Dienstag, 5. Juli 2022

Die Dienstpflicht ruft - nicht.


Momentan wird wieder "händeringend" nach Arbeitskräften gesucht. Wie eigentlich immer. Nach Arbeitskräften zu suchen, ohne dabei die Hände zu ringen, ist ja seit Jahrzehnten verpönt, quasi kaum mehr denkbar. Ist die Fähigkeit eigentlich angeboren oder kann man das irgendwo lernen, dieses Händeringen? Gibt es da VHS-Kurse oder IHK-Fortbildungen? "Willkommen zu unserem Wochenendseminar 'Erfolgreich Hände ringen für Anfänger'"? Oder kann man da einen Bachelor drin machen, einen Master oben drauf setzen und promovieren? Wenn nicht, dann kann das, gemessen an der Allgegenwärtigkeit dieser Kulturtechnik, nicht mehr allzu lange dauern.

"»Unfassbar, warum finden wir nur niemanden?«, beschwert sich der Unternehmer [Arnold Menschenschinder]. »Da zahlen wir genau auf Mindestlohnniveau, bieten unflexible Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden und mangelnde Aufstiegschancen und trotzdem will kaum einer bei uns anfangen. Ich stehe da vor einem Rätsel.« Ähnlich ergehe es befreundeten Unternehmern wie dem Chef der WerEinen-BetriebsratGründetWirdRausgemobbt OHG, der BoniNurAnVorstände AG und der Firma WirBildenNiemandenAusUndWundernUnsDannÜberFehlendenNachwuchs & Söhne. »Die finden auch niemanden. Es ist echt wie verhext!«" (Der Postillon)

Es ist schon lustig: Ungefähr dieselbe bürgerlich-konservativ/liberale Blase, mit tatkräftiger Unterstützung von Spezialdemokraten, der Deutschlands Jugendliche und Jungmenschen einst nicht jung genug sein konnten beim Übertritt ins Berufsleben -  will heißen: in die wirtschaftliche Ausbeutbarkeit -, die tapfer stritt für G8 und Turbostudium alla Bolognese, will jetzt wieder einen staatlichen Pflichtdienst einführen. Weil Markt- und Privatwirtschaft ja alles immer zum Besten für alle regeln.

Die Jungen sollen also bittesehr ein Jahr oder mehr ihrer Zeit und Arbeitskraft kostenlos - Halt Stopp! Für Kost und Logis plus ein lächerliches Taschengeld (bei Weigerung droht Strafe) - drangeben, damit man es der coronagebeutelten Wirtschaft nicht zumuten muss, allzu marktgerechte Löhne zu zahlen (merke: Angebot und Nachfrage gilt nur, solange es dem Kapital dient), sich gar um Mitarbeiter auch mal zu bemühen, und, wenn es nach einem wie Nikolaus Blome geht, auch am Airport dafür zu sorgen, dass coronagebeutelte Familien wieder in den Urlaub fliegen können. Begründung: Die Bundeswehr habe schließlich auch in den Gesundheitsämtern ausgeholfen. So siehst du aus, Schätzchen!

Kein Wort davon, dass ungefähr dieselbe bürgerlich-konservativ/liberale Blase, mit tatkräftiger Unterstützung von Spezialdemokraten, in den letzten Jahrzehnten alles Erdenkliche unternommen hat, damit die Situation exakt so desolat ist wie sie ist: Den öffentlichen Dienst zusammengestrichen, wo es nur ging (der ist mittlerweile vielerorts so unattraktiv, dass man Lehrer demnächst wohl per Rollkommando wird beschaffen müssen). Staatliche Leistungen gekürzt, wo es nur ging (und darüber hinaus). Die Infrastruktur verrotten lassen. Alles privatisiert und an Finanzmärkte und Investoren verschachert, was ging. Andere Volkswirtschaften zerquetscht. Es sehenden Auges zugelassen, wenn nicht aktiv befördert, dass das Land zur Billiglohnramschbude verkam. Wer das zu kritisieren wagte, war ein 'linker Spinner'.

Und jetzt, da es für diese satt und fett auf ihren Planstellen sich fläzenden oder sonstwie gut versorgten Boomer mal ein klein wenig unbequem zu werden droht - will heißen: jetzt, da die Ergebnisse exakt dessen, wofür sie die letzten Jahrzehnte gestritten haben, auch ihnen auf die Füße zu fallen beginnen, da rufen sie nach staatlichem Zwangsdienst für die Jungen. Damit das verwöhnte Jungvolk auch mal was zurückgibt. Für was denn? Den ganzen ausgefallenen Unterricht? Die Vorlesungen im Homeoffice? Die Lockdowns*?

Mal ehrlich: Ich glaube, es hackt.  




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*Die nicht wirklich welche waren, aber trotzdem.






9 Kommentare :

  1. Siewurdengelesen5. Juli 2022 um 23:38

    Tja - sowas kommt von sowas.

    An anderer Stelle schrubte ich bereits, dass neben diesem Rekrutieren billiger Arbeitskräfte bei Erfolg dann vermutlich als nächstes wieder die Wehrpflicht um die Ecke kommt. Schließlich wollen 100 Mrd. Euro auch von irgendwem verballert werden.

    Anscheinend finden sich trotz aller Knebel dennoch immer weniger Menschen, die sich so verheizen lassen wollen und alle Tätigkeiten lassen sich eben nicht ohne ein gewisses Maß an Ausbildung und dementsprechender Bezahlung pulverisieren. Der "Fachkräftemangel" ist m.E. ohnehin so eine Chimäre, nur dass eben inzwischen die Phasen der billig eingesammelten Arbeiter wie 1989 aus der DDR und später aus Osteuropa und über die Flüchtlinge gerade wieder am unteren Level angelangt sind, die man trotz Qualifikation für weniger Kohle in die entsprechenden Berufe pressen konnte. So btw. wurde sich ja wirklich vielerorts Mühe gegeben, selbst Berufe in jeder Hinsicht unattraktiv selbst für Interessierte zu machen, die mehr Berufung sind - Thatcherisierung at it´s best. Wer will schon mit spätestens Mitte 30 ausgebrannt und ohne Kohle fertig sein mit Leben und Welt...

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  2. Ich finde ja die Idee von Sarah Bosetti für einen Pflichtdienst charmant (https://youtu.be/abRgDb9R-j8): Einfach *drei* Pflichtdienste einführen:
    Einen mit 20, einen mit 40 und einen mit 60.

    Natürlich mit einer gewissen Flexibilität, so das z.B. junge Menschen ihren Pflichtdienst direkt nach dem Schulabschluss oder ältere nach Renteneintritt ableisten können. Wer mit 40 ,,mitten im Leben steht'' könnte den Pflichtdienst ja auch teilweise nach Feierabend und im Urlaub machen.

    Klar ist, dass die Menschen nur Dienste machen müssen, zu denen sie z.B. körperlich in der Lage sind.

    Auf diese Weise wären fast alle Menschen, die über einen Pflichtdienst ,,diskutieren'' selber von einem betroffen. Es fordert sich recht einfach ein Pflichtdienst, den man selber nicht leisten muss ... :-)

    Bis es zu einer neuen Wehrpflicht kommen kann, wird es noch Jahre bis Jahrzehnte dauern: Es gibt keine entsprechende Wehrverwaltung mehr (ältere Westdeutsche werden sich noch an das ,,Kreiswehrersatzamt'' erinnern) und Deutschland ist nicht mehr in der Lage, neue Verwaltungsstrukturen aufzubauen (Beispiel Gesundsämter und Corona). Die Bundeswehr könnte die vielen, vielen Wehrpflichtigen auch weder unterbringen, noch ausbilden. Das Unteroffizier-Korps ist dazu auch zu klein und genügend Führungskräfte auszubilden dauert ebenfalls Jahre.

    Literaturempfehlung zum Thema Wehrpflicht: ,,Deutsche Krieger'' von Dr. Sönke Neitzel. Es geht in dem Buch zwar primär um ein anderes Thema, aber er beleuchtet meiner Meinung nach sehr gut die ,,Wachstumsschmerzen'', die bei einer rasanten Vergrößerung einer Armee entstehen (er betrachtet die Wehrmacht und die Bundeswehr).

    Außerdem gilt für einen Pflichtdienst das Gebot Verhältnismäßigkeit. Auf die Verfahren vor dem BVerfG bin ich schon gespannt ...

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    1. Siewurdengelesen6. Juli 2022 um 11:21

      Wozu soll ich für irgendetwas einen "Pflichtdienst" leisten, wenn der nur dem Lohndumping dient? Wenn ich mich engagieren will, dann mache ich das freiwillig und dort, wo ich das will, wie es meine Wenigkeit bei der hohen Zeit der Flüchtlinge getan hat und was sich abzusehend wieder verstärken wird. Ganz sicher lasse ich mich aber nicht zu etwas "verpflichten", nur weil es gerade den Herren in Wirtschaft und Poltik zum Stopfen von Engpässen gerade so in den Kram läuft.

      Erst wird auf Hintertreiben der "Wirtschaft" alles auf Minimum gefahren und diese zum Dank dafür mit Milliarden gefüttert, während mit wirklich Bedürftigen das Spiel "Passierschein A38" läuft. Jetzt wo dieselben Unternehmen die Beschäftigten für ihre Aufträge nicht mehr schnell genug rekrutieren kann - von adäquater Bezahlung ganz zu schweigen - kommt rein zufällig der Grüßaugust mit so einer Nummer unter seinem Stein hervor gekrochen. Steinmeier war wohlgemerkt auch einer der Beteiligten an der Agenda 21, der wir u.a. diese jetzigen Verhältnisse zu verdanken haben.

      In dem Zusammenhang hat dann das pastorale Geschmachte mehr als nur einen faden Beigeschmack, in dem er von Zitat: "Den Horizont erweitern in einer Zeit, "in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt", da könne eine "soziale Pflichtzeit besonders wertvoll" sein." spricht. Bei H4, Renten- und Lohnabbau hat er aus sozialer Sicht bemerkenswert wenig Interesse für andere Lebensentwürfe gezeigt. Der Artikel ist in gewisser Weise dennoch lesenswert.

      Was das Wiedereinführen einer Wehrpflicht betrifft, bin ich mir relativ sicher, dass bei solchen Sachen die Strukturen ganz schnell wieder vorhanden wären. Wobei sich 100 Milliarden Euro ganz sicher auch in vielen der ach so wünschenswerten zivilgesellschaftlichen Engagements hätten einsetzen lassen, ohne das es dazu eines Pflichtdienstes bedürfte.

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    2. "Kein Wort davon, dass ungefähr dieselbe bürgerlich-konservativ/liberale Blase, mit tatkräftiger Unterstützung von Spezialdemokraten, in den letzten Jahrzehnten alles Erdenkliche unternommen hat, damit die Situation exakt so desolat ist wie sie ist: .... etc."

      BTW. — Der Flughafen Düsseldorf wollte ursprünglich die fehlenden Leute per Leiharbeit einstellen — da hat angeblich Hubertus Heil persönlich auf den Tisch gehauen ...

      Ansonsten: So ist es — genau so!!

      Gruß
      Jens

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    3. @Siewurdengelesen
      Ich fürchte, Du hast meinen Kommentar nicht ganz verstanden: Wenn *jeder* (auch die Älteren) von einem Pflichtdienst betroffen wäre, würde man nicht so pastoral daher reden. Anderen einen Pflichtdienst an die Backe zu schwatzen ist leicht -- nur wenn man selber betroffen ist, denkt man über die Folgen nach.

      Was die Einführung der Wehrpflicht angeht:
      Nein.

      Guck Dir mal den Personalstand im öffentlichen Dienst an: Offene Stellen allüberall! Woher sollen die aberhunderten von Beschäftigten herkommen?

      Man braucht Musterungsärzte, man braucht Ausbilder. Wo sollen Ausbilder herkommen? Die muss man ja erst mal selber ausbilden. Wie bereits erwähnt: Lies Dir mal das Buch von Sönke Neitzel durch: Du kannst noch so viele Milliarden auf eine Armee werfen -- wenn Du keine Leute hast, hast Du keine Leute.

      Ich weiß, dass viele Leute das gerne so sehen würden und von ,,Aufrüstung'' und von ,,Europas größter Armee'' als Schreckgespenst faseln, aber die haben schlichtweg keinen blassen Schimmer von der Realität in der Truppe.

      Nix für ungut!

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    4. Siewurdengelesen6. Juli 2022 um 21:43

      Ohne das jetzt unnütz verlängern zu wollen: Den Personalmangel im öffentlichen Dienst kennne ich als quasi dort Beschäftigter auch ganz gut;-)

      Was die BW betrifft, so haben die als Berufsarmee ein Problem mit ihren Soldaten, nachdem es tatsächlich ernst werden könnte. Irgendwann wird der Schwund vermeintlich kompensiert werden müssen und wenn für nix Kohle und Aufwand da ist, denke ich dennoch, dass das im Zweifel ganz schnell gehen kann.

      Zum Pflichtdienst d'accord - aber das trifft ja auch auf die ganzen Sparvorschläge zu, dass diejenigen kaum davon betroffen wären, die sie der Allgemeinheit unterjubeln wollen. So btw. löste der auch da nicht die hausgemachten Probleme.

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    5. Schön, wenn man sich verträgt.
      Ich denke, der Wehrdienst ließ sich 1955ff in D (west) verfassungsmäßig nur rechtfertigen, weil man die Notwendigkeit der Landesverteidigung unter den Bedingungen des Kalten Krieges höher gewichtete als das in der Verfassung verankerte Verbot eines Arbeitszwangs bzw. einer Dienstpflicht. Würde man die jetzt einführen wollen, dürfte es Verfassungsbeschwerden hageln, vor allem, ein derart schwerwiegender Eingriff in die Rechte des Einzelnen in privatwirtschaftliche Verwertungsmodelle eingepreist zu werden. Wenn man Leute am Flughafen dienstverpflichten kann, damit, wie Blome meint, Familien wieder in Urlaub fliegen können, warum nicht auch Dienstleistende bei amazon, damit das Weihnachtsfest nicht ins Wasser fällt?

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    6. @Siewurdengelesen

      Da sind wir uns ja weitgehend einig, bis auf die Frage, wie schnell man eine Armee vergrößern kann. Das von mir erwähnte Buch gibt es übrigens für 7 Euro bei der Bundeszentrale für politische Bildung (https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/345900/deutsche-krieger/).

      @Stefan Rose
      Genau diese Fragen meinte ich als ich mich schon auf die Urteile des BVerfG freute. :-)
      Eigentlich ist z.B. unser Bundespräsi ja studierter Jurist. Müsste er diese Güterabwägung nicht kennen? Oder ist das nur eine Nebelkerze?

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  3. Siewurdengelesen7. Juli 2022 um 11:59

    Hoffentlich liegt Ihr da nicht falsch:

    Wehrpflicht - Grundwehrdienst

    Der nach wie vor gültige Artikel 12a des Grundgesetzes

    Beachtet dabei die Absätze 5 und 6. Mit solchen "Spitzfindigkeiten" sind z.B. zu DDR-Zeiten Kriegsdienstverweigerer über den Hebel Bausoldaten doch für militärische Leistungen und als billige Arbeitskräfte mißbraucht worden, auch wenn das freilich in einer ganz anderen Kategorie spielt.

    Der allgemeine Wehrdienst ist also lediglich ausgesetzt worden, während die Wehrpflicht nie angerührt wurde. Und ähnlich wie bei Änderungen des Seuchenschutzgesetzes ist das im Zweifel eine Frage einer Abstimmung.

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