Samstag, 1. Februar 2025

Warum? Darum!


Das Sauerland -- berühmt für laute niederländische Skitouristen, berauschende Schützenfeste und verschwiegene Ex-Bumshotels, für seine malerischen Landschaften, seine Stauseen, gesprengten Brücken, seine massentauglichen Fernsehbiere sowie dafür, Heimat begnadeter politischer Köpfe zu sein. Über den Sauerländer Heinrich Lübke etwa kursierte einst das Bonmot, er sei ein echtes Wunderkind gewesen; er habe schon als Vierjähriger so sprechen können wie später als Bundespräsident. Und das Sauerland hört einfach nicht auf zu liefern.

Preisfrage: Woran erkennt man einen dummen Menschen? Man könnte etwa sagen, ein dummer Mensch sei jemand, der fünfzehn Mal mit Anlauf seinen ungeschützten Kopf gegen eine massive Wand donnert, sich jedes Mal eine Schädelfraktur plus Gehirnerschütterung einhandelt und beim sechzehnten Mal glaubt, jetzt würde er die Wand aber wirklich einreißen.

Friedrich Merz zum Beispiel wiederholt gerade Punkt für Punkt exakt jene Fehler, die bereits jede Menge konservative bzw. christdemokratische Parteien in Europa ins politische Abseits katapultiert haben. Anstatt dass ihm das zur Warnung gereicht, scheint auch er besessen von der Idee, man müsse sich den Rechten nur ein Stück anpassen, dann würden deren Wähler schon reumütig wieder ihr Kreuz bei Papa und Mama machen. Weils zu Hause doch am schönsten ist. Passiert aber nicht. Wo immer das gemacht wurde, hat das die Rechten weiter gestärkt und die Konservativen bis zur Bedeutungslosigkeit geschwächt (die französischen Républicains mussten bereits ihre Pariser Parteizentrale verkaufen). Wer AfD wählt, tut das nicht, weil ihm die CDU zu wenig rechts ist, sondern weil die AfD exakt so ist wie sie ist. Warum also mit einem matten Abklatsch vorlieb nehmen?

Zum gefühlt tausendsten Mal: Man bekämpft Rechte nicht, indem man ihre Positionen teilweise übernimmt.

Als die AfD bei 11 Prozent stand, hat die Briloner Blitzbirne noch großspurig angekündigt, diese halbieren zu wollen. Jetzt, da der Verein bei 22 Prozent steht, würde ich sagen: Man nenne mich pingelig, einen Pedanten gar, und in Mathe war ich noch nie eine Leuchte, aber in meiner Welt sieht 'halbieren' irgendwie anders aus. (Oder sollte ich vielleicht in eine aktuelle Ausgabe des Duden investieren?)

Nun ist die Frage: Warum tun er das trotzdem? Warum die Existenz der Union riskieren? Wo doch die Warnungen klar auf dem Tisch liegen? Warum es sich mit allen traditionellen CDU-Milieus verscherzen? So dumm kann man nicht sein. Also, warum? Wie so oft, ist die Antwort: It's the economy, stupid! Es geht, wie fast immer, um Interessen. Man sollte sich ferner dem unbequemen Gedanken öffnen, dass Merz vielleicht nicht so dumm ist. Instinktlos, unbeherrscht und hochgradig ungeschickt, gewiss, aber eben nicht dumm. So im Sinne von: Sein Handeln ist nicht so erratisch wie es aussieht, sondern folgt durchaus einer gewissen Logik.

In der CDU haben inzwischen die neoliberalen Hardliner um Merz das Sagen, und denen bietet der libertäre Teil der AfD um Alice Weidel bei allem Unappetitlichen etwas, wovon sie schon lange träumen: Die Chance, endlich eine knallharte, arbeitnehmer:innenfeindliche, antisoziale Agenda durchzudrücken. Aufweichung, wenn nicht Abschaffung von Arbeitnehmer:innenrechten, Schwächung, wenn nicht Zerschlagung der Gewerkschaften, Eindampfen des öffentlichen Sektors und des Sozialstaats bis auf kümmerliche Reste. (Warum das, was man Ausländer:innen zumuten will -- nur noch Bett, Brot, Zahnbürste -- nicht auch auf arbeitsscheues inländisches Pack ausdehnen?) Mit SPD und Grünen als Koalitionspartner wäre das niemals durchsetzbar und die FDP als Mehrheitsbeschafferin ist fürs Erste weg vom Fenster.  

Die Versuchung, einen solchen sozialen Kahlschlag endlich ins Werk setzen zu können, ist offenbar so groß, dass Merz und seine Kampfgenossen alle Warnungen ignorieren und sogar das Risiko einer Spaltung der Union eingehen. Denn eigentlich sollten AfD-Forderungen wie EU- und NATO-Austritt mit der Partei Adenauers und Kohls nicht zu machen sein. Sollte man meinen.

Wer findet, ich übertreibe und ich sei nur ein Schwarzseher, möge einen Blick nach Österreich riskieren: Dort schuf die ÖVP/FPÖ-Koalition unter Sebastian Kurz 2018 die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden am Tag. Herbert Kickl hat für den Fall einer Regierungsbildung bereits weitere Verschärfungen angekündigt.

Zufall? Nein, Tradition. Es ist eine gern beschwiegene Leiche im Keller des deutschen Konservatismus, dass die Installation von Hitler 1933 durch die damals herrschende Klasse vor allem mit dem Ziel erfolgte, die organisierte Arbeiterklasse, deren Machtübernahme man befürchtete, zu entmachten. Und Hitler lieferte. Bereits im Mai 1933 wurden Gewerkschafter in KZs verschleppt, die Gewerkschaften gleichgeschaltet und in die Deutsche Arbeitsfront überführt. 1934 folgte die Abschaffung der im Weimarer Kompromiss durchgesetzten betrieblichen Mitbestimmung (Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit vom 20. Jan. 1934). Vor diesem Hintergrund ist auch Goebbels' Diktum, der Nationalsozialismus sei der "wahre Sozialismus" zu verstehen. Es ging nicht darum, dass die Nazis links waren, sondern darum, die Entmachtung und Domestizierung der Arbeiter propagandistisch zu begleiten. Die bekamen schicke Uniformen, Karrierechancen und einen Sündenbock hingeworfen: die Juden.

Und heute? Im Falle einer AfD-Regierung drohte vermutlich keine Diktatur. Zumindest nicht vorerst. Was aber auf jeden Fall käme, wäre kompromisslos einseitige Politik im Sinne des Kapitals. Wie damals bekäme die Masse der um etliche Rechte gebrachten Arbeitnehmer:innen Patriotismus und Rassismus als Trostpflaster. Das erhabene Gefühl zu wissen, wer schuld ist an der Misere und dass es zumindest 'denen' immer noch schlechter geht. Oh, und apropos: Einen Einwanderungsstopp würde es auch mit einer, Gott bewahre, Kanzlerin Weidel nicht geben. Die Wirtschaft würde ihr sehr deutlich mitteilen, was ihre Spielräume sind und dass man auch gern weiterhin mit einer Reservearmee aus Billiglöhnern, gern auch aus aller Welt, die hiesigen Arbeiter:innen unter Druck halten würde.

Wer also Arbeitnehmer:in ist und aus Frust die AfD wählen will, sollte sich das jenseits von Moral lieber zwei Mal überlegen. Weder wird es ihm/ihr selbst besser gehen noch wird sich an der Migrationssituation fundamental was ändern. Und ja, es kann jeden treffen, nicht nur Asylbetrüger. Will mir nur nicht irgendwann vorwerfen müssen, nicht gewarnt zu haben.









17 Kommentare :

  1. Lieber Stefan, auch du hältst diesen Backlash nicht mehr auf. Die Nummer ist durch. Wer sich diese Bundestagsdebatten der letzten Tage angesehen hat (Danke Phoenix, immerhin), weiß, dass das System in D gerade fertig hat. Und dass es genau das bewirkt hat, wovor sie immer noch warnen. Das muss jetzt scheinbar so. Mich widert das nur noch an.

    Greetz, Stefan

    AntwortenLöschen
  2. Siewurdengelesen1. Februar 2025 um 19:27

    Genau so!

    Andererseits wurden die Menschen mental schon lange für diese Denke weichgeklopft und jetzt wurde gleich noch ein "Schuldiger" gefunden, den man endlich in Größenordnung vorführen kann. Irgendwann werden auch ein paar Kleingeister peilen, dass es genügend "Gruppen" gibt, die man so nach und nach dissen kann, und keiner weiss, ob er nicht auch mal in so einem Raster hängen bleibt, wenn er nicht duckmäusert.

    - Ausländer
    - Arbeitslose
    - Obdachlose
    - politisch Andersdenkende
    - sexuell anders Orientierte
    - Künstler
    - to be continued

    AntwortenLöschen
  3. Wer könnte die aktuelle Situation besser beschreiben, als einer der Kleinen, Unbedeutenden, immer schon masochistisch Schreibenden, trotzdem wenig Gehörten (weil er das so will) und trotzdem ganz großen Chronisten unseres verfickten Jahrzehnts. Restauration.
    https://maschinist.blog/2025/02/01/die-restauration/

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Den Maschinisten wünsch ich mir als nächsten Bundespräsidenten. Obwohl er sich wahrscheinlich lieber mit einer Überdosis um die Ecke bringen würde, als ausgerechnet diesen Job anzunehmen.

      Löschen
  4. Ein schöner Kommentar in der linksgrünversifften Wirtschaftswoche.

    https://www.wiwo.de/politik/deutschland/tauchsieder-friedrich-merz-kann-es-nicht/30194086.html?utm_medium=ko&utm_source=zeit&utm_campaign=parkett

    AntwortenLöschen
  5. Saubere Analyse, danke vor allem für den historischen Blick auf die Sache. Ob allerdings ein "Gutes-Brot-Bett-Zahnbürste-Gesetz" nicht doch auch mit der SPD durchsetzbar wäre, das ließe sich immerhin bezweifeln. Die Genossen haben in der Vergangenheit schon jede Menge neoliberalen Scheiß mitgemacht, wenn auch vielleicht nicht jeden. Und für arbeitsscheues inländisches Gesindel hat auch die SPD nicht sonderlich viel übrig. Wie könnte sie auch, sie ist ja schließlich eine Arbeiterpartei, oder?

    PS.
    Trotzdem wärs mir natürlich lieber, der Kanzler hieße auch zukünftig Scholz und nicht Merz, oder, Gott behüte, Weidel. Den Habeck könnte ich nur ertragen, wenn er sich an sein plakatiertes Wahlversprechen (Ein Mensch, ein Wort) hielte. Dass er ein Mensch ist glaub ich ihm gern. Aber "ein Wort"? Eins? Eher schreibt sich die Alice für einen Master in Gender Studies ein, als dass der Robert mit seiner greulichen Schwafelei aufhört.

    AntwortenLöschen
  6. "Die Chance, endlich eine knallharte, arbeitnehmer:innenfeindliche, antisoziale Agenda durchzudrücken."
    yepp — so ist es. Und so wird es auch kommen. Geliefert wie bestellt.
    Gruß Jens

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Aber bitte nicht vom AfD-Lieferdienst liefern lassen. Dafür ist die Mehrzahl der Deutschen immer noch viel zu anständig.

      Löschen
  7. Und wieder gehen sie zu tausenden als nützliche Idioten auf die Strasse.

    https://tinyurl.com/mw76nm6n

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Und noch viel mehr werden bald ihre Kreuzchen bei CDU, AfD, SPD, den Grünen, BSW und FDP machen. Bei letzterer vielleicht diesmal etwas weniger als beim letzen Mal. Ein schwacher Trost.

      Löschen
  8. Bin ich eigentlich der einzige, den die angekündigte Aufhebung der täglichen Arbeitszeitbegrenzung gruselt?

    AntwortenLöschen
  9. "Bin ich eigentlich der einzige, den die angekündigte Aufhebung der täglichen Arbeitszeitbegrenzung gruselt?"
    ... das ist auch wieder mal so ein feuchter Traum der Kapitalisten. Da seien die Gewerkschaften vor.
    Das wollte Klüh schon vor Jahren fürs Flugzeug-Reinigungspersonal am Düsseldorfer Flughafen einführen.
    Arbeitszeit/Anwesenheit "der ganze Tag" - bezahlt wird aber nur die tatsächliche Reinigungszeit im Flieger.
    Mir wird gerade bewusst, was für neoliberale Drecksäcke auf den Swingback für Arbeitnehmerrechte hoffen.
    Gruß Jens
    (werdet Gewerkschaftsmitglieder — bitte)

    AntwortenLöschen
  10. Fricke, einer der klügeren Köpfe der FDP, vertrat bei "Unter Den Linden" die Ansicht die Union werde den Sozialstaat nicht zerschlagen, es gebe noch den Arbeitnehmerflügel und die Rhetorik diene dem Abholen gewisser Wählerströme.
    Die Rhetorik gerade bei Bürgergeld und Arbeitnehmerrechten klingt jedenfalls ziemlich aggressiv, ob Fricke recht hat wird sich zeigen müssen, vielleicht liegt auch dieser gut analysierte Artikel näher an der Realität.
    Mit Merz allerdings bleibt es bei den Optionen mit SPD, Grünen (und BSW), in allen denkbaren Kombinationen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD, die bislang nicht vorliegt, überlebt er nicht, das wäre ein zu krasser Wortbruch.
    Die Rhetorik könnte also auch das Aufbauen einer Verhandlungsbasis mit einer mittig linken Partei sein die ja die einzige Option ist nach der Wahl. Also ein Deal a la Trump bei dem du 1000 forderst um 500 zu kriegen.
    Starker drittletzter Absatz (Zufall, nein....)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Siewurdengelesen5. Februar 2025 um 16:35

      Sagen wir mal so: Die Halbwertzeit solcher Aussagen selbst von klügeren Köpfen ist wahrscheinlich kürzer als die Zeit, die für die Aussage selber nötig ist.

      Mit den 1000 und 500 stimme ich zu. Diese Taktik fahren allerdings die Unternehmen und Politiker doch auch schon ewig z.B. bei Tarifverhandlungen oder eben auch in der Koalition/ bei Regierungsbeschlüssen. Erstmal wird fett aufgetragen mit Werten, von denen jeder weiss, dass sie utopisch sind, um am ENde trotzdem mehr dabei herauszuschinden beim Beschluss, als mit einer von Haus aus moderaten Forderung um´s Eck gekommen wäre. Im Handel steht dann ein durchgestrichener Mondpreis auf der Ware und darunter der vermeintlich günstige, der zum Kauf verleiten soll - same procedure...

      Selber warte ich ab, was bei der Wahl des geringsten Übels contra Merz und AfD herauskommt und ab da lohnt sich das spekulieren wieder. Meines Erachtens wird es gar nicht lange dauern, bis sich manche die esoterischen und weltfremden Spinner der Politsekte "Die Grünen" als vermeintliche Wurzel allen Übels wieder herbeiwünschen. Nur geben die das dann nicht zu.

      Löschen
  11. @Sie wurden gelesen
    "Die Halbwertzeit solcher Aussagen selbst von klügeren Köpfen ist wahrscheinlich kürzer als die Zeit, die für die Aussage selber nötig ist."
    Das stimmt leider aber Merz hat sich soweit aus dem Fenster gelehnt daß er nicht mehr zurück kann, der einzige Weg zu schwarz-blau führt über seine Leiche.
    Oder über blau-schwarz, und da gibt es eine schon zu erahnende Entwicklung die jetzt vielleicht beginnt einzutreten, im Moment noch als frühe Vorahnung.
    Für eine ganze Zeitlang war die Union stabil um die 30 Prozent, die AfD stabil nicht über 20.
    Das könnte jetzt ins Rutschen kommen, die ersten Umfragen sehen die Afd bereits über der Schallmauer von 20, und in der neuesten forsa-Befragung rutscht die Union auf 28.
    Spricht bisher nicht für die Strategie von Merz, oder für die richtige Umsetzung, das ist im Moment schwer zu erkennen.
    Klar ist jedenfalls daß Sozialbashing die Union nicht weiter bringt, bei Migration ist die Situation unklar.
    ""Die Grünen" als vermeintliche Wurzel allen Übels wieder herbeiwünschen."
    Guter Satz, in der Tat, wer zuwenig eigene Inhalte hat braucht Feindbilder, ohne die Grünen wirds da schwierig.

    AntwortenLöschen
  12. Ich sehe gerade kein Sozialbashing der Union. – Klar, wird da keiner zustimmen, der in der Hängematte des Staates liegt. Aber da liegen max. 10 %. Sorry, not sorry. – Ich sehe gerade, dass der rot-grüne Tannenbaum brennt (ja, geklaut, trotzdem richtig). Und das zu Recht. Und das als ehemaliger Linker resp. nicht Grüner.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja ganau, wer die Union hier kritisiert, kann ja nur Hängematte sein.
      Da hat einer brav aufgepaßt bei der Indoktrinierung auf Stammtischniveau.

      Löschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.