Freitag, 17. Januar 2025

Was mal ging


In den Achtzigern (die Älteren werden sich erinnern) bekam der Autohersteller Mitsubishi 1-2 Probleme, weil er sein Geländewagenmodell 'Pajero' genannt hatte. Das sollte rein phonetisch wohl irgendwie Assoziationen wecken an Draufgänger- und Abenteurertum, ist aber bloß ein spanischer Slangausdruck für Onanist. Und was soll man sagen? Jetzt bewarben sie in Panisch-Gartenkirchen anlässlich des alpinen Ski-Weltcups ihren Hausberg namens Wank mit dem Slogan "I LOVE WANK!", was wiederum ein englischer Slangausdruck für (cismännliche) Autoerotik ist. Sage noch einer, die Menschheit sei nicht lernfähig.

"Eines Tages wirst du aufwachen und alles wird sein wie früher. Und es wird dir überhaupt nicht gefallen.“, meinte Raymond Chandler einst so kluger- wie richtigerweise. Wie Wut und Hass, ist Nostalgie zwar zutiefst menschlich, aber auch eine sehr schlechte Ratgeberin. Fragt man Menschen, die behaupten, früher sei alles besser gewesen, welches 'früher' sie denn ungefähr meinten, dann schält sich meist so die eigene Jugend bis Jungerwachsenenzeit heraus, als man sorglos war und die ganze Zukunft noch vor einem lag. Man gesund und fit war, sich ausprobieren konnte, Gedanken an Altersvorsorge und Zahnersatz noch ewig weit weg waren und man keinen Nasenhaarschneider benötigte.

Daher ist es rein menschlich natürlich schon verständlich, sich nach früher zu sehnen. Nur hält das erstens einer rationalen Betrachtung so gut wie nie stand und zweitens ist es erst recht kompletter Blödsinn, eine politische Agenda daraus zu stricken, nach dem Motto: Wählt uns und wir machen alles wieder so wie früher vor dem linksgrünwoken Multikultiterror/dem Euro/der EU/der Flüchtlingskatastrophe. Bzw. ist es noch kompletterer Blödsinn, auf Leute hereinzufallen, die Problemen des Jahres 2025 mit Lösungen von 1985 oder so beikommen wollen. 

Gelegentlich aber kann auch ich mich eines Anfalls von Nostalgie nicht erwehren. Etwa, wenn einem erschreckend klar wird, was im kommerziellen (Mainstream-)Journalismus möglich war. Das passierte mir letztens, als ich mich an einen Literaturskandal Anfang den Neunziger erinnerte. Der Schweizer Autor Urs Allemann (1948-2024) gewann 1991 den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb mit einer maximalen Provokation von Prosa namens 'Babyficker'. Die Reaktionen waren erwartbar das, was man heute einen Shitstorm nennen würde.

In der Klagenfurter Jury saß auch Hellmuth Karasek, damals Literaturchef beim SPIEGEL. Der hatte für Allemanns Text gestimmt und begründete seine Entscheidung daraufhin in einer wuchtigen Apologie, die im Magazin abgedruckt wurde und daran erinnert, was Journalismus mal konnte (es empfiehlt sich, den ganzen Essay zu lesen): 

"Muß man einen solchen Text wie den von Urs Allemann, darf man einen Text mit dem Titel Babyficker preiskrönen? Ich war in Klagenfurt einer der Juroren, der von Anfang an für Allemanns Text gestimmt hat. Ich gestehe, ich hätte dem Text sogar den ersten Preis, den Bachmann-Preis, gewünscht. Warum? Einmal, weil es in Klagenfurt keinen stärkeren Text gab. [...]. Allemanns Text ist als Provokation gedacht, konsequent gedacht und ebenso geschrieben. Literatur muß die Grenze, an die sie mit ihren Phantasien und Erfahrungen stößt, immer wieder suchen, sie darf nicht da stehenbleiben, wo sie schon zu Hause ist. [...]

Der Empörte, der Entrüstete wirft der obszönen Literatur vor, daß sie aufstachelt, weckt, anregt. Allemanns Text ist nicht anregend, er ist im wahrsten Sinn des Wortes abstoßend - und das auf höchst artifizielle Weise. Überhaupt glaube ich, daß Literatur keine Gebrauchsanweisungen für die Realität liefert (die braucht leider auch gar keine), sondern eher das Gegenteil bewirkt.

In die Nähe eines Beweises scheint mir die Tatsache zu führen, daß es in keiner Zeit in der Literatur so sauber, frisch, anständig, menschlich zuging wie in den Jahren, da die Nazis alles Obszöne als »entartet« verboten hatten: Das war die Zeit der unglaublichsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, obszöner als die Phantasien war deren Ausleben durch Julius Streichers Stürmer, durch die Konzentrationslager, durch die Massenexekutionen - ein rauschhaftes bürokratisches Austoben von Phantasien, die in der damaligen Kunst strikt verboten, total unterdrückt waren." (Karasek, a.a.O.)

Bamm, das saß! Ich erinnere mich noch, wie ich das damals mit heißem Herzen las und mir ganze Kronleuchter aufzugehen schienen. Wie Karasek, ohne es zu wissen, mir half, argumentativ gegen jene zu bestehen, die sich in ihrer Empörung und moralischen Entrüstung genug waren. 

(Sicher, das war keine theoretische Literaturwissenschaft, aber im Vergleich zu dem oberflächlichen Gesinnungs-TÜV um den verhinderten 'ttt'-Moderator Thilo Mischke, der mal ein saublödes Buch mit einer Phileas Figg-Geschichte verzapft hat, tun sich in Puncto Fallhöhe Abgründe auf.)

Empörung und Wut mögen ja valide und wertvolle Auslöser sein dafür, dass Dinge mal in Bewegung kommen, als alleiniges politisches Konzept ist das untauglich, da heißlaufend, und führt fast so sicher auf Holzwege wie Nostalgie. Aber man muss konstatieren, dass wir schon mal weiter waren. So wurde durchaus mal gefragt, auch und gerade jenseits von Nischen, was die tieferen Ursachen dafür sein können, dass nicht nur Literatur oder das Bildungswesen, sondern zum Beispiel auch Journalismus so aussieht wie er eben aussieht. Und nicht dabei stehen blieb, alles bloß mit persönlichen Defiziten der Beteiligten wie Doofheit/Inkompetenz/Charakterschwäche/Identität erklären zu wollen. (Was im Übrigen befreiend sein und die Debatte weniger bleiern mache könnte.)

"Netzjournalismus, sofern er aus wirtschaftlichen Gründen und mit Blick auf Breitestwirkung betrieben wird, ist nicht irgendein Abfallprodukt für die Generation Smartphone, für das ihn der soignierte Qualitätszeitungsleser immer noch halten mag: Er ist, ganz im Gegenteil, Destillat, die Essenz von Journalismus als Geschäft, dessen Prinzip Hermann L. Gremliza vor dreißig Jahren so beschrieben hat: »Der Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten zwingt die privatwirtschaftlichen Medien, alles zu unterlassen, was die Instinkte und Vorurteile der Leser, Hörer und Seher stören könnte. Ja, um gar kein Risiko zu laufen, müssen sie immer noch ein Stück tiefer ansetzen. Axel Springer sieht das schon ganz richtig: Wer in diesem Busineß Erfolg haben will, darf nicht belehren, aufklären, fragen -- er muß unterhalten, bestätigen, verdummen.«" (Gärtner)

Das erschien übrigens in einem Satiremagazin. Es ist also nicht so, dass es das nicht gäbe. Trotzdem: Es ist manchmal zum Nostalgischwerden!


Transparenzhinweis: Als der zitierte Karasek-Essay erschien, war der Verfasser dieser Zeilen Anfang Zwanzig. Wer mag, darf gern Zwei und Zwei zusammenzählen.







11 Kommentare :

  1. Der Gärtner-Artikel ist, wie gewohnt, großartig. 2000 habe ich mich bei SPON beworben und eine Viertelstunde mit einem leitenden Redakteur telefoniert. Was wäre, wenn ich den Job bekommen hätte? Dann würde ich heute Texte im Stil "Rose - dramatischer Absturz der Leserzahlen nach Ronny-GAU" produzieren. "Wieviel Geld pumpt das Trotzki-Untergrund-Netzwerk in die genderverseuchte kommunistische Pestschleuder aus Recklinghausen?"

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  2. ... ich empfehle der geneigten Leserschaft dazu dies:
    https://www.arte.tv/de/videos/119018-000-A/heinrich-boell-katharina-blum-lebt/
    ... oder wie der verehrte Herr Malmsheimer einst sinngemäß sagte: Früher war nicht alles besser, aber alles war früher.
    Gruß Jens

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  3. Springer verhält sich zu Journalismus wie Grabraub zu Archäologie

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    1. Sorry, wenn ich da reingrätsche. Aber Springer verhält sich zu Journalismus, wie Nowitschok zu Globuli.

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  4. Was früher besser war: Der Herr Gremliza lebte noch und konnte Kluges aufschreiben. (Leider wurden seine Texte wohl nur selten von dummen Menschen gelesen, obwohl gerade die es am nötigsten gehabt hätten.) Was heute gut ist: Der Herr Gärtner ist am Leben und schreibt kluge Texte, die aber leider ... siehe oben. Manche Gärtner-Sätze muss ich übrigens dreimal lesen, bis ich sie endlich kapiere, aber bisher hat sich der Aufwand immer gelohnt.

    PS. Wer gelegentlich den Online-Auftritt des ehemals großen Nachrichtenmagazins aus Hamburg besucht, der weiß, dass man sich dort seit längerer Zeit darum bemüht, Belehrung und Unterhaltung unter einen Hut zu bringen. Herausgekommen ist ein übler Eintopf aus moralisierendem Meinungsjournalismus und Wellness-Tipps für den gestressten Mittelstand. (Die Kolumnen von Thomas Fischer ausdrücklich ausgenommen, die sind gewissermaßen die Juwelen im Misthaufen.)

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  5. Tja, die im Wohlstand geborenen. Systemfragen stellen ist nicht so ihre Stärke. War ja alles schon irgendwie besser. Ich war 30 seinerzeit. Im Beginn des Wohlstands geboren und am Ende des Aufstands. Denn das, liebe junge Hupfer, war es, Ostermärsche, Demos mit Massen an Leuten, Widerstand an allen Ecken der auch damals brutal zusammengeschlagen wurde, aber die Herrschenden nervös und vorsichtig gemacht hat. Und der Wille, solange die Mauer steht, eine Vorzeigedemokratie zu haben. Nicht das man Andersdenkende nicht verfolgt hätte, Radikalenerlass, RAF-Sympathisanten etc. Mit den gleichen Mitteln und dem gleiche zweierlei Recht, wie auch heute wieder unter Faeser. Wer glaubt das Faschisten nur bei der AfD zu finden sind, hat sich noch nie die Regierung oder die Grossparteien genauer angeschaut. Glaubt was ihm vorgesetzt wird und stellt auch nie die Systemfrage. Wer vom Kapitalismus spricht, sollte nicht zum Faschismus schweigen. So oder ähnlich sagte mal ein bekannter Denker. Insofern sind wir keinen Schritt weiter. Es werden derzeit nur andere Inhalte als legitim kolportiert. Wer wirkliche Provokationen gesucht hat, nicht so einen erbärmlichen Versuch Aufmerksamkeit zu heischen, der wurde bei Fassbinder, Söllner und Kinski meist besser bedient. Insofern früher war früher, heute ist heute, aber es gab eine politische Agenda die genau den gleichen Auftrag hatte wie heute, nur waren die Vorzeichen anders und man war ein bisschen überrascht, wie viele Leute sich auf der Strasse engagieren können, wenn man Freiheit scheibchenweise zulässt. Mit dem Mauerfall wurde das Theater obsolet und wurde entsprechend zurückgebaut. Chinesische Wassertropfenfolter sozusagen. Denn Massen auf den Strassen, das ist den Herrschenden suspekt, solange sie nicht die Massen kontrollieren. Ach ja, Regierungen herrschen nicht. Geld und Macht regiert, die Regierungen leihen sich beides von jenen die es haben, ob sie Blackrock oder IG Farben heissen, egal.

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    1. D'accord, größtenteils. Das Bild von der Chinesischen Wasserfolter (diese Art von Behandlung wurde, wenn ich Wikipedia glauben darf, ohnehin zuerst von aufgeklärten Europäern praktiziert) würd ich aber durch das vom Frosch im Kochtopf ersetzen, der bis zum Exitus brav drin hocken bleibt, wenn das Wasser nur langsam genug erhitzt wird. Kluge Köche (solche, die "Zuversicht" vermitteln oder sich "Für einen Kochtopf, auf den wir wieder stolz sein können" einsetzen usw. usf.) haben es im Gefühl, wie schnell genau sie die Temperatur hochregeln können, damit sich die Tierchen nicht doch plötzlich zu unwohl fühlen und aus dem Topf hopsen bzw. die Systemfrage stellen.

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    2. PS. Bloß wild im Kochtopf herumzupaddeln und "Nazis raus!" zu quaken heißt übrigens noch lange nicht, die Systemfrage zu stellen.

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    3. Ich denke an den bundesweiten Widerstand gegen die Volkszählung 1987. Heute lassen sich die Deutschen die elektronische Patientenakte einfach mal so aufs Auge drücken, ohne selber nur einen Blick auf die eigenen hochsensiblen Daten werfen zu können. Zu meiner Zeit gab es auch noch die Aktion "Giro Blau". Läßt sich aber angesichts der durchdigitalisierten Verarbeitung des Stromkostenüberweisungen nicht mehr praktizieren.

      In den 90ger Jahren gab es auch Protest gegen SPD-Parteitage, nachdem sie das Asylrecht faktisch abgeschafft hatte. Daher müßte auch heute die Fage lauten gibt es wenigere Gründe, gegen SPD-Parteitage zu demonstrieren, als gegen die der AfD? Oder sind diese nur gradueller Natur?

      Die Massendemonstrationen Anfang 2024 gegen Rechts und für Demokratie hatten den Fehler, dass sie von den parteipolitischen Vertretern der Herrschenden kontrollieret wurden. Danach gingen die Umfrageergebnisse der AfD und die Wahlergebnisse im Osten durch die Decke. Dagegen fehlt es den Akteuren von der Letzten Generation und von Ende Gelände an der Unterstützung der Massen. Die gucken lieber Silbereisens Schlagerboom. Die „Arschlochgesellschaft“, so bezeichnet es der Klima-Aktivist Tadzio Müller, ist demnach so gut im Verdrängen, weil in Deutschland selbst Arbeiter und eben nicht nur die Reichen Profiteure des fossilen Lebensstils sind. Diese Komplizenschaft überdecke den Klassencharakter der Krise.



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    4. "Teile und herrsche" ist ein altbewährtes Prinzip. Interessant wirds erst dann, wenns nicht mehr so viel zu teilen gibt. Allerdings schnallen in einer Arschlochgesellschaft (ob sie ihre Betriebsenergie aus Kohle oder aus Windkraft gewinnt, ist in diesem Zusammenhang wohl ziemlich wurscht) selbst die weniger Begüterten den Gürtel gern noch ein bisschen enger, solange sichergestellt ist, dass die Leute, die sich nicht mal eine neue Hose leisten können, schön da bleiben wo sie sind: ganz unten. Solange der deutsche Untertan noch wen hat, auf den er herabschauen kann, hält er die Füße still und quakt höchstens ein bisschen rum.

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