heiler' geraten. Die verkaufen einem mitunter, dass die böse Schulmedizin und die Pharmamafia allein aus Geldgier handelten, sie selbst, die sie sich mutig gegen dieses System stellten, schließlich auch ihre Aufwändungen hätten und daher leider, leider eine Rechnung schreiben müssten. Was sie reichlich taten. Merke: Geldgierig sind immer nur die anderen.

(Was ich auch lernen musste: Sein Hobby zum Beruf machen, ist Blödsinn. Ein Hobby ist etwas, das man macht, um Abstand zu bekommen von seinem Beruf. Wer sein Hobby zum Beruf macht, braucht danach also ein neues Hobby.)


Es ist natürlich leicht, Kliemann jetzt zu verteufeln. Abgesehen davon, dass er mir unsympathisch ist und ich seine Musik nicht mag (was beides im Zweifel mein Problem sein kann), glaube ich ihm sogar, wenn er sagt, er habe nie einen Unterschied gemacht zwischen privatem Geld und Firmenkapital. Kann ich nachvollziehen. Für einen Unternehmer ist Geld immer auch Arbeitsmittel, das vergisst man als abhängig Beschäftigter leicht. Zudem sind die, die da für einen feuchtwarmen Händedruck mitgetan haben und mittun an der Mehrung des Kliemannschen Reichtums, wie es aussieht, allesamt erwachsene Menschen, die ihre eigenen Entscheidungen getroffen haben. Mögen sie mit den Konsequenzen umgehen und daraus lernen.

Anders sieht es aus mit den Geschäften, die er z.B. mit Masken getätigt hat. Zwar habe ich die ganzen Mails und Chatprotokolle nicht gelesen, aber es scheint nirgends anzuklingen, dass ihm angesichts der in Bangladesch zu den üblichen Bedingungen hergestellten Masken und der Tatsache, dass er sie als in Europa fair produziert ausgegeben hat, jemals Zweifel gekommen wären oder er Skrupel geäußert hätte. Für einen, der so rumposaunt, eine bessere Welt aufbauen zu wollen, vielleicht ein wenig dünne.

Wenn ich eines an Marktwirtschaft und Kapitalismus immer einleuchtend fand, dann dieses Bonmot, es sei besser, der Bäcker verkaufe sein Brot nicht aus Sympathie, weil ich so ein prima Kerl bin, sondern aus reinem Eigeninteresse. Das mag auf den ersten Blick nicht nett sein und ist auch nicht persönlich, sorgt aber für klare Verhältnisse. Du-mir-geben-Hinkelstein-ich-dir-geben-Sesterzen. Keine Soße. 

Andernfalls wäre man nämlich abhängig vom Gutdünken oder der Gnade des Bäckers. Würde ich auch nicht wollen. Daher lehne ich auch Freundschaftspreise ab. Wer etwas für mich für Geld tut, soll einen ehrlichen Preis nennen, den ich wenn irgend möglich auch bezahle. Keinen Bock auf Diskussionen der Marke "Ich habe das damals doch nur getan, weil..." Die Welt wäre vermutlich eine bessere, zumindest aber ehrlichere, wenn wirklich überall, wo es um Leistung gegen Leistung geht, so verfahren würde. Tut es nur nicht.

Ehrenamtliche Arbeit ist in alle möglichen Geschäftsmodelle fest eingepreist, und zwar nicht erst seit Kurzem. Events wie Olympische Spiele und andere Sportveranstaltungen oder Musikfestivals wären kaum machbar ohne die un- bzw. kaum bezahlte Arbeit zahlloser Freiwilliger. Jeder kreativ Tätige kennt diese Anfragen, "mal eben" dies oder jenes für umme zu machen, weil "ist ja auch irgendwie Werbung für dich und wir kennen uns doch und so" (machte es niemand, gäbe es solche Anfragen übrigens nicht). Von Veranstaltungen wie den 'Tafeln' oder so genannten Ein-Euro-Kräften habe ich noch gar nicht angefangen.

Es ist gut, dass Kliemanns diverse Geschäftsgebaren jetzt ans Licht kommen und man sollte ihn gewiss nicht unnütz in Schutz nehmen. Ein Einzelfall ist er aber definitiv nicht, im Gegenteil. Jetzt mit dem Finger bloß auf ihn zu zeigen, hätte daher was von billigem Exorzismus.






7 Kommentare :

  1. Ein toller Text zu einer unerquicklichen Sachlage!
    Dass es nicht ins Paradies führt, die (früher heftig erwünschte) "Einheit von Leben und Arbeiten" herzustellen, musste ich auch erst durch Erfahrung lernen!

    Ehrenamtliche Arbeit kann und soll man nicht ganz abschaffen. Es kann nicht alles bezahlt werden, wovon denn? Vieles würde dann so teuer, dass es sich nurmehr Besserverdiener leisten könnten (oder es gar nicht stattfindet) - auch kein schöner Zustand!

    Sehr eigenartig fand ich in dem Zusammenhang Meldungen, dass sich die Gastgeber/innen, die spontan Ukraine-Flüchtlinge aufgenommen hatten, nun "vom Staat im Stich gelassen" fühlten. Keine Ahnung, was da dran ist, aber wenn es stimmt: Was war das denn nun? Freiwilliges, spontanes Engagement, Hilfsbereitschaft? - oder doch nur "Geschäftsführung ohne Auftrag" für den Sozialstaat, der dann vom Start weg alles im Nachhinein bezahlen soll?

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  2. Das sollte nicht "anonym" rüber kommen, war ein falscher Klick!

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    1. Danke. Natürlich ist Ehrenamt was Tolles. Gegen freiwillige Feuerwehren, Sportvereinsarbeit oder meine persönllichen Helden von der DGzRS, die größtenteils Ehrenamtliche sind und ihr Leben riskieren, gibt es nicht das Geringste einzuwenden. Übel wirds halt nur, wenn so was in ein kapitalistisches Verwertungsmodell eingepreist ist.

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  3. ... guten Tag,
    das mit der Selbstfindung ist ja gut und schön. Auch das warme Gefühl etwas Gutes zu tun ist OK.
    Nicht OK ist es sein Leben der Selbstfindung zu widmen, damit jemand anderes das finanziell ausnutzt, um am Ende rententechnisch von der Allgemeinheit alimentiert zu werden. Das ist mir ein bisserl zu viel Kapitalismus und Egoismus drin.

    Gruss
    Jens

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  4. Oh, dann bin ich anscheinend das unmögliche Gegenbeispiel, der ich mit 29 das geerbte Familienunternehmen aufgegeben habe, um dann zweimal nacheinander ein Hobby zum Beruf zu machen und gut genug davon und damit zu leben, dabei die aus og. Familienunternehmen gebliebenen Schulden bedienen zu können, zwischen erster und zweiter Hobby–>Beruf-Transition das Abitur nachzuholen und zu guter Letzt seit ein paar Jahren schuldenfrei dazustehen.

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    1. Nun ja, ausgeschlossen ist das nicht. Wenns geklappt hat - Glückwunsch, alles fein. Ich halte das nur für ein problematisches Ideal und längst nicht in allen Berufen machbar.

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    2. Kein Widerspruch. Ich war und bin privilegiert – ich bin in [m]einen dynastischen Familienbetrieb hineingewachsen und habe dann die Reste zerlegt, hatte eigenes Haus, Mieteinnahmen, blah. Diese Distanz zwischen Brotjob und Hobby kenne ich tatsächlich aus der Zeit davor.

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