Freitag, 4. Oktober 2019

Wutbürgerliche Küche


Bin kein Arzt, aber vielleicht sind es ja wirklich die Hormone, wie der letztens hier bereits lobend erwähnte Ulli Hannemann meint. Wenn pubertierende Monster austicken, pflegen kluge, verständige Erwachsene, die sich einen Rest an Langmut bewahrt haben, bevor sie irren Blickes zur Pumpgun greifen zu sagen: Machste nix. Das schwierige Alter. Sie meinen das nicht böse. Die Hormone! Auch bei Frauen, deren Vermehrungsfähigkeit altersbedingt endet, verweist man bei eventuellen klimakterischen Überspanntheiten auf den sich wandelnden Hormonhaushalt. Wieso sollte das bei alternden Männern anders sein? Anders ist allenfalls, dass es über die männlichen Wechseljahre keine laufenden Regalkilometer an Ratgeberliteratur gibt. Die Symptome indes sind unübersehbar:

"In dieser Lebensphase verranzen, verharzen und verhärten sie in ihren Ansichten. Ständig sagen sie irgendwas, was man ja wohl noch sagen dürfen wird und angeblich nicht kann. Überall wittern sie Bevormundung, Umerziehung und Gesinnungsterror. […] Doch obwohl sie sich damit im komfortablen Einklang mit dem Großteil des bürgerlichen Feuilletons befinden, gebärden sie sich wie Partisanen im Kampf mit einer gleichgeschalteten Übermacht der Wortklauber: »Irgendwann muss es doch auch mal gut sein.« Klassiker. […] Irgendwann muss es doch auch mal gut sein mit der falschen Rücksichtnahme auf Minderheiten und deren gleichberechtigter gesellschaftlichen Teilhabe. »Irgendwann« ist dabei immer jetzt, und auch der Grund ist stets derselbe: »Es nervt mich, es ist neu und es ist kompliziert.« […] Und schon wieder rückt so ein Bengel an der Supermarktkasse nicht auf. Wozu leben die eigentlich länger als wir?" (Hannemann, a.a.O.)

So ist es doch: Von nicht mehr ganz so ferne winkt immer schwerer übersehbar Freund Hein herüber, der arge Schnitter. Überall zwackt, ächzt und knackt's in der Karkasse. Die Wampe wird auch nicht weniger. Nachts muss man schon mal austreten. Der am häufigsten konsultierte Arzt ist nicht mehr Unfallchirurg, sondern Urologe. Auch sonst kriegt man immer derber vor die Fresse, dass man nicht mehr der coole Checker von Anno dazumal ist. Immer öfter fühlt man sich eher so geduldet, obwohl man doch gerade mal lumpige 25 Jahre älter ist als die hübsche junge Frau, die man gerade zuzutexten oder sonstwie zu beeindrucken versucht. Überhaupt kommt es immer seltener zu gewissen inhosalen Lustigkeiten. Und wenn doch, dann im unpassendsten Moment. Etwa wenn man gerade keine Hose anhat, weil man in der Sauna ist.

Zumindest letzteres kann als Beleg herhalten, dass auch beim alternden Manne sich hormonell was tut. Wieso sollte das nicht auch aufs Gemüt schlagen? Und es ist ja auch nicht wirklich neu. Von jeher tun Männer, die langsam auf die Zielgerade zusteuern, teils seltsame Dinge. Ergeben sich, gern unter dem Deckmäntelchen der Weinkennerschaft, dem Suff. Entdecken den Hobbykoch in sich und belästigen mit den Folgen Familie und Freunde. Oder fangen manisch das Sporteln an und verstopfen bei diversen Marathonläufen noch die größten Großstädte. Machen einen Motorradführerschein, kaufen sich einen heillos überdimensionierten Hobel und werden Organspender.

Wer über die Mittel verfügt, sich einen mondänen Lebensstil zu leisten und sich gegebenenfalls auch pharmazeutisch aufhelfen zu lassen, tauscht gern mal die langjährige Gattin gegen ein deutlich jüngeres Modell (Buhhh! #Objektifizierung! #Aufschrei! #Hängtdassexistenschweinhöher!). Das ist fürderhin außer mit Gutaussehen vor allem damit beschäftigt, der Umwelt glaubhaft zu machen, allein Amors Pfeil, die reine, lautere Liebe habe sie in die Arme ihres neuen Liebsten getrieben, keinesfalls aber dessen Villa am Starnberger See, der Porsche, der Kontostand und der fette Brillantring, den er als Geschenk hat rüberwachsen lassen. Überhaupt, wie man bloß auf einen anderen Gedanken kommen könnte. Wer nicht über die Mittel verfügt, hat Pech. Wer wenigstens etwas auf der hohen Kante hat und sich an festem jungen Fleisch vergreifen will, sich aber zur fein ist fürs Puff, kann die Emigration nach Thailand versuchen.

Man kann sich auch komplett aus dem Spiel nehmen. Indem man sich ein zeitaufwändiges Hobby zulegt etwa. Mein seliger Großvater, der seine ungeklärte NS-Vergangenheit mit ins Grab nehmen sollte, hat sich die letzten zehn Jahre seines Lebens in den Hobbykeller zurückgezogen, wo er hervorragende ferngesteuerte Segelflugmodelle baute. Wäre er auf eine Schnapsidee verfallen wie die, im Haushalt zu helfen, dann hätte meine selige Oma ihm vermutlich mit dem Schrubber eins übergebraten.

Oder man geht ins Internet und lässt die Sau raus. Wird Wutbürger. Eine sehr preisgünstige Variante, mit den vermutlich hormonell bedingten und/oder aus verdrängter Todesangst resultierenden Gefühlsschwankungen zwischen Weinerlichkeit und Aggressivität umzugehen. Alles, was man braucht, ist ein gebrauchter Laptop, WLAN und ein bis mehrere Accounts in so genannten Sozialen Netzwerken.

Wutbürger kennt ihr nicht? Macht nichts, erklär ich euch:

Die Welt hat verdammt noch mal so zu sein, wie er sich das vorstellt, also wie früher, und vor allem sollte sie nicht die Kühnheit besitzen, sich einfach ohne seine ausdrückliche Erlaubnis weiterzudrehen. Sämtliche Annehmlichkeiten der kurrenten Welt wie billige Flüge, spottbilliges Fleisch, fette SUVs, ein nie dagewesenes Angebot an Konsumware etc., werden hingegen gern genommen, ja im Tonfall eines bockenden Pubertierenden 'verteidigt'. 'Die da oben' sind ausnahmslos dumm, korrupt und gierig und machen, was sie wollen. Die Jugend, über die man sich sonst gern beschwert, weil sie so oberflächlich und unpolitisch ist, soll gefälligst Fresse halten und zur Schule gehen, anstatt mit ihrer Klimahysterie rumzunerven. Im Minutentakt rassistischen und anderen Dreck zur Geräuschluke rauslassen, macht einen mitnichten zu einem rassistischen Arschloch, nein, man ist vielmehr ein 'endlich Aufgewachter', ein mutiger Streiter gegen die linksgrüne PC-Diktatur, der sich nichts mehr sagen lässt. Wissenschaft ist viel zu kompliziert und überdies eh gekaufte, interessengelenkte Scharlatanerie, weil es ja schließlich immer zwei Meinungen gibt. (An dieser Stelle möchte man gern eine Bowlingkugel zwei Meter über die Wutbürgerrübe halten, loslassen und mal sehen, ob es bei Newton auch zwei Meinungen gibt. Lachen Sie nicht, es gibt welche, die glauben beweisen zu können, dass die Erde flach ist.) Grüne sind voll doof, weil die immer alles verbieten wollen. Manchmal aber ist ein bisschen Diktatur einfach besser das diese öde Quasseldemokratie. Meinungsfreiheit bedeutet, selbst immer alles und jedes sagen zu dürfen, aber rumzujaulen wie ein getretener Welpe, wenn andere es wagen, einen zu kritisieren und so fort. 

Ach ja, das wichtigste: Als Wutbürger überschätze man die Tiefe der eigenen Einsichten und die Relevanz seines erbärmlichen Bisschens Meinung immer grandios. Ohne eine gute Portion Dunning-Kruger macht‘s keinen Spaß.

Man kann es natürlich auch kürzer machen: Denkfaule, halbgebildete, autoritäre alte Säcke, die sich keinen Zwang mehr antun beim Pöbeln und das als basisdemokratische Heldentat abfeiern.

Wer Belege sucht dafür, kann sich zum Beispiel die "dumpfe Mordlust" (Schoppe) der "PS-Pegida" (Beisenherz) ansehen, die sich in der inzwischen vom Netz genommenen Gruppe 'Fridays for Hubraum' artikulierte. Wieso auch endlos herumargumentieren, wenn man der frechen Göre auch Mord und sexuelle Gewalt androhen kann? Oder man lese sich ganz mutig - es wurde gewarnt - den 'Offenen Brief' durch, den ein gewisser Martin Graf an Greta Thunberg richtet (Facebook!). Dieser ölige, ranschmeißerische, im Kern aber kreuzautoritäre Mief lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: Du bist ein ganz tolles, engagiertes junges Mädchen. Du hattest deinen Spaß, also halt jetzt gefälligst deine vorlaute Fresse, geh wieder zur Schule und sei mal lieber ein bisschen dankbar für das irre, propersupere Leben, das meine coole Durchblickergeneration in ihrer unendlichen Gnade dir ermöglicht.

O mein Rebell!

Ich habe meine Arschgeigen ja gern straight und geradeheraus. Deswegen ist die Steigerung von 'Arschgeige' auch 'verlogene Arschgeige'. Apropos: Woran erkennt man mit ziemlicher Sicherheit eine autoritäre Arschgeige? Daran, dass patzig Dankbarkeit für irgendwas eingefordert wird. Vielleicht hat dieser wutbürgerliche Oberbabyboomer auch noch nicht begriffen, dass es vielleicht nicht nur der Klimawandel ist, der die Jugendlichen auf die Straßen und in den Protest treibt, sondern exakt dieses herablassende, paternalistische Gehabe.

Ehrlich, einige Leute sollten echt besser Briefmarken sammeln. Weil, die triggern mich einfach. Die müsste man… sollte man… Die sollen doch einfach mal… und zwar alle… Wie? Ich habe viermal in drei Zeilen das Wort "Arschgeige"...? Na und? Vielleicht hatte ich gerade Lust darauf! Und nu? Was geht Sie das überhaupt an, Sie...? Ich lasse mir doch von Ihnen nicht vorschreiben, wie... Hngngngngn! Verzeihung, aber ich kann nichts dafür. So ist es, wenn das fortschreitende Alter auf dem Hormonium La Cucaracha spielt.






8 Kommentare :

  1. Nur ein paar Bemerkungen zu einigen Aspekten im Text:
    1. Urologen haben manchmal die Zusatzqualifikation des Andrologen, weil 60 % ihrer Patienten Männer sind. Meine persönliche Erfahrung mit Urologen ist, dass das Jahrtausend der schmerzfreien Medizin in der Urologie noch nicht angekommen ist. Wer das bestreitet, sollte erst einmal Erfahrungen sammeln bei der endoskopischen Entfernung eines Harnleitersteins und den postoperativen Schmerzepisoden.

    2. Ich bin nur einen einzigen Marathon gelaufen, weil er seinerzeit der Mount Everest de kleine Mannes war. Unbestritten ist nicht nur unter Orthopäden, sondern auch bei den Läufern, dass Marathon eher gesundheitsschädlich ist und bleibende Schäden im Bewegungsapparat hinterläßt. Wie das der Club 100 schafft, ist mir ein Rätsel. (Das sind alles Leute, die mindestens 100 Marathons in ihrem Leben gelaufen sind.)

    3. Mit Überschreitung des 70-Jahres-Hürde läßt auch die Koordination der Grobmotorik nach. Mit zwei Kästen Mineralwasser Treppen hinabzusteigen (muss ich leider oft) erfordert hohe Konzentration, weil ein Fehltritt ……………………….ich mag gar nicht daran denken.

    4. Mit jeder Lebensdekade nimmt der Anteil des freien Testosterons im Serum signifikant ab. Der dadurch verlangsamte Stoffwechsel begünstigt die Bildung einer Bierwampe mit Bauchglatze. Und auf meiner 10-km-Laufrunde werde ich jedes Jahr 1 Minute langsamer.

    5. In meinem sozialen Umfeld gibt es zwei verbal Inkontinente in ungefähr meinem Alter. Da ich sie ansonsten sehr mag, erlaube ich mir, auch schon mal meine Ohren auf Durchzug zu stellen. Irgendwann werde ich ihnen empfehlen, sich einen Hund anzuschaffen. Der hört auch stundenlang zu, ohne zu antworten.

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    1. Nette Aussichten. In meinem Umfeld fangen auch die ersten an, total ulkige Greta-Hass-Bildchen per WhatsApp zu versenden und wundern sich, wieso ich mir darob nicht schier die Schenkel zertrümmere...

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  2. Kurz zum vorletzten Absatz: Die Klima-Panik und deren Kritiker – das ist mehr als ein Generationen-Konflikt. Uns hat man als Kindern damals (in Ost und West) auch eine Scheiß Angst vor dem Weltuntergang eingetrommelt und uns zu Friedensmärschen gejagt. Ich sehe da durchaus Parallelen, nur das Thema hat sich leicht verschoben (vom Atomkrieg zur Klimaapokalypse). Die Hormone spielen eben sowohl bei den Jungen als euch bei den Alten verrückt und werden gerne ideologisch instrumentalisiert. Im besten Fall ermöglicht die Weitsicht des Alters, das richtig einzuordnen, im schlimmsten Fall wird man (wie beschrieben) zum grantigen Wutbürger. Aber nur weil Gretel dumme Gegner hat, macht sie das selbst nicht automatisch klüger.

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  3. Ich habe Mitte der 90er mal ein Interview mit einem Stadtplaner in einer Großstadt geführt, der den Begriff des "senilen Querulanten" benutzt hat. Alte Leute, die an allem rummeckern, was neu ist, die vom Fensterbrett aus Falschparker notieren und ihre Umgebung mit ihren ausschweifenden Erklärungen terrorisieren. Diesen Typus gibt es heute vor allem im Internet. In meinem Kommentarbereich tummeln sie sich leider auch, manchmal lösche ich den Mist einfach, ohne ihn freizuschalten. Don't feed the Opa-Troll.

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  4. Also wenn ich die neoliberalen politischen Verhältnisse kritisiere, bin ich - ob meines Alters - ein seniler Querulant? Der sich in seinen Hobbykeller vertschüssen soll anstatt zu seiner Meinung zu stehen? Vielleicht sollte man MÄNNERN ab 50 einfach auf ihre Sozialverhalten testen. Und bei Durchfallen wird eingeschläfert.
    Sind es jetzt meine Hormone, die mich wütend machen? Darauf habt ihr sicher die richtige Antwort. Neoliberales pseudohumanitäres Pack. Oder: Wenn ihr könntet, wärt ihr gerne BlackRock.

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    1. Ah, Wutbürger!
      @Eberling: War ja gerade wieder einer unterwegs...
      @ob: Nun ja, man sollte zur Kenntnis nehmen, dass die jungen Leute den wissenschaftlichen Konsens auf ihrer Seite haben und den Scheiß im Gegensatz zu unsereins volles Rohr werden ausbaden dürfen.
      Mich erinnert das alles an meine letzten Jahre als Raucher. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass Rauchen das Risiko für Lungenkrebs um den Faktor 25 erhöht, und weitere Lungenerkrankungen zumindest begünstigt, dazu das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöht. Ich war großer Meister darin, immer exakt das eine Argument zu finden, das mich die Risiken ausblenden und weiterqualmen ließ, obwohl aufhören (was mir dann zum Glück erschreckend leicht gelungen ist) immer die einzig rationale Entscheidung gewesen wäre.

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    2. Herr Rose, dieser "Konsens" ist ein mathematisches Konstrukt, darüber kann man sich im Detail informieren. Über die Temperaturentwicklungen der nächsten Jahre lassen sich keine verlässlichen Aussagen treffen, erst recht nicht über industrielle Maßnahmen, diese zu beeinflussen. Selbst das Umweltbundesamt vergleicht bei diesem Thema "Die Notwendigkeit, Entscheidungen vor dem Hintergrund von Unsicherheiten zu treffen" mit dem Risiko von Kapitalanlagen. Der Rest ist eben vor allem Panikmache bzw. grüner Populismus. Aber gut, dass Sie mit dem Rauchen aufgehört haben. ;-)

      @blogspot: Ja, ich bin ein Roboter. Na und?

      Neoliberale, pseudohumane Grüße!

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