Dienstag, 6. November 2018

Der Weiter-so-Mann


Der Journalistik-Dozent Scott Maier sagte einst, Menschen würden JournalistInnen, weil sie gerne Geschichten erzählten und Mathe hassten. Das liefert immerhin eine schöne Erklärung dafür, wieso Teilen der Qualitätspresse angesichts des unverhofften Wiederauftauchens des einst weggemerkelten neoliberalen Messias Friedrich Merz der Sabber der Vorfreude aus allen Knopflöchern quillt. Merz ist einer breiten Öffentlichkeit nämlich vor allem durch die Forderung erinnerlich, eine Steuererklärung müsse auf einen Bierdeckel passen. Ich fand es schon als Schüler, als ich gelegentlich mit Spickzetteln arbeitete, immer bloß die entscheidende Frage, wie klein man zu schreiben imstande ist.

Merz, der Erlöser aus der Merkelschen Starre, werde die CDU wieder klarer positionieren, heißt es. Dass einschlägigen Bonzentruppen wie BDI und BDA die Hose aufgeht angesichts seiner jüngeren beruflichen Vergangenheit, ist ja noch irgendwie folgerichtig. Steht er doch für deren Hoffnung, sich endlich die letzten noch nicht kapitalisierten Winkel des menschlichen Daseins unter den Nagel reißen zu können. Aber sogar Teile der Linken jubeln: Endlich wieder ein Gegner! Endlich Schluss mit dem Merkelschen Mitte-Wischiwaschi, endlich wieder links gegen rechts, wie damals!

Echt jetzt? Wer das ernsthaft behauptet, muss sich fragen lassen, ob er eventuell nicht dem oft gedudelten Märchen aufgesessen ist, Angela Merkel habe die CDU sozialdemokratisiert. Merkel hat kein Stück weniger eine knallhart neoliberale Politik der sozialen Kälte durchgezogen wie ihre Amtskollegen überall sonst, nur eben mit dieser tantig-trulligen Mutti-Attitüde. Der einzige echte Unterschied ist, dass Merz die letzten knapp 20 Jahre seines Lebens auch offiziell in den Kreisen verbracht hat, deren Interessen die bürgerlich-parlamentarische Demokratie zuarbeitet. Man kann das einen Gewinn an Ehrlichkeit nennen, an Transparenz, wenn man mag. Ob sich so viel ändern würde unter einem Kanzler Merz? Wieso sollte es? Braucht doch gar nicht. Weiter wie bisher reicht völlig, wenn man sich das einschlägige Zahlenwerk ansieht.

(via aktuelle-sozialpolitik.blogspot.com)

Natürlich kommt der Neoliberalismus Anno 2018 anders daher als der von 2002, als Merz in der Versenkung verschwand. Es dürften sich heute kaum noch Mehrheiten finden für angeblich ganz einfache Wahrheiten, wie die vom immer alles zum besten regelnden Markt, in jedem Fall segensreichen Privatisierungen und Deregulierungen von Märkten, und was noch alles in den Neunzigern für Säue durch Frau Christiansens Fernsehersatzparlament getrieben wurden. Aber sonst? Hat sich am Sozialabbau, an der Spaltung der Gesellschaft etwas grundlegend geändert seither? Es ist grotesk: Eine seit über 13 Jahren ununterbrochen regierende Kanzlerin kündigt an, nicht mehr als Parteivorsitzende kandidieren zu wollen und alle scheinen sie immer noch schlecht genug zu kennen, dass sie den Eindruck haben, sie habe bereits ihren Stuhl im Kanzleramt zur Disposition gestellt. Zurück zu Merz: Was hat er denn so zu bieten, der große Hoffnungsträger?

Digitalisierung? Erneuerbare Energien? Elektromobilität? War von Merz, dem einstigen Mopedrocker von Brilon, je irgendwas von Substanz zu hören und zu lesen zu diesen nicht gerade unwichtigen Themen? Das ist völlig okay für einen Kandidatenkandidaten, der bei der nächsten Bundestagswahl ins Rentenalter einbiegt. Aber Hoffnungsträger?

Bleibt eigentlich nur eine Erklärung übrig, was die Auguren so antörnt an ihm. Es dürfte Merzens unnachahmliche Retro-Mischung aus BlackRock-gehärtetem Brachialkapitalismus und seinem früheren Eintreten für das, wie der jüngste, xte Versuch Stoibers gezeigt hat, intellektuell mausetote Pferd 'Deutsche Leitkultur' sein. Da geht beim kryptofaschistischen Bourgeois, dem die AfD bislang zu vulgär und zu wenig Mainstream war, natürlich die Sonne auf.



7 Kommentare :

  1. Sehr schön zusammengefasst! "tantig-trullige Mutti-Attitüde" - Herrlich.
    Etwas hast du vergessen. Merz ist elefantös nachtragend. Kommt aus dem Loch gekrochen, in der Minute, wo sie 10 cm weicht. Was muss der sich geärgert haben, all die Jahre.

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    1. Kann unmöglich gesund sein. Dabei ist das eigentlich Frau Merkels Spezialität. Ob es klug ist, sie da herauszufordern, wird sich zeigen.

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  2. Aber auch allen linken Liberalisierungsgegnern läuft der Sabber aus allen Knopflöchern. Endlich mal wieder jemand, auf den man nach Herzenslust einprügeln kann.

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    1. Ja, das habe ich sinngemäß ungefähr so geschrieben. Ansonsten gilt mit Marxens Karl: "Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet." (Kommunistisches Manifest)

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  3. Der Journalistik-Dozent Scott Maier war es, er sagte: »Menschen werden JournalistInnen, weil sie gerne Geschichten erzählen – und Mathe hassen.«

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    1. Besten Dank. Ich habe das mal gegen meine sonstigen Gewohnheiten nachträglich eingebaut.

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  4. Dieser Medienhype erinnert mich an den ehemaligen Spitzenkandidaten der SPD Chulz. Im Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen ist auf dem Nebengleis des Schulzzuges noch ein Platz frei für den Merz-Express.

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