Samstag, 5. September 2020

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (25)


Wechselt man das Wohnquartier und gehört man nicht zu den dergestalt Betuchten im Lande, die problemlos alles anfallende Handwerkliche gegen entsprechende Zahlungen an entsprechend Qualifizierte auslagern können, dann ist der Besuch eines Baumarkts so gut wie unumgänglich. Bei mir sind es dann drei geworden. Weil immer noch was fehlte. Der letzte Hohlraumdübel leider verbogen war. Nein, es waren vier. Weil das von der Rolle abgemessene Lautsprecherkabel sich doch als zu kurz herausgestellt hat.

Nun sind Baumärkte, das immerhin habe ich gelernt im Leben, höchst spezielle Biotope. Dort deckt eine Kundschaft sich ein, in der viele vertreten sind: Von mehr oder minder Ahnungslosen mit zwei linken Händen über mehr oder minder kompetente Do it yourself-Werkler, bis hin zu professionellen Handwerkern, die zufällig alle gerade Urlaub haben und "einem Kollegen beim Renovieren helfen", wie sie das ausdrücken. Ferner spricht vieles dafür, dass der Videospielklassiker 'Pac Man' ursprünglich als Schulungssoftware für Baumarkt-Mitarbeiter entwickelt worden ist. Wie sonst könnte ein Mensch lernen, aufdringlichen Kunden derart geschickt auszuweichen?

Zumal diese Läden, seit ich einst für ein paar Wochen in so einem Tempel des Handwerks jobbte, ähnlich Kantinen, für mich mit einer gewissen Tristesse umweht sind. Zur Frühschicht war damals immer eine Schar Herren im Rentenalter vor dem Eingang versammelt. Wurde geöffnet, schritten sie herein, um den Vormittag über jeweils ein Regal genauestens in Augenschein zu nehmen. Jeder für sich. Den Zimmermannshammer aus dem Regal nehmen. Gründlich mustern. In der Hand wiegen. Wieder zurücklegen. Halben Meter weiter nach rechts. Das nächste Werkzeug aus dem Regal nehmen. Gründlich mustern und so weiter. Bis der Vormittag rum war. Am nächsten Tag war dann das nächste Regal dran. Und so ein Baumarkt hat viele Regale.

Klar, ich habe da nicht zu urteilen und gewiss auch niemandem vorzuschreiben, wie der Ruhestand gefälligst zu verbringen sei. Ich meine, besser Baumarkt-Patrouille als daheim vor dem Fernseher vegetieren und sich dabei auch noch verblöden lassen. So kamen die Herren wenigstens aus dem Haus an die frische Luft und bekamen etwas Bewegung. Vielleicht waren das auch ehrenamtliche Ladendetektive, wer weiß. Aber das hätte man mir als Mitarbeiter doch bestimmt gesagt. Vielleicht waren das auch ehemalige Handwerker oder Facharbeiter, die in Erinnerungen schwelgten.

Wie dem auch sei, mich als unternehmungslustigen Jungspund deprimierte der Anblick damals über die Maßen. Ich hatte den Eindruck, einer Rotte Zombies beim Verwesen zuzusehen. Interessanterweise ist das nun nicht der einzige Hauch von Verfall, mit dem die Baumarktbranche umgeben ist. So ist bekanntlich, wenn der Ruhm einst erfolgreicher und beliebter Sänger im Verblassen begriffen ist, oft die Rede davon, sie seien nunmehr gezwungen, sogar bei Baumarkteröffnungen aufzutreten. Will heißen: Das Finanzamt hat Witterung aufgenommen, der Gerichtsvollzieher ist regelmäßiger Hausgast und die Privatinsolvenz macht auch schon winke-winke.

Bedenkt man das alles und nimmt man ferner in die Gleichung auf, dass meine Baumarktbesuche eher spärlich sind, ich also über aktuelle Trends für die Gestaltung von Heim und Garten eher nicht informiert bin, mag man die Verwunderung ermessen, die mich überkam bei diesem Anblick:



Fashion for Walls. Mode für Wände. Nun hatte ich als weitgehender Modemuffel in meiner mit galaktisch nur unbeholfen umrissenen Ignoranz immer geglaubt, die Modebranche sei gleichbedeutend mit Große Welt, Glamour, Obere Zehntausend. Jet Set, Schampus, Models, Koks, Sündenbabel als gäbs kein Morgen. Doch scheinbar, so lag's eklatant vor mir, müssen sich inzwischen auch Modeschöpfer schon in Baumärkten verdingen. Bzw. ihre Nahmen und Konterfeis. Und so war mein erster, spontaner Gedanke nicht: Schau an, inzwischen sind nicht einmal mehr Tapeten vor Modedesignern sicher. Nein, ich dachte: Ups, ist die Not so groß?

Und da hatten sich jene Assoziationen, in denen "An die Wand" vorkam, noch gar nicht eingestellt.




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