Montag, 24. Februar 2025

Wahl. Senf. Zehn Thesen.


Die gestrige Wahl ist im Wesentlichen so ausgegangen wie prognostiziert. Der großen Überraschungen waren wenige und sie lagen im Detail. Es war eine kleine, doch nicht unbedeutende Überraschung, dass der Wagenknecht-Fanclub es nicht in den Bundestag schafft und somit knapp eine Zweierkoalition aus CDU und SPD ermöglicht. Eine größere Überraschung (die sich aber abgezeichnet hatte): Der in dieser Höhe vielleicht unerwartete, aber, wie wir noch sehen werden, keineswegs unlogische oder gar unerklärliche Endspurt der Linken.

1. Friedrich Merz hat sich selbst in eine schwierige Lage gebracht.
Lässt man ideologische Fragen beiseite, wäre rein zahlenmäßig eine Koalition aus AfD und CDU die stabilste, da sie mit der sattesten Mehrheit ausgestattet wäre. Aber sogar Merz dürfte dieses Risiko nicht eingehen. Die AfD ist nach wie vor eine Protestpartei und die Fähigkeit des Höcke-Flügels, ein ganzes Parlament zu trollen, war zuletzt in Thüringen zu bewundern. Zumal es fraglich ist, ob die CDU-Fraktion in dieser Sache geschlossen wäre. Schon bei Merzens 'Tabubruch' hat sich gezeigt, dass das keineswegs ausgemacht ist. Es gibt durchaus 'ehrbare' Konservative alten Stils, zum Beispiel aus kirchlichen Milieus oder Transatlantiker und Putin-Gegner wie Norbert Röttgen, Merkelianer wie Armin Laschet, die sich eher eine Hand abhacken würden, als mit der AfD zu koalieren. Das lässt ein Szenario wie in Österreich unwahrscheinlich erscheinen.

Dann ist da die Sache mit der Schuldenbremse: Will er nicht als zahlungsunfähige Lame duck sein Amt antreten, wird ein Kanzler Merz die Investitionsbremse schnellstmöglich reformieren müssen (wofür er sich übrigens mit seiner Verfassungsklage ohne Not selbst Steine in den Weg gelegt hat). Die Option, das noch vor der Bundestagswahl gemeinsam mit der Ampel zu erledigen, hat er leichtfertig aus der Hand gegeben, weil er der Ampel keinen Punkt lassen wollte und lieber mit der AfD rumgekumpelt hat, um den starken Mann zu markieren und bei SPD und Grünen Panik zu machen.

Für eine Reform ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig, die aber auch eine CDU-/AfD-Koalition allein nicht hätte. Es bräuchte also noch Stimmen von SPD, Grünen und Linken. Die wird es aber nicht geben, denn es ist unvorstellbar, dass auch nur ein:e einzige:r Abgeordnete:r einer dieser Parteien gemeinsam mit der AfD stimmt, erst recht nicht in so einer wichtigen Frage. Oder Merz hält die AfD draußen und arbeitet für die Reform nur mit SPD, Grünen und Linken. Die Linke wird aber keiner Reform der Schuldenbremse zustimmen, die der Aufrüstung der Bundeswehr dient, und Koalitionspartner Söder wird sich eher ohne Narkose was amputieren lassen, als irgendwie mit der Linken zusammenzuarbeiten. Dumm gelaufen.

2. CDU, SPD und Grüne haben nicht ihre populärsten Kandidaten ins Rennen geschickt.
In aktuellen Popularitätsrankings liegt bei der SPD Boris Pistorius weit vor Olaf Scholz und bei den Grünen Cem Özdemir knapp vor Robert Habeck. Bei bei der CDU liegen Hendrik Wüst und Daniel Günther klar vor Friedrich Merz, der sogar knapp unbeliebter ist als Olaf Scholz. Nun ist eine Bundestagswahl keine Misswahl, und zumindest Wüst und Günther sind als Ministerpräsidenten gerade schlecht abkömmlich. Aber hinsehen kann man schon mal.

3. Die AfD ist endgültig in der Bundespolitik angekommen.
Und wird nicht mehr weggehen. Das kann man eine Platitüde nennen, das kann einem passen oder nicht, aber man muss es so zur Kenntnis nehmen. Die Gründe, warum vor allem CDU/CSU, aber nicht nur die, den Verein unnötig stark gemacht haben, wurden hier bereits hinreichend dargelegt. Entscheidend wird jetzt die Frage sein: Wird die AfD, wie die FPÖ in Österreich, auch 30 Prozent erreichen oder bleibt sie da, wo sie jetzt ist?

4. Zum Mitschreiben: Migration war und ist nicht das Thema Nummer eins.
Auch wenn Union, SPD, FDP, die Grünen, die AfD sowieso, fortwährend getrommelt haben, Migration sei das Megahammeroberthema, lässt sich das empirisch nicht belegen. Sicher, es treibt die Menschen natürlich schon irgendwie um, steht aber längst nicht so weit oben auf dem Zettel wie der Eindruck erweckt wurde. Sich fast ausschließlich auf Migration zu fokussieren, wie es fast alle Parteien im Wahlkampf törichterweise getan haben, war der untaugliche Versuch, der AfD ihr Kernthema irgendwie abzuluchsen. Umgekehrt scheint die nicht übermäßig davon profitiert zu haben, die furchtbaren Anschläge der letzten Zeit zu instrumentalisieren, da sie bei ihren 20 Prozent plus/minus irgendwas kleben geblieben ist. Ein Grund dafür könnte sein, dass die AfD, wie gesagt, eine Protestpartei ist und zum Teil von der Provokation lebt. Nur nutzen auch krasse Provokationen sich auf Dauer ab. Eine weitere Steigerung, vor allem in 'sozialen' Netzwerken, scheint kaum mehr möglich, ohne mit dem Strafrecht in Konflikt zu geraten.

5. Boris Pistorius ist der Rettungsanker der SPD. Vielleicht der letzte.
Pistorius hat sich bei der Kandidatenfrage zurückgehalten und es Scholz überlassen, die Wahlniederlage zu kassieren. Kevin Kühnert, einer der Architekten von Scholzens Kanzlerschaft, hat sich aus der Politik zurückgezogen und Sozialminister Heil ist durch das Hickhack um das Bürgergeld angeschlagen. Das macht Pistorius zum quasi automatischen Verhandlungsführer für eine Koalition mit der CDU. Zumal er politisches Gewicht hat, da er der erste Verteidigungsminister seit langem ist, der sowohl von der Truppe geschätzt wird als auch bis weit in die Reihen des politischen Gegners hinein Respekt genießt. Angesichts der Aufgaben, die im Bereich Bundeswehr anstehen, wäre es kompletter Wahnsinn, ihn jetzt aus Gründen des Proporzes gegen einen überforderten CSU-Hallodri auszuwechseln.

6. Die FDP hat fertig, und das ist auch gut so.
Nuff said. Völlig verdient. Lindner kann jetzt einen langen Vaterschaftsurlaub nehmen. Und sich dann von irgendeinem Konzern das Gesäß vergolden lassen.

7. Baerbock und Habeck sind neben Scholz die Verlierer, aber Grünen sind weiterhin im Spiel.
Die Grünen hatten von allen Parteien, die Verluste hinnehmen mussten, noch die geringsten. Das bedeutet, ihre Kernklientel ist ziemlich stabil bei 10 bis 15 Prozent. Baerbock und Habeck sind politisch so beschädigt, dass sie vorerst wohl keine Rolle mehr spielen werden. Dass Habeck als erster persönliche Konsequenzen gezogen hat, zeigt im Übrigen, dass er, bei allen Fehlern, die man ihm ankreiden kann, charakterlich einer der integersten Politiker ist, die dieses Land hat. Was ihm aber nichts genützt hat, ebenso wenig wie seine unbestreitbare Intelligenz und Belesenheit. Abgesehen von einer berühmten Ausnahme (Winston Churchill), sind Intellektuelle meist keine erfolgreichen Politiker. Die Partei aber dürfte ist mit entsprechendem Personal und verbesserter Kommunikationsstrategie (was eine Menge Arbeit werden wird) für 18 bis 20 Prozent gut sein.

8. Die Linke war erfolgreich, weil sie auf die richtigen Leute und die richtigen Themen gesetzt hat. So einfach.
Die Linke konnte punkten, weil sie mit Heidi Reichinnek und Jan van Aken zwei überaus interessante Leute am Start hatte und weil sie so ziemlich als einzige Partei Themen angesprochen hat, die viele Menschen außer Migration wirklich bewegen: Mieten, Wohnen, Rente, Mindestlohn, soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit. Alles Themen nebenbei, die die anderen Parteien in ihrem absurden Überbietungswettbewerb in Sachen "Ausländer raus!", in den sie sich von der AfD hineinziehen ließen, leichtfertig haben liegen lassen.

9. Und Sahra Wagenknecht so?
Blieb am Wahlabend den Medien fern und redet von Wahlbetrug, weil angeblich Briefwahlstimmen nicht gezählt wurden, was ihr und dem BSW den Einzug in den Bundestag verbaut habe. Erstens: Wagenknecht gehörte zu denen, die nach dem Platzen der Ampel auf schnelle Neuwahlen drängten. Zweitens: Die Bundeswahlleiterin hat ausdrücklich vor den Risiken einer Neuwahl bereits im Februar gewarnt. Drittens: Das Risiko, dass Briefwahlstimmen fristgerecht ankommen, tragen die Wahlberechtigten. Noch mal dumm gelaufen.

10. Die USA werden erheblichen Einfluss auf die deutsche Politik nehmen.
Zeitenwende bedeutet auch, dass die Zeiten, in denen Wahlergebnisse in anderen Staaten wenn nicht respektiert, so doch wenigstens hingenommen wurden, vorbei sind. Aus dem Weißen Haus wurde bereits offen signalisiert, dass man in Deutschland gefälligst die AfD in der Regierung sehen wolle. Wer zwei und zwei zusammenbekommt, weiß: Die transatlantische Zusammenarbeit würde mit einer AfD in der Regierung deutlich einfacher und billiger werden. Nicht ausgeschlossen, dass hinter den Kulissen von der mafiösen Trump-Kamarilla bereits Ansagen gekommen sind wie: Wenn die nächste deutsche Regierung nicht so aussieht wie von uns gewünscht, dann wird militärischer Schutz richtig, richtig teuer werden, liebe Deutsche. Überlegt euch also gut, was ihr tut.

Man nenne mich einen Schwarzseher, aber es ist eine durchaus unschöne, wenn nicht gruselige Vorstellung, dass eine Regierung ohne AfD sich von Beginn an massiven, KI-gesteuerten Social Media-Kampagnen ausgesetzt sehen wird. Elon Musk macht gerade Anstalten, auch TikTok zu kaufen und Mark Zuckerberg hat die Hacken zusammengeschlagen und ist voll auf Trump-Linie. Es könnte sogar so weit gehen, dass die Trump-Administration eine deutsche Regierung ohne AfD einfach nicht als legitim anerkennt. Dreist behauptet, die Wahl sei gefälscht gewesen. Abwegig? Wie weit Donald Trump bereit ist zu gehen, wenn ein Wahlergebnis ihm nicht passt, konnte die Welt am 6. Januar 2021 bestaunen. Und dass man sich beim Einmischen in die Interna anderer Länder absolut keinen Zwang anzutun gedenkt, dafür hat DJ Wanz in München bereits erste Kostproben gegeben. Putin kann das Wahlergebnis also ziemlich egal sein.


Lesenswerte Analysen/Beiträge u.a. von:

Jan Ole Arps/Nelli Tügel

2 Kommentare :

  1. Ganz unverschämt verlinke ich meinen Kommentar mal mit hierüber...

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  2. "Man nenne mich einen Schwarzseher, aber es ist eine durchaus unschöne, wenn nicht gruselige Vorstellung, dass eine Regierung ohne AfD sich von Beginn an massiven, KI-gesteuerten Social Media-Kampagnen ausgesetzt sehen wird"
    Genauso wird es kommen.
    Gruß Jens

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