Heute: Leo Fischer über Die Rückkehr der Autoritären Persönlichkeit in die Politik
"75 Jahre alt werden die Studien zur »Autoritären Persönlichkeit« dieses Jahr. Von der Frankfurter Schule noch im amerikanischen Exil formuliert, sind sie kaum gealtert. [...]
All das begegnet uns heute wieder: Das rational nicht erklärbare Bedürfnisse [sic], an überkommenen Bezeichnungen für Schaumsüßigkeiten und Schnitzel festzuhalten; der Hass auf freie Kunst, »unnütze« Wissenschaft und »linken Träumereien« [...]; die paradoxe Hoffnung, starke Männer, die endlich aufräumen, würden die »Freiheit« wiederherstellen; der triefende Hohn auf alles, was schwach oder anders ist; die Hoffnung, durch Bestrafung der »Faulen« könne man die eigene Prekarität abstreifen; schließlich die Fixierung auf Queerness und das Bedürfnis, den »Genderwahn« zu regulieren. Besonders der gleichzeitige Schrei nach »Freiheit« und starken Führern scheint ausgeprägt: Der Staat mit seinen Regularien wird als knechtend empfunden; gleichzeitig würden mächtige Männer, hätten sie nur die Möglichkeit, die Freiheit wiederherstellen – trotz gegenteiliger historischer Präzedenz.
Die Autor*innen der »Autoritären Persönlichkeit« machten sich keine Illusionen, solche Persönlichkeiten therapieren oder »zurückgewinnen« zu können. Es galt, ihren Einfluss zurückzudrängen und ihre Macht zu brechen -- und zwar radikal. Darin sollten sie uns Vorbild sein.“ (neues deutschland, 17. Januar 2025)
Anmerkung: Noch einmal befeuert durch Trumps neuerliche Präsidentschaft und Elton Murks' Freidrehen, ist die hiesige Debatte zur Migration nicht erst seit diesem Mittwoch, an dem Friedrich Merz die Brandmauer zur AfD mutwillig und entgegen all seinen Versprechungen abräumte und nebenbei geltendes EU-Recht in die Tonne trat (es gab Zeiten, da wäre man damit reif für den Rücktritt gewesen), endgültig maßlos geworden. Migranten kommen quasi nur noch als Gewalttäter, Stressmacher und potenzielle Kindermörder vor, längst nicht mehr als Individuen mit individuellen Schicksalen, sondern nur mehr als möglichst umgehend abzuschiebende Masse. Wer noch an so was wie Humanität, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte appelliert, sieht sich inzwischen in der Minderheit und an den Rand gedrängt.
Jetzt könnte er einmal zu seinem Wort stehen! https://t.co/WLZsaZzyDV pic.twitter.com/p6NUwx4YSL
— isis𓂀sisi 📯 (@SisiMehlbox1972) January 29, 2025
(Daran, dass das die tatsächliche Stimmung in der Bevölkerung abbildet, sind übrigens Zweifel angebracht: Bei einer aktuellen Umfrage stimmte nur ein Fünftel der Befragten der Aussage zu, dass Migration das momentan vordringlichste Problem sei und gab an, es gäbe wichtigeres.)
Wie konnte es dazu kommen? So ziemlich alle oben genannten, aktuell die 'sozialen' Netze und den öffentlichen Diskurs flutenden Phänomene finden sich in dem Kriterienkatalog wieder, den Adorno et al. 1950 in der Studie The Authoritarian Personality mittels der F-Skala entwickelt haben. Autoritär zu ticken ist keine auf Werten und weitgehend rationalen Erwägungen, Reflexionen und Lernprozessen beruhende politische Überzeugung, sondern Folge einer psychischen Deformation. "In Kindheit und Jugend übernommene repressive und hierarchische Denkmuster und eine nicht gelungene Emanzipation von den Eltern führten demnach zu einer unvollständigen Identität und (vor allem emotionalen) Unselbstständigkeit." (Fischer, a.a.O.)
Das erklärt nicht alles, aber doch so einiges. Die komplette Faktenresistenz nicht weniger politischer Akteure bekommt auf einmal Sinn. Ebenso deren sichtliche Freude, ihren ganzen Hass, ihre Aggressionen, ihre Verachtung für die Welt um sie herum und deren Zumutungen ausleben zu können. Oder, eine Stufe darunter, ihre infantilen Provokationen und ihren Drang, als Schwächere Identifizierten endlich mal zu zeigen, wo ihr Platz ist. Das Gefühl, all das endlich wieder ungebremst und ungehindert herauszulassen, scheint sie mit tiefer Befriedigung zu erfüllen. Die politischen Schnittmengen zwischen CDU und AfD sind vermutlich gar nicht so groß, die seelischen vielleicht schon größer. Nur, siehe oben: Mit Logik und Argumenten kommt man da nicht weit.
Vernünftig oder gar rational ist da nämlich gar nichts dran. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass Merz für seine Harakiri-Aktion bitter abgestraft wird und die Union bei der Wahl einen Teil jener Wähler:innen verliert, die sich selbst als 'ehrbare Konservative' sehen und sich eher was abhacken würden, als gemeinsame Sache zu machen mit der AfD. Ohne sie unnütz idealisieren zu wollen, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass Alice Weidel im Gegensatz zu Merz Adorno gelesen und verstanden hat. Dann wäre der Briloner Sandkastenrocker nach Merkel ein weiteres Mal von einer Frau an den Gang gestellt worden. Wären die Zeiten nicht so verdammt ernst, könnte man entzückt sein über so viel Ironie der Geschichte.
Zu dem in aller Munde gebräuchlichen Ansatz: "Die demokratischen Parteien!":
AntwortenLöschenDie Barbarei ist kein zu verhindernder Zustand, wir stecken längst mittendrin. Dies ist keine neue Erkenntnis, doch haben wir das Bewusstsein darüber ebenso ausgesperrt wie die Geflüchteten. So kann die Friedensnobelpreisträgerin EU weiter von Demokratie und Menschenrechten reden, während sie Kinder ertrinken und erfrieren lässt, Menschen, die nach Hilfe schreien, mit Tränengas auseinander- und in den Tod treibt. Die Gewalt, auf der unsere Ordnung aufbaut, wird uns gerade schonungslos vor Augen geführt.
Das wollen auch viele Linke nicht hören, sie haben sich auf die Logik des kleineren Übels eingelassen, und damit auf die Logik der bürgerlichen Herrschaft. Sie reden sich ein, hierzulande würden Rechtsstaat und Demokratie herrschen, und ignorieren, dass das nur für uns gilt, die Folterlager bloß exterritorialisiert wurden. All die Gewalt an den Grenzen, die Abschiebungen und Asylrechtsverschärfungen, die Lagerzentren und push backs sind das Werk von Demokratinnen und Demokraten an der Macht. Natürlich wäre alles noch viel schlimmer, würden sich die neuen Faschisten und ihre noch autoritäreren Krisenlösungen durchsetzen. Aber der Normalzustand, den wir gegen noch beschissenere Verhältnisse verteidigen, ist längst die Katastrophe.
Das parteiübergreifende (einschl. der LINKEN), permanente Begehren nach ausländischen Fachkräften (Siehe Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2023!)
als modernen Kolonialismus zu bezeichnen ist auch nicht Gegenstand der neuen Massen-Proteste. Schließlich wachsen diese Leute auf den Straßen mit der Selbstverständlichkeit auf, dass ihr Wohlstand, der auf der Ausbeutung des Trikont beruht, etwas Natur gegebenes ist. Die WHO schlägt längst Alarm. Wegen des Abwerbens fehlt es in Dutzenden Ländern an Gesundheits- und Pflegepersonal. Die elegante Form kapitalistischer Selektion findet jetzt auch an deutschen Außengrenzen statt. Und an der Rampe stehen Höcke, Weidel, Söder, Merz, Scholz, Ramelow, Heil, Wagenknecht usw. usw. usw.
"Das ganze Problem unserer Zivilisation ist, eine Alternative zu Auschwitz zu entwickeln, und es gibt keine. Es gibt kein Argument gegen Auschwitz. Also wenn du mal Auschwitz nimmst als die (...) Realität der Selektion. Und Selektion ist das Prinzip der Politik global. Es gibt noch keine Alternative zu Auschwitz. Man kann das variieren, mildern, differenzieren, was immer."
LöschenHeiner Müller im Gespräch mit Alexander Kluge, 1990
... die Kombination aus fehlender Bildung und Angst vor sozialem Abstieg und Neid in großen Teilen der europäischen Bevölkerung tut nun genau das, was der Kapitalismus am liebsten hat: der "Pöbel" haut sich drinnen gegenseitig aufs Maul, während die Reichen immer reicher werden und weiter an der Festung Europa bauen.
AntwortenLöschenAnscheinend hat man nach 1945 im Westen viel zu wenige Nazis umgebracht.
Gruß Jens
Da hätte man dann allerdings Millionen umbringen müssen, fürchte ich.
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