Das Sauerland -- berühmt für laute niederländische Skitouristen, berauschende Schützenfeste und verschwiegene Ex-Bumshotels, für seine malerischen Landschaften, seine Stauseen, gesprengten Brücken, seine massentauglichen Fernsehbiere sowie dafür, Heimat begnadeter politischer Köpfe zu sein. Über den Sauerländer Heinrich Lübke etwa kursierte einst das Bonmot, er sei ein echtes Wunderkind gewesen; er habe schon als Vierjähriger so sprechen können wie später als Bundespräsident. Und das Sauerland hört einfach nicht auf zu liefern.
Preisfrage: Woran erkennt man einen dummen Menschen? Man könnte etwa sagen, ein dummer Mensch sei jemand, der fünfzehn Mal mit Anlauf seinen ungeschützten Kopf gegen eine massive Wand donnert, sich jedes Mal eine Schädelfraktur plus Gehirnerschütterung einhandelt und beim sechzehnten Mal glaubt, jetzt würde er die Wand aber wirklich einreißen.
Friedrich Merz zum Beispiel wiederholt gerade Punkt für Punkt exakt jene Fehler, die bereits jede Menge konservative bzw. christdemokratische Parteien in Europa ins politische Abseits katapultiert haben. Anstatt dass ihm das zur Warnung gereicht, scheint auch er besessen von der Idee, man müsse sich den Rechten nur ein Stück anpassen, dann würden deren Wähler schon reumütig wieder ihr Kreuz bei Papa und Mama machen. Weils zu Hause doch am schönsten ist. Passiert aber nicht. Wo immer das gemacht wurde, hat das die Rechten weiter gestärkt und die Konservativen bis zur Bedeutungslosigkeit geschwächt (die französischen Républicains mussten bereits ihre Pariser Parteizentrale verkaufen). Wer AfD wählt, tut das nicht, weil ihm die CDU zu wenig rechts ist, sondern weil die AfD exakt so ist wie sie ist. Warum also mit einem matten Abklatsch vorlieb nehmen?
Zum gefühlt tausendsten Mal: Man bekämpft Rechte nicht, indem man ihre Positionen teilweise übernimmt.
Als die AfD bei 11 Prozent stand, hat die Briloner Blitzbirne noch großspurig angekündigt, diese halbieren zu wollen. Jetzt, da der Verein bei 22 Prozent steht, würde ich sagen: Man nenne mich pingelig, einen Pedanten gar, und in Mathe war ich noch nie eine Leuchte, aber in meiner Welt sieht 'halbieren' irgendwie anders aus. (Oder sollte ich vielleicht in eine aktuelle Ausgabe des Duden investieren?)
Nun ist die Frage: Warum tun er das trotzdem? Warum die Existenz der Union riskieren? Wo doch die Warnungen klar auf dem Tisch liegen? Warum es sich mit allen traditionellen CDU-Milieus verscherzen? So dumm kann man nicht sein. Also, warum? Wie so oft, ist die Antwort: It's the economy, stupid! Es geht, wie fast immer, um Interessen. Man sollte sich ferner dem unbequemen Gedanken öffnen, dass Merz vielleicht nicht so dumm ist. Instinktlos, unbeherrscht und hochgradig ungeschickt gewiss, aber eben nicht dumm. So im Sinne von: Sein Handeln ist nicht so erratisch wie es aussieht, sondern folgt durchaus einer gewissen Logik.
In der CDU haben inzwischen die neoliberalen Hardliner um Merz das Sagen, und denen bietet der libertäre Teil der AfD um Alice Weidel bei allem Unappetitlichen etwas, wovon sie schon lange träumen: Die Chance, endlich eine knallharte, arbeitnehmer:innenfeindliche, antisoziale Agenda durchzudrücken. Aufweichung, wenn nicht Abschaffung von Arbeitnehmer:innenrechten, Schwächung, wenn nicht Zerschlagung der Gewerkschaften, Eindampfen des öffentlichen Sektors und des Sozialstaats bis auf kümmerliche Reste. (Warum das, was man Ausländer:innen zumuten will -- nur noch Bett, Brot, Zahnbürste -- nicht auch auf arbeitsscheues inländisches Pack ausdehnen?) Mit SPD und Grünen als Koalitionspartner wäre das niemals durchsetzbar und die FDP als Mehrheitsbeschafferin ist fürs Erste weg vom Fenster.
Die Versuchung, einen solchen sozialen Kahlschlag endlich ins Werk setzen zu können, ist offenbar so groß, dass Merz und seine Kampfgenossen alle Warnungen ignorieren und sogar das Risiko einer Spaltung der Union eingehen. Denn eigentlich sollten AfD-Forderungen wie EU- und NATO-Austritt mit der Partei Adenauers und Kohls nicht zu machen sein. Sollte man meinen.
Wer findet, ich übertreibe und ich sei nur ein Schwarzseher, möge einen Blick nach Österreich riskieren: Dort schuf die ÖVP/FPÖ-Koalition unter Sebastian Kurz 2018 mit als die Voraussetzungen für eine Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden am Tag. Herbert Kickl hat für den Fall einer Regierungsbildung bereits weitere Verschärfungen angekündigt.
Zufall? Nein, Tradition. Es ist eine gern beschwiegene Leiche im Keller des deutschen Konservatismus, dass die Installation von Hitler 1933 durch die damals herrschende Klasse vor allem mit dem Ziel erfolgte, die organisierte Arbeiterklasse, deren Machtübernahme man befürchtete, zu entmachten. Und Hitler lieferte. Bereits im Mai 1933 wurden Gewerkschafter in KZs verschleppt, die Gewerkschaften gleichgeschaltet und in die Deutsche Arbeitsfront überführt. 1934 folgte die Abschaffung der im Weimarer Kompromiss durchgesetzten betrieblichen Mitbestimmung (Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit vom 20. Jan. 1934). Vor diesem Hintergrund ist auch Goebbels' Diktum, der Nationalsozialismus sei der "wahre Sozialismus" zu verstehen. Es ging nicht darum, dass die Nazis links waren, sondern darum, die Entmachtung und Domestizierung der Arbeiter propagandistisch zu begleiten. Die bekamen schicke Uniformen, Karrierechancen und einen Sündenbock hingeworfen: die Juden.
Und heute? Im Falle einer AfD-Regierung drohte vermutlich keine Diktatur. Zumindest vorerst. Was aber auf jeden Fall käme, wäre kompromisslos einseitige Politik im Sinne des Kapitals. Wie damals bekäme die Masse der um etliche Rechte gebrachten Arbeitnehmer:innen Patriotismus und Rassismus als Trostpflaster. Das erhabene Gefühl zu wissen, wer schuld ist an der Misere und dass es zumindest 'denen' immer noch schlechter geht. Oh, und apropos: Einen Einwanderungsstopp würde es auch mit einer, Gott bewahre, Kanzlerin Weidel nicht geben. Die Wirtschaft würde ihr sehr deutlich mitteilen, was ihre Spielräume sind und dass man auch gern weiterhin mit einer Reservearmee aus Billiglöhnern, gern auch aus aller Welt, die hiesigen Arbeiter:innen unter Druck halten würde.
Wer also Arbeitnehmer:in ist und aus Frust die AfD wählen will, sollte sich das jenseits von Moral lieber zwei Mal überlegen. Weder wird es ihm/ihr selbst besser gehen noch wird sich an der Migrationssituation fundamental was ändern. Und ja, es kann jeden treffen, nicht nur Asylbetrüger. Will mir nur nicht irgendwann vorwerfen müssen, nicht gewarnt zu haben.
Lieber Stefan, auch du hältst diesen Backlash nicht mehr auf. Die Nummer ist durch. Wer sich diese Bundestagsdebatten der letzten Tage angesehen hat (Danke Phoenix, immerhin), weiß, dass das System in D gerade fertig hat. Und dass es genau das bewirkt hat, wovor sie immer noch warnen. Das muss jetzt scheinbar so. Mich widert das nur noch an.
AntwortenLöschenGreetz, Stefan
Genau so!
AntwortenLöschenAndererseits wurden die Menschen mental schon lange für diese Denke weichgeklopft und jetzt wurde gleich noch ein "Schuldiger" gefunden, den man endlich in Größenordnung vorführen kann. Irgendwann werden auch ein paar Kleingeister peilen, dass es genügend "Gruppen" gibt, die man so nach und nach dissen kann, und keiner weiss, ob er nicht auch mal in so einem Raster hängen bleibt, wenn er nicht duckmäusert.
- Ausländer
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- Künstler
- to be continued