Dank Baldkanzler Merz ist das Sauerland, jene sympathische Region im Südosten Nordrhein-Westfalens (plus ein Zipfel Hessens), plötzlich zurück auf der Bühne der Weltgeschichte. Höchste Zeit also für ein paar Fakten. Damit Sie mitreden können.
Was den jährlichen Bierausstoß angeht, ist die Krombacher Brauerei in Kreuztal mit 5,94 Mio. hl bundesweit Spitzenreiter. Veltins in Grevenstein bei Meschede liegt mit 3,36 Mio. hl auf Platz 3 und Warsteiner mit 1,94 Mio. auf Platz 6. Oettinger (1,82 Mio.) kommt hinter Warsteiner nur auf Platz 7. Das Sauerland versorgt also halb Deutschland mit Bölkstoff. Eine dieser Gegenden, über die Großstädter sagen, hier sei Saufen eine Wissenschaft und Lehrer gölten als Intellektuelle.
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Apropos Lehrer: In den 1970ern und 1980ern herrschte in der BRD West die so genannte Lehrerschwemme. Der Satz "Ich studier' (auf) Lehramt." war damals gleichbedeutend mit: "Mein Traumjob ist Taxifahrer." oder "Ich würde gern bei McDonald's/an der Hotelrezeption arbeiten." Mit Glück eröffneten verhinderte Lehrer nette Szenekneipen. In Nordrhein-Westfalen war das seltsamerweise aber so, dass im Kreis Olpe irgendwie immer Lehrer gesucht wurden. Wer sich vorstellen konnte es über sich zu bringen, nach dem Referendariat dorthin zu gehen, hieß es, hatte eine A 13-Stelle quasi sicher.
Um die Jahrtausendwende herum war ich lose bekannt mit einem hiesigen Historiker, aus dessen akademischer Karriere trotz Toppromotion am Europäischen Institut (Wirtschaftsgeschichte -- ganz heißer Scheiß damals!) nichts geworden war. Er lebte dann eine Zeitlang ganz gut von Auftragsschreibereien, bis die Aufträge irgendwann wegbrachen. Auf Anraten des (damals noch) Arbeitsamtes nahm er an einem der ersten Quereinsteigerprogramme für Lehrer teil und bekam auch eine Stelle. Im Kreis Olpe. Er zog mit seiner Familie dorthin und man hat seitdem nie wieder was von ihm gehört.
Wissenschaftler vermuten, irgendwo in den tiefen Tiefen des Rothaargebirges gäbe es ein Schwarzes Loch, in das man die ganzen arbeitslosen Lehrer:innen gelockt habe, weil Taxikunden, Hotelgäste und Mäckes-Kunden Sätze wie "Eigentlich bin ich ja Lehrer, Prädikatsexamen, aber unsere Scheißregierung..." einfach nicht mehr hören konnten.
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Wiewohl nicht aus dem Sauerland stammend, setzte der Entertainer Jürgen von der Lippe dem Sauerländer in den frühen 1980ern ein literarisches Denkmal in Gestalt der heute fast vergessenen Figur Hubert Lippenblüter. Der bezeichnet sich als letzten Junggesellen des Sauerlandes, ist Postbeamter in einer sauerländischen Kleinstadt, verbringt seine Freizeit vornehmlich in seiner Stammkneipe 'Zum kühlen Grund' und muss sich immer wieder den Avancen ihm nachstellender alleinstehender Damen erwehren.
Apropos sauerländische Kleinstadt. Eigentlich ist das eine Tautologie. Die größten Städte des Sauerlandes sind Iserlohn (91.880 Einwohner), Arnsberg (74.960) und Lüdenscheid (71.400). Die nächsten Großstädte sind Hagen, Dortmund, Kassel und, öhm, Siegen.
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Promis: Zu den neben Friedrich Merz berühmtesten Sauerländern zählen Heinrich Lübke (1894-1972) und Carl Schmitt (1888-1985). Lübke hat eine belastete NS-Vergangenheit (er hatte die Leitung beim Einsatz von KZ-Häftlingen beim Bau der Heeresversuchsanstalt Peenemünde) und gilt als Wunderkind, da er, wie es heißt, schon als Vierjähriger so sprechen konnte wie später als Bundespräsident. Schmitt kam aus Plettenberg, wo er auch einen Großteil seines Lebens verbrachte. Er wurde 1933 NSDAP-Mitglied und legitimierte das Vorgehen Hitlers beim Röhm-Putsch. ("Der Führer schützt das Recht."). Momentan arbeiten Leute wie Donald Trump, Steve Bannon und DJ Wanz damit. Ach ja: Franz Müntefering (*1940) ist auch Sauerländer.
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Das Sauerland ist berühmt für seine Stauseen ('Talsperren'). Auch in Großbritannien. Im Rahmen der Operation Chastise zerstörten Maschinen der No. 617 Squadron der Royal Air Force ('Dam Busters') die Staumauern des Möhnesees und des in Hessen gelegenen Edersees. Durch die Flutwellen kamen mehrere tausend Menschen ums Leben, die Wasserversorgung der Region war aber nur kurzzeitig beeinträchtigt.
Der Bau der Biggetalsperre von 1956 bis 1965 wurde durch eine Sonderabgabe ('Biggepfennig') mitfinanziert, die bis 2009 auf jeden abgenommenen Kubikmeter Wasser im Versorgungsgebiet erhoben wurde.
Eine Insel in der Wiehltalsperre ist durch die TV-Werbung der Krombacher Brauerei bekannt geworden. Die Insel heißt inzwischen Krombacher-Insel und wird touristisch vermarktet.
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Die größten gesellschaftlichen Ereignisse des Sauerlands sind das alljährliche Weltcup-Skispringen in Willingen, die Warsteiner Montgolfiade und das Schützenfest in Iserlohn. Die mit Abstand berühmteste Band aus dem Sauerland ist die 1979 gegründete und bis heute bestehende Iserlohner Formation Zoff, deren Herz für das Sauerland schlägt und deren 'Sauerland-Lied' (1983) der Höhepunkt jedes Schützenfestes ist. Extrabreit und Grobschnitt kommen aus Hagen und Sauerländer behaupten, das gehöre zum Sauerland, während Hagener steif und fest behaupten, Hagen gehöre zum Ruhrgebiet.
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Zu den berühmtesten Sauerländer Spezialitäten gehören Potthucke, Kröse und Knochenwurst. Wohl bekomm's!
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Apropos Schützenfest: Im Sauerland hat jedes Dorf ab 200 Einwohnern eine Schützenhalle für mindestens 1000 Leute. Also ist andauernd in irgendeinem Nachbardorf Schützenfest. Nur im Sommer ist Pause, da werden die meist außerhalb liegenden Schützenhallen für Kinder- und Jugendfreizeiten aus dem Ruhrgebiet vermietet.
Wenn wirklich das Sein aka Herkunft das Bewusstsein bestimmt, dann können wir jetzt nur noch beten.
AntwortenLöschenDachte Großstadt ist man erst ab 250.000? Da wär Hagen raus
AntwortenLöschenAb 100.000 darf man sich Großstadt nennen, das wurde schon im19. Jhd. festgelegt. Daher ist selbst Kaiserslautern (101.000) eine Großstadt.
LöschenDanke, ich habe mich köstlich amüsiert.
AntwortenLöschenFreut mich, danke.
LöschenFun fact: Die markante, nun ja, "Frisur" des Fritze Merz ist eine subtile Reminiszenz an die sauerländische Heimat. Hats off to Krombacherinsel.
AntwortenLöschenAuch wenn Krombacher dem ,,sauerländer Pilstyp'' angehört, liegt Kreuztal jedoch knapp im Siegerland und nicht im Sauerland.
AntwortenLöschenIst aber eigentlich auch egal.
PS: Mein Vater hat früher auswärtigen Bekanntschaften (z.B. im Urlaub: ,,Wo kommt Ihr denn her?'') gerne betont, dass wir ja vom _Rande_ des Sauerlandes kommen. Ich habe lange gebraucht um zu verstehen, warum ...
AntwortenLöschen... wundervoller Artikel. Sehr schön recherchiert. Toller, dezenter Humor.
AntwortenLöschenGruß Jens
Danke. *mützelüpf*
Löschen@Flusskiesel, 09:42: Wer Werbung mit dem Sauerland macht, wird eingemeindet. Zonenrandgebietsschicksal.
Wir haben mal Urlaub mit Kindern im Sauerland gemacht. Ein kleines Hotel bei Schmallenberg. Wurden mit Handschlag begrüßt und es gab super Essen. Zwar nur ein Mittagsgericht, aber das war Top. Die Mehrzahl der Gäste waren Holländer. Das Hotel hieß "Übeste Frigget". Was das bedeutet, keine Ahnung, nirgends zu finden.
AntwortenLöschenLustisch beschrieben, dass mit dem schwarzen Loch und den Leerern gefällt mir am besten :))
AntwortenLöschenTrackback: https://textrebell.de/ein-sauerlaender-als-bundeskanzler/
AntwortenLöschenFunfact: Cousine von mir meinte mal, dass Merz in Rüthen Abi gemacht hat, weil er vom Gymnasium in Brilon geflogen ist. Aus Gründen, die so unaussprechlich waren, dass man sie heute nicht mehr weiß.
AntwortenLöschenZum Glück gibt es investigativen Journalismus.
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