Man kann ohne Übertreibung sagen, dass der jetzt mit 88 Jahren verstorbene Rainer Brandt einen ebensolchen Einfluss auf die deutsche Alltagssprache hatte wie die geniale Disney-Übersetzerin Erika Fuchs. Brandt war in den 1960ern Autor bei der Berliner Synchron KG und sehr angeödet von Lippensychronitzität und philologisch exakten Übersetzungen. Er begann, Filme und Serien in 'Schnodderdeutsch' zu synchronisieren. Dazu verband er den 'hardboiled'-Slang eines Philip Marlowe mit hoher Sprachkunst und dem, was er um 1968 in Westberliner Kneipen, Diskotheken ("Opa, was ist eine 'Diskothek'?"), Haschlöchern, Bars und Rockertreffs so aufschnappte.
Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Freitag, 9. August 2024
Gedrechselt ungehobelt
Man kann ohne Übertreibung sagen, dass der jetzt mit 88 Jahren verstorbene Rainer Brandt einen ebensolchen Einfluss auf die deutsche Alltagssprache hatte wie die geniale Disney-Übersetzerin Erika Fuchs. Brandt war in den 1960ern Autor bei der Berliner Synchron KG und sehr angeödet von Lippensychronitzität und philologisch exakten Übersetzungen. Er begann, Filme und Serien in 'Schnodderdeutsch' zu synchronisieren. Dazu verband er den 'hardboiled'-Slang eines Philip Marlowe mit hoher Sprachkunst und dem, was er um 1968 in Westberliner Kneipen, Diskotheken ("Opa, was ist eine 'Diskothek'?"), Haschlöchern, Bars und Rockertreffs so aufschnappte.
Mittwoch, 7. August 2024
Wahre Worte (76)
Heute: Heike Holdinghausen über Dressurreiten bei den Olympischen Spielen
"Wenn ZDF-Kommentator Hermann Valkyser den häufig propellerartig drehenden, häufig schief gehaltenen Schweif der Stute Gold-Stute Dalera bei der Qualifikation am Freitag nicht für ein problematisches Zeichen für Stress und Verspannung hielt, oder ihr zum Teil offenes Maul, mit dem sie sich gegen Paraden (also der Einwirkung der Reiterin mit Zügeln, Schenkeln und Gesäß) wehrte -- dann hätte er wenigstens erklären müssen, warum nicht. [...]
Samstag, 3. August 2024
Sommerloch: Werte Wespen!
Wir müssen reden. Ich verstehe euch ja in vieler Hinsicht. Etwa, dass ihr dauernd auf Nahrungssuche seid. Alles roger, sind wir alle, irgendwie. Weil ihr aber im Gegensatz zu unsereins keinen Supermarkt habt, müsst ihr, wie die meisten Tierarten, halt gucken, wo es gerade was zu spachteln gibt. So weit, so schön. Wir wollen alle leben. Ich sollte auch erwähnen, dass ich im Gegensatz zu anderen meiner Artgenossen keine Panikattacken kriege, wenn ich eine von euch bloß von weitem sehe, weder gegen eure doofe Stecherei allergisch bin noch sonst irgendwie Angst habe vor euch. Erst recht nicht vor eurem anorektischen 'Biene Maja in böse'-Look. Wir könnten also wunderbar nebeneinander her existieren auf diesem Planeten. Wenn, ja wenn ihr euch nicht so steindumm anstelltet.
Mittwoch, 31. Juli 2024
Sommerloch: Narratives
Eric Hobsbawm (1917-2012) prägte den Begriff der 'erfundenen Tradition'. Sein wichtigstes Beispiel: Schottische Clan Tartans. Diese Karomuster, so hieß es immer, seien viele Jahrhunderte alt und jedem Schotten wohlbekannt. So habe ich es auch noch im Englischunterricht gelernt. Hobsbawm entlarvte das als Humbug. Die Tartans waren eine Erfindung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Ähnliches lässt sich über die deutschen Regionaltrachten sagen. Auch deren Tradition reicht nur bis ins 19. Jahrhundert und nicht bis in unvordenkliche Zeiten. Zwar gab es im Mittelalter Amts- und Standestrachten, aber die Idee, eine bestimmte uniforme Kleidung zu tragen, weil man irgendwo herkommt, war unbekannt.
Montag, 29. Juli 2024
Jenseits der Blogroll - 07/2024
Mann, Mann, Mann, da wäre vor lauter Gesportel und Sommerloch doch glatt der monatliche Streifzug durchs Netz unter die Räder geraten. Obwohl, so viel Sommerloch ist heuer gar nicht. Ist auch ohne EM und Olympische Spiele weiß Gott genug los auf der Welt. Also, auf den letzten Metern des Monats, die Links und Fundstücke:
Freitag, 26. Juli 2024
Sommerloch: Halbkritisches zu Olympia (3)
Meine früheste olympische Erinnerung datiert von 1972. Ich war als knapp Dreijähriger mit meinen Eltern und einer befreundeten Familie im Urlaub auf Texel. Mein Vater hatte extra den familieneigenen transportablen Telefunken-Schwarzweißfernseher mitgeschleppt. Also theoretisch war das Gerät transportabel. Das heißt, es hatte einen Griff. Aber man brauchte viel Kraft. Nachdem die Apparatur einige Minuten vorgeglüht hatte (nicht ausgeschlossen, dass die verbaute Bildröhre bereits zum Aufspüren feindlicher Bomberverbände gedient hatte), sah ich, wenn auch verschwommen, folgendes: Unter Trompetengeschmetter trugen junge Frauen in knielangen Dirndln Kissen mit Medaillen zu einem Siegerpodest. Die Medaillen wurden dann welchen für was umgehängt. Wenn ich fragte, hieß es: "Pscht!"
Dienstag, 23. Juli 2024
Schöner Döner
Irgendwie scheint heuer das Jahr des Döners angebrochen zu sein, der mit gewürztem Schnetzelfleisch, Salat und mit alles und scharf gefüllte Fladen zur Schicksalsspeise der Deutschen sich zu mausern. Dem Bundespräsidenten fiel letztens nix besseres ein als zum Staatsbesuch in der Türkei allen Ernstes einen Dönerspieß anzuschleppen. Die CDU Heilbronn wollte um des Stadtbildes willen die Dichte an Dönerläden begrenzen und die SPD als Wahlkampfgag eine Dönerpreisbremse bei drei Euro einführen. Die Linke forderte 4,50 Euro. Jetzt bin ich alles andere als ein Marktradikaler und habe keine Probleme mit Regulierungen oder auch mit Eingriffen in den Markt, wenn es spürbaren Nutzen bringt. Aber hier so: Wie bitte?
Sonntag, 21. Juli 2024
Sommerloch: Drachenfutter
Was eine simple Schokoladentafel über gesellschaftliche Verhältnisse aussagen kann
Interessant, wer oder was hier im heimischen Ruhrpott so alles von der Montanindustrie abhing. Letztens zum Beispiel geriet mir ein altes Bild einer Tafel Novesia Goldnuss in den Blick. Und schon kam die Kindheit wieder hoch. Die 'Goldnuss' war eine für die damalige Zeit sehr edel in grün-goldener Pappe verpackte Schokolade. Besonderer Clou war ein Sichtfenster aus Zellophan, das den Blick auf ein Stück der Tafel und die darin enthaltenen ganzen Nüsse freigab. Hier wird nicht geschummelt, sollte das wohl bedeuten. Auf jeden Fall aber: Das ist was besonderes, was anderes als die sandige Blockschokolade, die man mit dem Hammer essen muss. Eine Zeitlang gab es sogar die 'Garantie 27'. Wer weniger als 27 ganze Nüsse in der Tafel vorfand, konnte sie zurückschicken und bekam Ersatz plus Porto in Naturalien.
Interessant, wer oder was hier im heimischen Ruhrpott so alles von der Montanindustrie abhing. Letztens zum Beispiel geriet mir ein altes Bild einer Tafel Novesia Goldnuss in den Blick. Und schon kam die Kindheit wieder hoch. Die 'Goldnuss' war eine für die damalige Zeit sehr edel in grün-goldener Pappe verpackte Schokolade. Besonderer Clou war ein Sichtfenster aus Zellophan, das den Blick auf ein Stück der Tafel und die darin enthaltenen ganzen Nüsse freigab. Hier wird nicht geschummelt, sollte das wohl bedeuten. Auf jeden Fall aber: Das ist was besonderes, was anderes als die sandige Blockschokolade, die man mit dem Hammer essen muss. Eine Zeitlang gab es sogar die 'Garantie 27'. Wer weniger als 27 ganze Nüsse in der Tafel vorfand, konnte sie zurückschicken und bekam Ersatz plus Porto in Naturalien.
Donnerstag, 18. Juli 2024
Kommt halt drauf an
Natürlich darf Satire alles, aber es kommt halt immer darauf an, wer Witze über wen macht. Nach unten, oder besser: gegen Migranten, sind inzwischen so ziemlich alle Geschmacksgrenzen gefallen. Längst nicht nur aus der AfD wird verkündet, Eingewanderte "entsorgen" zu wollen. Öffentlich-rechtlich bestallt, darf Dieter Nuhr fröhlich die Hundepfeife blasen und zur zweitbesten Sendezeit (sonntags kurz vor dem Heiagehen) Witzchen über rammelgeile Türken reißen oder die mit dezent fischigem Syltaroma versetzte rhetorische Frage stellen, ob man Messermänner nicht einfach einschläfern könnte.
Montag, 15. Juli 2024
Vermischtes zur Eh-Em (VIII) - Füüünaaalööö!
(Falls es jemanden interessiert, wie ein Wort mit drei Ü und drei Ö aussieht.)
So denn, die EM ist überstanden, die Fußballhasser dürfen aufatmen und wir haben einen würdigen Sieger. Bei allem Mitgefühl für England-Fans, die der Meinung sind, nach knapp sechzig Jahren sei es langsam mal Zeit für einen zweiten großen Titel gewesen, muss man sagen, dass der Titelgewinn der Spanier in sportlicher Hinsicht absolut in Ordnung geht. Die spanische Mannschaft war über das ganze Turnier hinweg die beste, hat als einzige alle Spiele gewonnen. Wer sich Fußballfan schimpft, aber nicht in der Lage sieht, das zu akzeptieren und der spanischen Mannschaft zu gratulieren für ihre Leistung, sollte überlegen, ob Fußballgucken wirklich das richtige Hobby ist für ihn. Und wer 'aus Prinzip' zu England gehalten hat, um es den betrügerischen Iberern mal so richtig zu zeigen, sollte vielleicht darüber nachdenken, langsam mal erwachsen zu werden.
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