Dienstag, 19. Juli 2022

Sommerloch: Sissi mit Handschellen

 
Unter der (vernichtenden) Kritik über den Film 'Fifty Shades Of Grey' im Guardian schrieb eine Kommentatorin, sie sei seit über 15 Jahren in der Fetisch-/BDSM-Szene unterwegs und niemals, nicht ein einziges Mal, sei ihr dort jemand begegnet, der versucht habe, einen Menschen, der nicht von sich aus Zustimmung, Interesse oder zumindest Neugier signalisiert habe, zu solchen Praktiken zu bekehren bzw. dazu zu manipulieren. Wer so etwas täte, betriebe nichts anderes als Missbrauch.

Weil ich mich in der Lackundlederszene mangels Neigung ungefähr so gut auskenne wie in der Antarktis, kann ich natürlich nicht beurteilen, ob das dort Konsens ist oder eher eine Einzelmeinung. Sollte dieses Statement aber weitgehend repräsentativ sein, dann ist das nicht nur ziemlich sympathisch, sondern würde ganz nebenbei auch offenbaren, dass 'Fifty Shades Of Grey' mit der BDSM-Szene ungefähr so viel zu tun hat wie etwa die japanische Anime-Serie 'Kickers' mit einem echten Fußballspiel.

In Sachen Glaubwürdigkeit wäre der Fall damit eigentlich so weit klar: Der BDSM-Kram ist mehr oder weniger Kulisse und wer wirklich etwas erfahren möchte, ist sicher gut beraten, zu anderem zu greifen. Christian 'Ich! F***e…! Hart!' Grey, passionierter Romantiker und männliche Hauptfigur, ist demnach, wenngleich sagenhaft reich, bloß ein manipulatives Arsch und hat nichts begriffen vom Spiel mit Unterwerfung und Unterworfenwerden. Außerdem, so ist zu hören, hat er im Film keinen Penis. Gut, das liegt natürlich daran, dass es sich um eine amerikanische Produktion handelt, die auf ein Massenpublikum abzielt, verleiht der Sache andererseits auch einen gewissen ironischen Charme, wie ich finde.

Was also bleibt noch übrig, wenn man Fesselfirlefanz und Züchtigungszinnober subtrahiert von der Liebesgeschichte? Ein stinknormaler, uröder Cinderella-Sozialporno wie tausend andere. Ana, Literaturstudentin mit unreichem Hintergrund, soll einen sagenhaft reichen Tycoon interviewen, ist ihm bald verfallen (man kann an so einer Stelle übrigens fragen, ob sie ihm in ähnlicher Weise verfallen würde, wenn er kein sagenhaft reicher Tycoon, sondern, sagen wir, Busfahrer bei den städtischen Verkehrsbetrieben wäre - umgekehrt kann man spekulieren, wie viel geringer die Faszination der Dame für den solventen Pinkel ausfiele, wenn er keinen aufregenden, exotischen Sexualpraktiken anhinge, sondern nur Briefmarken sammelte oder so) und findet durch ihn zu ihrer wahren Bestimmung. In etwa wie 'Sissi' eben, nur mit Handschellen.

Klar, Kitsch und Triviales hat es schon immer gegeben und eigentlich ist das auch kein Problem. Nur ist es eben kein wirklich schöner Gedanke, in einer Welt leben zu müssen, deren kommerziell erfolgreichste Literatin ihre wichtigsten Protagonistin zwecks Simulation von Gebildetsein aufgeblasenen Kokolores in Ich-Form ventilieren lässt wie: "Mein Unterbewusstsein fächert sich hektisch Luft zu, während meine innere Göttin in einem lustvollen Rhythmus vor Erregung zu zucken beginnt". Die fortschreitende Digitalisierung des Mediums Buch hat ja durchaus auch ihre positiven Seiten. So kann man sich zum Beispiel mit dem Gedanken trösten, dass für so was in Zukunft wohl weniger Bäume gefällt werden.

Vielleicht aber tut man einem der größten popkulturellen Phänomene der letzten Jahre auch bitter unrecht, wenn man es derart rüde abkanzelt. Möglicherweise steckt wirklich mehr dahinter, ja, eventuell rührt die Faszination daher, dass die Figur des Christan Grey in Wahrheit eine clevere Allegorie auf unsere Zeit ist, wie die kluge Hadley Freeman meint:

"Fifty Shades' unwitting cleverness came from literalising this: the awareness that capitalism screws us all, and that a lot of people get off on that."

Wäre das so, dann sagte der Erfolg von Buch und Film eine Menge Unangenehmes aus über die Welt im 21. Jahrhundert. Wie dem auch sei: Wer unter uns Älteren hätte sich so zirka 1990 vorstellen können, dass eine flache Schmonzette wie 'Pretty Woman', gemessen an anderem, einmal als ziemlich straighter, ehrlicher Film durchgehen würde?
 

Dieser Beitrag erschien hier erstmals am 13. Februar 2015. Geändert wurde nichts. Bestraft mich!







3 Kommentare :

  1. " … Mein Unterbewusstsein fächert sich hektisch Luft zu, während meine innere Göttin in einem lustvollen Rhythmus vor Erregung zu zucken beginn …"
    Herrlich, ich stelle mir gerade vor, wie das von Thorsten Sträter als Teil seines Programms vorgelesen wird ...

    Gruß
    Jens

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  2. Das Stuttgarter Sommerloch ist auch riesig:
    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.schwaebisch-gmuend-grossdeinbach-vw-bei-geschlechtsverkehr-auf-motorhaube-beschaedigt.15d7c7bf-6916-4179-9098-ebee22bf6a87.html

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hauptbahnhof-stuttgart-streit-um-kaffeespritzer-artet-aus-schlaegerei.98186379-301c-45e7-843a-e631109fd0b2.html

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.geschlecht-ist-schon-bekannt-bauer-sucht-frau-denise-und-nils-bekommen-ein-baby.42d834e6-1382-4192-8885-2d67b3865ce0.html

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgarter-hauptbahnhof-streit-um-sitzplatz-eskaliert-nach-polizistin-getreten.69b77c78-ac5e-4614-8768-0073a115a927.html

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.phase-5-und-6-im-mcu-angekuendigt-von-captain-america-bis-loki-so-geht-es-mit-den-marvel-helden-weiter.f32f5521-4da1-4093-9360-a2edda333408.html

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.alicia-vikander-so-ungluecklich-war-sie-am-hoehepunkt-ihrer-karriere.db6409b2-2e1b-4c13-81f4-81c1cb3776a4.html

    https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.energie-sparen-kueche-mhsd.aded8c99-6699-456e-845b-d3d53cd75c8a.html

    und 10 Meldungen a la "Wo brennt es in $land?"

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