Sonntag, 23. Februar 2025

Jenseits der Blogroll - 02/2025


"Es ist Aufgabe von Politik, die Ängste ernst zu nehmen, nicht sie auszunutzen." (Gilda Sahebi)

Am Freitag hat wieder einmal ein Mensch mit Migrationshintergrund ein Messer gezückt. Dieses Mal ausgerechnet am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Ein 30jähriger spanischer Tourist wurde schwer verletzt. Der Gefasste gab an, Juden töten zu wollen. Und alles, was der Politik einfällt, ist: Wie können wir jetzt noch mehr noch effizienter noch schneller abschieben? Ich hätte noch ein paar andere Fragen: Wo ist eigentlich die von der Aufklärung durchdrungene Erkenntnis geblieben, dass kein Verbrechen, sei es noch so monströs und schockierend, im luftleeren Raum passiert, nie nur das Werk eines verwirrten Einzelnen ist, sondern immer viele Mütter und Väter hat? Wo sind, wenn die erste Trauer, der erste Schock überstanden ist, Fragen wie die, was das alles über uns als Gesellschaft aussagt?

Ist es wirklich überraschend, dass diese schrecklichen Taten ausgerechnet in letzter Zeit sich zu häufen scheinen? Kann es sein, dass Menschen, die man in eine Situation bringt, in der sie zunehmend das Gefühl haben, nichts mehr zu verlieren zu haben, irgendwann alles egal ist, sie dann auszucken und zum Messer greifen (oder sich ins Auto setzen)? Sie anfällig werden lässt für die Angebote und Verlockungen islamistischer und anderer radikaler Prediger? Dahinter, dass solche Überlegungen offenbar keine Rolle spielen, steckt vielleicht die stillschweigende Arroganz, Gevatter Migrant bekäme es schon nicht mit, wenn die hiesige Politik, allen voran AfD und CDU, aber auch Grüne und SPD, sich über seinen Kopf in immer härtere Repressions-, Remigrations- und Abschiebeszenarien hineinsteigert (tut er aber). Mehr noch: Könnte es sein, dass ein paar der genannten Phänomene irgendwie zusammenhängen? Frag ja nur.

Und wollt’s mal loswerden. Die Links und Fundstücke des Monats:

Politik. Maurice Höfgen über Merzens toxisches Geschäft mir der Angst.

Frank Stauss zu Friedrich Merz und dessen fiebrige Machtphantasien.

Stefan Gärtner zu Sprechverboten und Antisemitismus.

"Es stimmt aber eh nicht, dass man «nichts mehr sagen» dürfe, und es stimmt auch nicht, dass Kritik an Israel heutzutage immer gleich für Antisemitismus gehalten werde, und am allerwenigsten stimmt, dass für antijüdische Gefühle jenes vermeintliche Kritikverbot verantwortlich sei, das schon Adorno für eine wahnhafte Projektion hielt. Antisemitisch ist dagegen der Argwohn, gegen Juden dürfe man nichts sagen, und wer ein antijüdisches Gefühl hat, hat es." (Gärtner, a.a.O.)

Cordt Schnibben über den American Way of Lie.

Leo Fischer mit einer ganz wilden Verschwörungstheorie: Was wäre, wenn die Union schon seit Jahren auf die Zusammenarbeit mit der AfD hingearbeitet hätte?

"Das Kabinett Trump, in welchem skrupellose Enkeltrickser ohne Sachkompetenz komplette Ministerien als Belohnung für Gefälligkeiten erhalten, noch dazu geschützt vor rechtsstaatlicher Verfolgung, muss für Glücksritter vom Schlage eines Amthor oder Guttenberg, muss nach der Masken- und Aserbaidschan-Affäre auch für viele in den Unionsparteien wie eine Verheißung klingen." (Fischer, a.a.O.)

Profund zur Weltlage und zum Wahlkampf: Nils Minkmar.

Richard Volkmann hält den 12. Februar 2025 für ein historisches Datum. Und ich neige dazu, ihm recht zu geben.

Und Chris fragt sich, wo alle diese Leute herkommen (gemeint sind Reiche, Politiker, Experten und Journalisten). Und FDP-Deppen.

Interview mit Bill Gates (€) unter anderem zur Erbschaftssteuer.

"Wenn man nicht an dynastischen Reichtum glaubt, spielt die Erbschaftsteuer eine sehr wichtige Rolle für eine dynamische Gesellschaft. [...] Die Erbschaftsteuer sollte bei Erbschaften von hohem Niveau bei mehr als 90 Prozent liegen." (Gates, linksextremer Spinner und Neidhammel, a.a.O.)

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Matthias Warkus hat sich den Tort angetan, Ulf Poschardts im Amazon-Selbstverlag erschienenes Pamphlet 'Shitbürgertum' ("Ein trauriges kleines Büchlein") zu lesen. Schön. Muss ich es nicht mehr tun.

Georg Seeßlen zum Tod von David Lynch (Seeßlen nannte Lychs Filme "Reiseberichte aus der Hölle").

Musik. So was wie einen Lieblingssong habe ich nicht. Ich halte es mit der großen Fran Lebovitz, die mal meinte, Leute, die einen Lieblingssong, ein Lieblingsessen, ein Lieblingsgetränk etc. hätten, kämen ihr vor wie ein vierjähriges Kind, das sage, Vanille sei seine Lieblingseissorte. Klar, meint Lebovitz, du kennst auch erst vier Sorten. Trotzdem kommt es seit Jahrzehnten immer wieder mal vor, dass ich mich frage: Ist 'Always On My Mind' von den Pet Shop Boys vielleicht der großartigste Popsong aller Zeiten? (Wie gut der gealtert ist, lässt sich auch an der Liveversion studieren, die The Killers 2019 in Glastonbury mit dem Duo aufführten.)


(Video im erweiterten Datenschutzmodus. Anklicken generiert keine Cookies.)


Das Video ist übrigens so aufwändig, weil Szenen des Pet Shop Boys-Spielfilms 'Couldn't Happen Here' (1988) verwendet wurden. Und der ältere Herr im Auto wurde gespielt vom großen Joss Ackland (1928-2023), der eine beeindruckende Film- und Theaterkarriere hingelegt hat.

Sport. Wie impft man Fußballern eigentlich "Manneskraft" ein? Hoffenheim-Trainer Christian Ilzer hatte da eine Idee. Und wie geht das im Frauenfußball?

Essen/Trinken/gut leben. Anna Weidner über den grassierenden Trinkgeldzwang per Kartenlesegerät. Mittlerweile auch an der SB-Theke(!) beim Bäcker. Deshalb zahle ich immer noch wenn irgendwie möglich bar. Und werde es so lange tun wie das noch geht.

Fine Dining? Was sich mitunter so hinter Fresspoesie und Speisekartenlyrik verbergen kann. Gegen den Wiener Spitzenkoch Konstantin Filippou sind jetzt diverse Vorwürfe aufgekommen: Schummelei bei angeblichen Spitzenzutaten, unterirdische Arbeitsbedingungen...

"Es ist paradox. In einer Branche, in denen es den Gästen am besten geht, geht es den Mitarbeitenden am schlechtesten. Und alle scheinen das zu akzeptieren. Denn die Missstände beruhen auf einer stillen Vereinbarung: Junge Köch:innen lassen sich anschreien und erniedrigen, sie ignorieren ihre Rechte und bekommen dafür einen der wenigen Plätze in einem etablierten Hauben [Sterne-]Betrieb -- ihrem Einstieg in die Spitzengastronomie." (Hagspiel/Ortner/Winterer)

Ein paar Anregungen, wenn es wieder heißt: Party! Alle bringen was Essbares mit!

Das Rezept. Zwar bin ich bekanntlich ein Freund von Innereien, habe aber lange keine Nieren mehr gegessen. Meine Mutter hat früher öfter mal Saure Nieren gemacht, aber nur für mich und sich (mein Vater hasst Innereien aller Art bis heute leidenschaftlich), und ich habe es geliebt. Vorbehalte, etwas zu essen, womit Tiere ihren Urin produzieren, sind natürlich verständlich, aber dann müsste man als Nicht-Veganer:in auch konsequenterweise auf Wurst im Naturdarm verzichten, weil da Tiere durchfurzen. Irgendwie ist bei mir hängengeblieben, die Zubereitung von Nieren sei arg aufwändig, da man die leckeren Organe über Nacht auf dem Balkon wässern und man andauernd das Wasser tauschen muss, weil sonst alles ungut nach Pipi riecht.

Uriniges ist mir damals beim genussvollen Verzehr Saurer Nieren nie aufgefallen. Vermutlich kommt der Essig an die Sauce, um eventuelle Reste zu neutralisieren. Devilled Kindneys sind ein Frühstücksklassiker auf den Britischen Inseln und der reichliche Einsatz von Cayennepfeffer und Senfpulver lässt Parallelen zur hiesigen Verwendung von Essig vermuten. Einige scheinen hingegen einen Hauch Harn am Essen zu mögen. In James Joyces 'Ulysses' brät Protagonist Leonardo Bloom sich zum Frühstück eine frische Kalbsniere und genießt den "fine tang of faintly scented urine". Nun ja. Eines jedoch sollte unbedingt klargestellt werden: Saure Nieren sind mitnichten nur eine schwäbische Spezialität, wie die Spätzlehobler und Trollingerschlotzer dreist behaupten, sondern ebenso ein Klassiker der rheinischen Küche.









3 Kommentare :

  1. Den Mordversuch spezifisch an einem Juden auf gesellschaftliche Chancenlosigkeit zurückzuführen ist unkonventionell.

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    1. Ihre Fähigkeit zum sinnverdrehenden Lesen ist bemerkenswert.

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  2. Im verlinkten Rezept verwendet der geschätzte Paulsen Kalbsnieren. Die muss man meiner Erfahrung tatsächlich gar nicht oder nur kurz wässern, 15 bis 30 Minuten. Schweinenieren sollte man m. W. mindestens 2 Stunden wässern, dabei das Wasser zwei bis dreimal wechseln. Auch ein Milchbad bzw., ein Schuss Essig im Wasser helfen gegen den unerwünschten Beigeschmack. Ich mach deswegen praktisch nur noch Kalbsnieren.

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