Samstag, 22. November 2025

Jenseits der Blogroll - 11/2025


"Es ist ein neuer Versailler Vertrag -- mit dem wichtigen Unterschied, dass diesmal nicht der Aggressor bestraft wird, sondern das Opfer, und der Aggressor belohnt wird. Es ist ein neues Münchner Abkommen, weil es dem Aggressor Appetit auf mehr machen wird und sogar die Voraussetzungen für künftige Aggression schafft." (Carlo Masala)

Wieder einmal bewahrheitet sich: Wer nicht mit am Tisch sitzt, steht auf der Speisekarte. Wenn der von den USA und Russland ohne Beteiligung der Ukraine bzw. über deren Kopf hinweg ausbaldowerte 'Friedens'plan tatsächlich in Kraft treten sollte, dann bedeutet das nichts weniger als eine Kapitulation der Ukraine und des Westens vor Waldimir Putin, der nicht nur gegen ein paar windelweiche Erklärungen ('Nichtangriffspakt' -- ein Spitzenwitz since 1939!) all seine Kriegsziele erreichen würde, sondern auch indirekt Kontrolle über die NATO bekäme, alle Sanktionen vom Hacken hat und wieder vollwertiges Mitglied der Weltgemeinschaft wird. Das kommt eben dabei raus, wenn ein skrupelloser Imperialist und ein halbintelligenter, erratisch agierender Hirndimpfel das tun, was Friedensfreunde immer fordern: Verhandeln.

Die Moral von der Geschicht ist: Angriffskriege lohnen wieder, die NATO steht doof daneben und wird kalt gestellt. (Erwähnte ich schon, dass es nach dieser Kapitulationsurkunde allein im Ermessen des US-Präsidenten liegen soll, ob ein Angriff auf die NATO stattfindet oder nicht?) In Taiwan, aber auch in Polen und dem Baltikum, wo bestimmt russische Muttersprachler:innen leben, die nach Befreiung dürsten, wird man das beglückt zur Kenntnis nehmen. Oh, und vor allem in Polen wird man es mit großem Vergnügen vernehmen, dass der Ministerpräsident des Nachbarbundeslandes schon wieder vom billigen russischen Gas faselt. Was noch nie etwas anderes war als Propaganda.

Und komme mir niemand mit "Aaaach, der Putin wird doch nicht Polen angreifen! Wieso sollte der das tun? SO blöd ist der nun wirklich nicht!" Hatten wir schon mal, den Gag. Wie auch immer, ich neige nicht zum Schwarzsehen, aber ich fürchte, wir gehen sehr, sehr ungemütlichen Zeiten entgegen. 

Die Links und Fundstücke:

Politik. Jonas Schaible zur auffallend gegenwärtigen Frage, ob die Brandmauer zur 'A'fD wegmüsse.

Für Carolin Amlinger ist Faschismus vor allem eine Führung der Gefühle.

Richard Schubert über das Phänomen von Antisemiten, die um Himmels Willen keine sein wollen.

Die 'A'fD wird und will die meisten ärmer machen. Maurice Höfgen erklärt, warum.

Ein immer noch hoch aktuelles Interview mit Robert Pfaller von 2014.

"Wenn ich unendlich empfindlich bin, dann beginnt mich ja alles zu stören. Da komme ich schnell auf Ideen, was noch alles ungesund oder unerträglich sein könnte am anderen. Was politische Bürger ausmacht, ist ja die Fähigkeit, ihre Marotten hinter sich zu lassen und in der Öffentlichkeit ein Stück besser, höflicher, unempfindlicher aufzutreten, als sie vielleicht wirklich sind. Das ist zugleich die Ebene, auf der man sich mit dem Glück des anderen solidarisieren und es auch als sein eigenes Glück empfinden kann. Wenn die Leute das nicht mehr können, weil sie gegen alles empfindlich sind, dann sind sie auch nicht fähig, sich zu solidarisieren. Dann ist das Glück des anderen nur noch vorstellbar als Bedrohung. Deshalb ist die Glücksunfähigkeit eine der wichtigsten Ressourcen reaktionärer Politik." (Pfaller, a.a.O.)

Interview mit dem Soziologen (und BVB-Ultra) Aladin El-Mafaalani zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen in Deutschland.

Stefan Gärtner über Laubbläser und Revolution.

"Revolution von links heisst, das Böse, Falsche, Schlechte abzuschaffen. Ist linke Revolution nicht gewollt oder möglich, muss Links das Böse, Falsche, Schlechte verbieten, weshalb es nur konsequent ist, wenn die Rechte vorm «Verbotsstaat» warnt." (Gärtner, a.a.O.)

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Beate Tröger über die große Ursula Krechel. Die Dame war Anfang der Neunziger ein Semester lang Poet in Residence bei uns an der Uni. Und ich Depp...

Für Bernhard Hiergeist ist Vince Ebert das Trojanische Pferd des deutschen Kabaretts. Ebert macht seiner Ansicht nach "Schlampiges Kabarett, das auf schlampigem Denken fußt". Und der ÖRR bucht ihn fleißig.

Die alten Römer gelten als überaus hygienisches Völkchen. Wo eine Legion mehr als drei Tage kampierte, wurde ein provisorisches Badehaus errichtet, weil sonst Meuterei drohte. Hat sich schon mal jemand gefragt, wieso derart auf Sauberkeit bedachte Menschen sich auf dem öffentlichen Klo ("Non olet!") rektal mit einem Schwamm gesäubert haben sollen, der von allen benutzt wurde? Think twice

Darius Kühner über Jūzō Itamis Film 'Tampopo' (1985). Wer ihn noch nicht gesehen hat -- nachholen!

Musik. Meine Damen und Herren, ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns hier endlich einem epischen Meilenstein des Metal nähern. Lehnen Sie sich zurück und genießen Sie das mächtige, schier endlose Intro, die sublim getexteten Strophen voll feinsinniger Metaphorik, den hymnischen Refrain, die irren Harmoniewechsel und aberwitzigen chromatischen Soundkaskaden des Sologitarristen:


(Video im erweiterten Datenschutzmodus. Anklicken generiert keine Cookies.)


(Fun fact: 'You Suffer' von Napalm Death wird im Guinness-Buch als kürzestes jemals aufgenommenes Musikstück geführt.)

Essen/Trinken/gut leben. Wolfgang Abel über Milchschaumkultur und "straff durchkomponierte Milieucafés".

Micky Beisenherz ist irritiert von vorprogrammiertem Trinkgeld in Kartenlesern. Ich auch.

Belgiens Frittenkultur ist in Gefahr! Die traditionelle Bintje-Kartoffel bekommt Konkurrenz und die Kids kippen sich immer öfter schnöden Ketchup übers Kulturgut. Parbleu!

Clemens Sarholz über den Maler und begnadeten Fresssack Henri de Toulouse-Lautrec sowie über feine Eierspeisen.

Das Rezept. Der geschätzte Max Strohe kotzte sich letztens aus über den grassierenden Authentizitätswahn beim Essen: 

"War einer mal kurz ein paar Tage in Thailand, hat sich eine kurze Auszeit genommen zum Jahresbeginn, natürlich, dann ist auf einmal alles, woran man sich keine Verbrennungen dritten Grades im Mundraum zuzieht, »unauthentisch«. [...] Oder die Menschen, die zur Sommerfrische ein paar Wochen in Italien »gelebt« haben. Ja, genau die, die jetzt ausschließlich Prosciutto essen, das Wort Nudel aus ihrem aktiven Wortschatz verdrängt haben." (Strohe, a.a.O.)

Das stimmt zwar, aber um etwa eine Bolognese besserzuimprovisieren, wie er es in seiner Kolumne berichtet, sollte man die Basics schon draufhaben. Gulaschsuppe ist auch so ein Beispiel. Die ist ja, wie man von Menschen wie den oben genannten aufgeklärt wird, das eigentliche Gulasch, das die Pusztahirten sich einst im eisernen Kessel über offenem Feuer bereiteten. Aber auch eine sättigende, wärmende Möglichkeit, eine größere unvegane/-vegetarische Gesellschaft zu bewirten.

Ein Originalrezept gibt es aber wohl so wenig wie eines für Ragù alla Bolognese oder Kartoffelsalat. Alexander Heininger hat ein an der Wiener Küche orientiertes, auf das Wesentliche reduziertes Rezept auf Lager. Eine Ergänzung erlaube ich mir aber: Wie beim Gulasch ist unbedingt darauf zu achten, Paprikapulver bestmöglicher Qualität zu verwenden. Paprika ist nicht einfach ein Gewürz, sondern die Seele solcher Gerichte. Und frisch sollte es unbedingt sein. Wenn Sie irgendwo ein seit einem Jahr angebrochenes Glas rumstehen haben, dessen Inhalt sich farblich in Richtung gemahlener Ziegelstein entwickelt hat (Paprika leidet sehr unter UV-Licht, also nie im Glas oder in Klarsichttütchen!) -- weg damit, Sie tun sich keinen Gefallen. 







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