Montag, 10. März 2025

Vermischtes und Zeugs (CVII)


"Wenn eine Erzählung wie die der Cancel Culture so offensichtlich und systematisch dazu benutzt wird, eine extrem rechte autoritäre Agenda voranzutreiben, dann ist sie offensichtlich ein Propagandawerkzeug und für andere Analyse nicht tauglich." (Jonas Schaible)

In den USA, genauer, am Wirken der Herren Trump, Vance, Musk et al., lässt sich gerade sehr schön studieren, was passiert, wenn welche, die sich am lautesten über Cancel culture mokieren bzw. diese anprangern, in Machtpositionen geraten: Sie starten Zensur- und Knebelkampagnen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. (Jüngster Klopper: Es wurden Bilder jenes B-29-Bombers, aus dem die Atombombe auf Hiroshima geworfen wurde, aus dem digitalen Archiv des Pentagon gelöscht. Begründung: Die Maschine trägt den Spitznamen 'Enola Gay'. Kein Witz). Jeder Rechte, der sagt, man wolle doch nur die schlimmsten Auswüchse linken Meinungsterrors wieder ein wenig und wieder normal und blabla und blubblubblub..., lügt. Es geht ihnen um Zensur und darum, andere zu schurigeln und, ließe man sie, zur Not auch zu eliminieren. (Der oben zitierte Essay von Jonas Schaible ist übrigens in Gänze lesenswert.)

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Schutz vor Trump: Mexiko baut Mauer zu USA zu Ende

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— Der Postillon 📯 (@der-postillon.com) 7. März 2025 um 16:04

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Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Friedrich Merz bestätigt dieser Tage so ziemlich alle Befürchtungen, die in Bezug auf ihn als Kanzler geäußert werden. Er agiert erratisch, glaubt wohl wirklich, ihm stünde die Kanzlerschaft naturgemäß jetzt endlich zu und ist sichtlich nicht in der Lage zu taktisch planvollem Vorgehen (von strategischem gar nicht zu reden). Wer das ein allzu harsches Urteil findet, möge für sich folgende Fragen beantworten: War dem Mann nicht klar, dass zu jener Zweidrittelmehrheit, mit der er noch eben fix sein Multimilliardending durch den alten Bundestag boxen will, auch die Grünen gehören? Die er und Kollege Söder beim politischen Aschermittwoch noch fröhlich weiter verbal durch den Dreck gezogen haben? Die er nicht einmal für würdig erachtet, sie offiziell zum Gespräch einzuladen und stattdessen der grünen Fraktionsvorsitzenden und parlamentarischen Geschäftsführerin Britta Haßelmann am Wochenende auf die Mailbox quatschte, man sei so nett, das Wort "Klima" ins Sondierungspapier aufzunehmen? Man muss kein:e Anhänger:in der Grünen sein, um das befremdlich zu finden.

Offenbart nicht jemand ein gerüttelt Maß an Demokratieverachtung, der seine -- immerhin demokratisch gewählten -- politischen Gegner für so deplorabel hält, dass er denkt, er könne ihnen seine wahnwitzigen Kehrtwendungen, mit denen er alles, mit dem er der Ampel in den vergangenen Jahren das Leben schwer gemacht und lauthals im Wahlkampf propagiert hat, nonchalant in die Tonne tritt, im Vorbeigehen unterjubeln als sei das alles nur ein einziger Scherz gewesen? Und dann noch erwartet, alle erstarrten in Ehrfurcht und das käme nicht irgendwie bei nächster Gelegenheit als Bumerang zurück?

Wie naiv muss man ferner sein zu glauben, die Grünen würden ihre Zustimmung mal eben so, ohne jede Gegenleistung geben? Warum sollten sie? Weil er Friedrich der Große Gnatz ist? Die Grünen werden nicht der nächsten Bundesregierung angehören, haben also nichts zu verlieren und versuchen daher, aus ihrer momentanen Position bestmöglich Kapital zu schlagen. Das ist nichts weniger als normal. Wo also ist das Problem? Und wenn Merz selbst so was möglicherweise nicht bewusst ist, dann stellt sich die beunruhigende Frage, ob da einer eventuell nur von Stümpern und/oder Jasagern umgeben ist (auf Gendern kann im Falle der Union Anno 2025 ja mit Gründen verzichtet werden).

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Dieser Moment vor ein paar Jahren, als ich am Wochenende abends allein vor dem Rechner saß, Bier trank, mir Youtubevideos ansah von einem jungen Mann aus den Niederlanden, der extrem laut rülpsen kann und mir bewusst wurde: Okay, jetzt bist du offiziell alt.

Nun ist die Kunst des formvollendeten öffentlichen Rülpsens zu unrecht in Verruf geraten. Freund von mir, der beim Rülpsen des Alphabets immerhin bis 'T' kam, beherrschte früher einen mächtigen Röhrer, den er 'Ochsenfrosch' nannte und mit dem bei jeder Party Stimmung in die Bude brachte. Oder meine liebe Großtante G. Als junge Frau soll sie ein echtes Feierbiest gewesen sein. Sie hatte lange in Köln gelebt und bei ihrer Rückkehr in den Ruhrpott den dortigen Frohsinn mitgebracht. Als sie mal im Krankenhaus lag, fragte sie, ob sie zum Abendbrot nicht ein Bier bekommen könnte. Man kredenzte ihr allabendlich tatsächlich eine 0,3l-Flasche. Ich habe sie nur zwei mal nicht zu Scherzen aufgelegt erlebt: Bei der Beerdigung ihres Mannes und als sie selbst mit Leukämie darniederlag und wusste, dass es zu Ende gehen würde. Bei steifen Familienfeiern hat sie uns Kindern immer zum Leidwesen meiner seligen Großmutter Rülpsen auf Kommando beigebracht. Meine Oma habe ich geliebt, Tante G. habe ich verehrt.

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Ich meine mich zu erinnern, dass hiesige Autofahrer einst ihrer landsmannschaftlichen Zugehörigkeit Ausdruck verliehen, indem sie dem Typschild ihres (deutschen) Autos typografisch ähnliche Zusatzbeschriftungen wie 'Preussen' oder 'Allgäu' hinzufügten. War bis in die Achtziger große Mode und scheint völlig aus dem Straßenbild verschwunden zu sein.

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Von hier startete Jürgen W. Möllemann einst zum finalen Fallschirmsprung. Früher war definitiv mehr los. Die Mittelschicht mit ihren Privatflugzeugen schrumpft halt...



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Lucius Quinctius Cincinnatus wurde während der Römischen Republik zwei Mal zum Diktator auf Zeit ernannt, gab die unbegrenzten Befugnisse pflichtgemäß jeweils nach einem Jahr wieder ab und kehrte zurück an seinen heimischen Pflug, was ihn zum Vorbild für römischen Bürgersinn machte. In der sechsteiligen Miniserie 'Zero Day' (auf Netflix) gibt Robert de Niro als Ex-Präsident George Mullen einen modernen Cincinnatus: Nach einer verheerenden Cyberattacke wird Mullen von der amtierenden Präsidentin (Angela Basset, eine Frau und PoC, ein Wunder, dass noch kein grenzirrer MAGA-Republikaner nach Verbot gerufen hat) beauftragt, die Leitung einer Sonderkommission zu übernehmen, die den Anschlag aufklären soll und dazu komplett freie Hand bekommt; womit die USA faktisch eine Diktatur auf Zeit werden. Das ist spannende Unterhaltung, die auch eine Reihe sehr relevanter Fragen aufwirft, zum Beispiel über Freiheit, über Macht und deren Beschränkung und die, man ahnt es, etliche Seitenhiebe auf aktuelle Entwicklungen enthält. Äußerst sehenswert. Zwischendurch frug ich mich übrigens, ob es bloß Zufall oder der Schauspielkunst de Niros geschuldet ist, dass George Mullen in einigen Einstellungen optisch verdammt an Henry Kissinger erinnert.








2 Kommentare :

  1. Merz ist ein dilettantischer Irrläufer wie Trump. Zum Glück ohne dessen Machtbefugnisse. Die Trump/Merz-Jahre werden gefühlt wie Hundejahre sein.

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    1. Wenn man sich die momentane Performance anschaut, kann man sich schon richtig auf den nächsten EU-Gipfel freuen. *fremdschäm*

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