Freitag, 25. September 2020

Wahre Worte (2)


Heute: Ronald Pohl über mittelalte Freunde der Compact Disc

"Wir Freunde der silberglänzenden Compact Disc – zumeist ältere, weiße Männer mit Bauchansatz und »Unknown-Pleasures«-T-Shirt – bilden heute eine etwas wunderliche Minorität. Dir, liebe Jugend, sind allerhand Strömungstechniker zu Diensten. Du weißt, wo du suchst, und du findest, was du brauchst. Doch wir Alte, Babyboomer mit häufig abstehenden Segelohren, können nicht mehr anders. Wir sind gelegentlich das Holzofenknistern leid, das unser armes, abgenutztes Vinyl von sich gibt. Wir sind, mit einem Wort, dem Silberrausch verfallen.

In besonders schwachen, selbstmitleidigen Stunden erwerben wir daher kostspielige CD-Klappboxen. Rock'n'Roll-Bands aus den Sechziger- und Siebziger-Jahren haben wahre Hekatomben von Klangmüll hinterlassen. Junge Menschen mit schulterlangem Haar und Doppelhalsgitarren besangen damals – häufig im Falsett – ihre Unsicherheit, sobald es erforderlich schien, der vor Gott Erwählten den Büstenhalter zu lösen. Zumindest malte ich mir [...] die Not dieser Verzagten mangels besserer Englischkenntnisse so und nicht anders aus." (Der Standard, 23.09.2020)

Anmerkung: Gibt so Sachen, da erkennt man sich mehr oder minder schmerzhaft drin wieder. Das meiste des Obengenannten kann ich schwer bestreiten. Ich besitze (immer noch) CDs (und Bücher!), meine Vinylplatten sind irgendwann den Weg alles Irdischen gegangen, Musik zu streamen ist mir irgendwie suspekt, zu wenig haptisch (wohl eine Generationenfrage) und bis auf die Segelohren und das T-Shirt kann ich beim Rest auch kaum bis gar nicht widersprechen. Na ja, sündteure Sammelboxen besitze ich nicht, aber mit mehr Geld zum Verjuxen auf dem Konto wäre ich hier und da schon schwach geworden. Aber mich Babyboomer nennen - da hört sich wirklich alles auf!


8 Kommentare :

  1. Tja. Drei Klappkisten LPs im Keller, zwei Klapp­kisten CDs daneben, nur noch Frag­mente ent­sprechen­der Ab­spiel­technik, und ich: unfähig, das Zeug zu ent­sorgen. Zuviel davon einzig­artige Rari­täten, die nie­mand mehr interes­sieren (Lang­haarige mit Doppel­hals­gitarren und pick­ligen Puber­tier­chen­texten kommen übrigens nicht vor, dafür jede Menge seltsame elek­tro­nische Geräusche und sehr ernst guckende Kurz­haarige mit ent­sprechen­dem Equipment).

    Tja.

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  2. auch ich finde mich in der schilderung wieder. bin weiblich, kaufe immer wieder eine gute cd, höre noch LPs. und wir haben einen enkel der ganz scharf auf unsere pop-LPs ist, er baut sich eine raritäten-sammlung auf. wenn ich bei irgendwelchen streamdiensten höre oder sehe, zahle ich mit meinen daten und die künstler verdienen kaum, so kaufe ich silberne scheiben. und viele der von uns gehörten stücke spielen im radio nur in minderheiten-sendungen. auch filme kaufen wir gerne mehrmals jährlich. können wir später wieder hören oder verschenken... auch bücher gibt es zum anfassen bei uns.

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  3. An die Klangqualität der Wave-Dateien auf der CD kommt kein Streamingdienst heran. Ob wir uns den Unterschied mit unseren alten Lauschern nicht nur einbilden, ist eine andere Sache. ;-)

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    1. Zu der Frage empfehle ich ein paar WDR-Interviews mit Eroc (Ex-Grobschnitt, später solo, betreibt jetzt ein Mastering-Studio) über Vinyl sowie Mastering und Remastering .

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  4. So unterschiedlich kann eine Sozialisation sein. Und während Ronald Pohl noch Selbsthilfegruppen in der Bravo studierte, um BH`s zu öffnen, begannen andere eine Karriere als Klavierbändiger oder Jimi Hendrix.
    Beim Gang zum Zeitungsverkäufer, bei dem wir Sounds und das Jazz Podium bestellt hatten, waren wir alle weiß. Die ganz wenigen, die schwarz waren, dienten entweder in der US-Armee oder prangten auf den Covers besagter Zeitschriften. Wir jedenfalls fielen nicht durch unsere Hautfarbe auf. Eher dadurch, „Negermusik“ zu hören. So jedenfalls die offizielle Definition der gefühlten 99,5% überlebender Nazis (Ok: lass es real 89% gewesen sein). Das schweißt zusammen.

    Der Leserkommentar von Glumm über Conny Plank hat mich für etwa 48 Std. vollkommen gefangen genommen. Nach der Doku überkam mich etwas von dem Gefühl wieder, das einen bewegte. Musik hatte einen gesellschaftlichen Wert! Und damit beginnen die grundlegenden Unterschiede, abseits der der technischen Möglichkeiten der Generation meiner eigenen, mehr oder weniger erwachsenen Kinder. Ganz abgesehen davon, daß ich wutschnaubend die Frank Zappa-, Miles Davis- und Metal-CDs aus den Zimmern meines Nachwuchses zusammensuchen muß.
    Nicht nur deswegen geht mir der Artikel Pohls vollkommen am Arsch vorbei. Er beschreibt lediglich einen Teilaspekt davon, daß Menschen altern. Auch die Generation, die mit Bravo groß geworden ist. Interessanter wäre es gewesen zu wissen, warum sich die Bewertung von Musik (lies: Kultur) so verändert hat (und damit hintergründig der Blick auf die Hardwarehinterlassenschaften dieser Zeit). Genau gut so könnte ich den Gegengewichten von Theaterzügen nachtrauern, die nicht mehr mit Sandsäcken ausgeglichen, sondern mit Elektromotoren bewegt werden.

    »Dir, liebe Jugend, sind allerhand Strömungstechniker zu Diensten.«
    Leider fehlt es etwas an Personal, daß die Inmaterialität moderner Tonträger hinterfragt. Beispielsweise der Frage, was mit den bezahlten Tonträgern nach einer Pleite des Streaming-Dienstes passiert?
    Nichts vermutlich – es gibt ja noch so viel andere Musik! Und damit kommt man vermutlich näher an die Sache heran. Die Beliebigkeit und Austauschbarkeit der »Produkte«.

    »Wir Freunde der silberglänzenden Compact Disc«
    Heul doch! »Wir sind gelegentlich das Holzofenknistern leid«. Tja, schlechte Pflege, Herr Doktor! Und untaugliches Material. Die Lautsprecher, mit denen einige den Unterschied einer SADC und CD-Aufnahme versuchen zu vergleichen, sind mittlerweile von so abenteuerlich schlechter Qualität, daß man mit einer gut erhaltenen Stereo-Anlage der späten siebziger Jahre vermutlich besser bedient wäre. Und wer hat schon mehr als 500€ für einen brauchbaren Kopfhörer investiert (und bitteschön mit eigenem Verstärker – nicht das Loch an der silbernen Kiste wo die ganzen Kabel reingehen)?
    Technisch gesehen steht die CD für eine (zugegebenermaßen revolutionäre) Änderung der Aufnahme- und Produktionstechnik. Jeder, der auf analogen Bändern im Kampf gegen Rauschen und Verzerrungen im Studio seine Jugend verschlissen hat, weiß das. CDs sind da eher ein Nebenprodukt.

    Aus der Wahl eines Tonträgers eine Generationsfrage zu konstruieren, ist gelinde gesagt grotesk. Wenn Pohl sich alt, weiß und geschmacklos in der Auswahl seiner T-Shirts fühlt (von den Bay City Rollers und einer „höhensonnengegerbte Sangesschwuchtel und Schoßhündchen an der güldenen Kette seiner Frau Nora“ mal ganz abgesehen) fühlt, ist das sein Problem – damit muß er leben und sterben.

    »Gitarrist David Gilmour von Pink Floyd (2. v. re., versteckt hinter Drummer Nick Mason): Seinetwegen wurde die Vinylschallplatte zum Hassobjekt.«
    Nebbich!!! Nick Mason gibt ein Interview in der Lokalpostille vom Rand des bewohnten Universums (lag gerade auf dem Küchentisch).

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  5. Der Unterschied der Datenträger macht sich nach dem Ableben bemerkbar. CDs müssen als Sondermüll entsorgt werden.

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  6. Schau an, gerade mal nachgesehen - stimmt. Vor paar Jahren reichte noch Gelbe Tonne...
    @Pantoufle: Ok, ja, vom Standpunkt des musikalisch Aktiven, technisch Beschlagenen stellt die Sache sich natürlich anders dar. Ich fühlte mich so angesprochen, weil ich und meinesgleichen die CD damals aus rein praktischen Gründen massiv gefeiert haben: Sie war handlich, man konnte sie relativ bedenkenlos verleihen/zu Feten mitbringen, ein Kratzer war keine Katastrophe und Rauschen und Knacken waren passée. Bis dahin wurden neu gekaufte Platten von uns als erste Amtshandlung jungfräulich auf teure japanische TDK-Kassetten überspielt. Aber die nutzten sich mit der Zeit ab. Und wehe, ein Tapedeck machte mal Bandsalat... Mochten die Audiophilen schon damals die Nasen rümpfen, wir fanden die Silberlinge einen echten Fortschritt.

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  7. Ein paar TDK-Cassetten sind hier auch noch. Aber die älteste ist eine BASF-Cassette, die etwa 1973/74 von meinem Vater bespielt wurde. Sie läuft immer noch. Ich versuche seit Jahren herauszufinden, was genau er da aufgenommen hat - es ist vermutlich ein Mitschnitt einer Musiksendung im Fernsehen. Er fluchte nämlich immer, wenn zuviel reingequatscht wurde... ;o)

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