Sonntag, 8. März 2020

Schmähkritik des Tages (36)


Heute: Meike Winnemuth über Kinderkönige und »die«

"Das Problem ist die verbreitete Anschauung, dass »die« – wer immer das auch ist, und das ist denen, die »die« sagen, komplett egal – sich schon drum kümmern werden. »Die« werden deine Kartons zerlegen, die du nicht etwa selbst zusammenfaltest, sondern so, wie sie sind, in die öffentliche Altpapiertonne stopfst oder, weil die Tonne ja schon mit anderen unzerlegten Kartons gefüllt ist, der Einfachheit halber danebenstellst. »Die« werden deinen stehen gelassenen Einkaufswagen aus dem Weg schieben und deinen Scheiß-E-Roller auch, »die« werden deine Chipstüte am Strand einsammeln, »die« werden hinter dir herräumen, hinter dir und deinem achtlosen Kinderkönigverhalten.

Die Sache ist, Freundchen: Ich bin »die«. Die Chipstüte am Strand erbost mich derart, dass ich sie selbst aufhebe und zum nächsten Mülleimer mitnehme. Es genügt, wenn ich mich einmal darüber ärgere, auf ein zweites oder drittes Mal habe ich keine Lust. Und ich bin da schon einigermaßen schmerzfrei: Als Hundebesitzer ist man gewohnt, beherzt nach den Hinterlassenschaften anderer zu greifen.

[…] Einen Kaffeebecher in die Spülmaschine zu stellen, das funktioniert zu Hause tadellos, in der Büroküche ist es vollständig unmöglich. Über die zunehmende Unzuständigkeit, die »Da wird sich schon einer drum kümmern«-Mentalität ist schon viel geschrieben worden, aber durch die breite Auslagerung vieler Alltagstätigkeiten an eine schlecht bezahlte Dienerschaft – Amazon-Lieferanten, Pizzaboten, Uber-Fahrer, Hotel Mama – scheint sich die Lage eher noch zu verschlimmern: Das macht schon jemand, ich jedenfalls nicht."
(stern.de, 12.02.2020)

Anmerkung:  Beim Lesen von Frau Winnemuths Kolumne könnte der Eindruck entstehen, sie hielte das oben völlig zutreffend Geschilderte für ein Problem der jüngeren Zeit. Sollte das so sein, müsste ich kurz widersprechen. Das Stichwort lautet: Wohngemeinschaften.


Mythos WG

Das waren ursprünglich Zweckgemeinschaften für all jene, die sich als Studenten keine Wohnung leisten konnten und nicht einer kontrollwütigen Frau Wirtin ausgeliefert sein wollten. Bald wurde die WG zur coolen alternativen Lebensform für junge Leute geadelt. Inzwischen gilt es geradezu als unverzichtbare Erfahrung im Leben eines jeden, eine Zeitlang in einer WG gelebt zu haben. Leben in der WG wird geradezu als Must-have studentischen Lebensstils gejazzt. Warum? Wegen Charakterbildung? Gott ja, was nicht alles angeblich den Charakter formt! Es haben schon Leute behauptet, das täte es  irgendwie, wenn man nur auf ungepolsterten Holzstühlen sitzt, jeden Tag kalt duscht, sich Schmerzen zufügt und nicht an sich rumspielt (okay, die gibt es jetzt wieder).

Machen wir uns nichts vor. WGs waren daneben immer auch eine bequeme Möglichkeit für asoziale faule Säcke, ihren Dreck von anderen wegmachen zu lassen. Weil die asozialen faulen Säcke leider immer irgendwie unabkömmlich waren. Wegen demonstrieren, diskutieren, revolüzzen, feiern, erholen, Drogenexperimenten, ausschlafen. Weil sie ihre bürgerlich-privilegierte Herkunft trotz ihres modisch-revolutionären Schlurch-Habitus‘ nie wirklich abgelegt hatten und eine tiefsitzende Abneigung hegten gegen niedere Arbeiten, für die es schließlich Personal gibt, sei es die eigene Mutter. Oder Mitbewohner.

Ich bin gottfroh, niemals auch nur einen Tag meines Lebens in einer WG gelebt zu haben. Sollte mir da tatsächlich eine wichtige Erfahrung fehlen, dann scheiße ich drauf. Was ist so toll daran, außer aus finanzieller Not einen Teil seines Lebens Bad und Küche mit Soziopathen, Psychopathen, Zwangsneurotikern, Spinnern, Messies und anderen Horrorzombies zu teilen, wenn es eine Alternative gibt? Wer Spaß daran hat, sich den Tort anzutun, bitteschön. Und sicher gab und gibt es ganz tolle, funktionierende, harmonische WGs. Wer eine kennt - herzlichen Glückwunsch! Aber ohne mich. Das kleinste Einraumappartement im Vorort dünkte mir stets besser als jede WG.

Warum? Weil ich »die« wäre. Weil ich zum Beispiel zugemüllte Küchen auf den Tod nicht ausstehen kann, obwohl ich gar nicht mit einem Putz- und Ordnungsfimmel geschlagen bin. Sitzt aber tief. So spüle ich bis heute täglich, obwohl ich das eigentlich ungern tue. Aber dann geht es schneller. In jeder WG wäre ich vermutlich der, der andauernd das Drecksgeschirr der anderen spülen und wegräumen würde (oder: Die Spülmaschine ein- und ausräumen, einmal drüberputzen). Weil ich den Anblick nicht ertrüge. Bei den ersten Malen würde man sich vielleicht noch bedanken, dann würde man das stillschweigend als selbstverständlich nehmen. Der macht das schon. Irgendwann käme der Tag, an dem jemand fragte: Sag mal, warum hast du eigentlich nicht gespült? Und den Müll hättest du auch mal runterbringen können! Da würde es dann knallen.

Wer von sich sagen kann, in einer WG zu leben/in einer WG gelebt zu haben, signalisiert damit auch: Hey, ich bin ein unkomplizierter, lockerer, unspießiger Typ. Das Problem ist: Ich bin nicht unkompliziert. Zumindest nicht in einigen Bereichen. Fremde Haare in der Duschtasse sind mir egal, ich kann es aber auf den Tod nicht ab, wenn Leute, die es sich eigentlich leisten könnten, es sich zulasten anderer in einer Tour gutgehen lassen. Ich hasse es, wenn man mir das letzte Bier wegtrinkt oder sich ungefragt an meinen Fressalien bedient. Am Intimleben meiner Mitbewohner/innen teilhaben zu müssen, nervte mich. Ich schätze es, in Ruhe zu frühstücken und wenn in Gesellschaft, dann in der, die ich mir aussuche. Und ich bin mir zu schade dafür, anderen den Domestiken zu machen und dafür auch noch anteilig Miete zu berappen.

Wer mich deswegen einen verklemmten Kleinbürger nennen will, soll das eben tun.Ich halte das aus.

Aber sonst ist Frau Winnemuth uneingeschränkt zuzustimmen. Gibt es schließlich auch dort, wo ich meinen Lebensunterhalt zu verdienen die Aufgabe habe, eine Büroküche. Mit Tassen. Und Spüle.




7 Kommentare :

  1. Ja, in Westfalen ist das leben härter geworden. Vergleich das aber mal mit Anderen: https://twitter.com/matschuessler/status/1235958632065437696

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    1. Herzelein, das Leben in Westfalen war schon immer hart. Lässt sich daran ermessen, dass Pumpernickel, eine Ballaststoffbombe mit der Dichte abgereicherten Urans, hier als Hochgenuss und kulinarische Spezialität durchgeht. Woanders fällt das unter Nahrungsergänzungsmittel...

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    2. Pickert ist da aber bestimmt besser aufgestellt?

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    3. Als Kasten kenn ich das nur von Oetker, also Lappen.

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    4. Na ja, schwerer Kartoffelteig, aber weniger Roggenschrot als Pumpernickel und daher auch für Nicht-Westfalen verdaulich.

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  2. "So spüle ich bis heute täglich, obwohl ich das eigentlich ungern tue."

    Man braucht allerdings genug Geschirr und Besteck - aber schon lohnt sich der Einsatz einer guten Geschirrspülmaschine. Meine Miele braucht sowas um die 8 Liter für eine volle Ladung und macht alles so blitzsauber, das kriegt man per Hand gar nicht hin. ;-)
    Ich hasse abspülen!

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