Montag, 27. Juli 2020

Ein Ring...


Ein Schulfreund, der damals viel Zeit in Schul- und (noch nicht gegenderten) Studentenorchestern verbrachte, meinte mal zu mir: "Also, der Wagner muss ein ziemliches Arschloch gewesen sein, aber die Musik ist geil." Das trifft es bis heute recht gut, finde ich.

Natürlich konnte Richard Wagner (1813-1883) nichts dafür, dass seine Witwe Cosima (1837-1930) noch Jahrzehnte nach seinem Tod mit Argusaugen darüber wachte, dass es in Bayreuth niemals anders zuging als 1876 und so für langen künstlerischen Stillstand sorgte. Erst recht konnte er nichts dafür, dass er der Lieblingskomponist eines gewissen Adolf Hitler (1889-1945) werden würde. Oder dafür, dass Schwiegertochter Winifred (1897-1980), mit der man Wagners Sohn Siegfried (1869-1930) der guten Ordnung halber verheiratet hatte, eine glühende Hitler-Verehrerin war, dem späteren GröFaZ den 'Grünen Hügel' zu Füßen legte und auch im hohen Alter absolut kein Problem darin zu erkennen vermochte.

Schon eher konnte Wagner etwas dafür, Antisemit gewesen zu sein bzw. teils wüste antisemitische Schriften verfasst zu haben und seine Kolossalwerke als deutsche Nationalkunst anzupreisen. Nach einem ungeschriebenen Gesetz darf seine Musik in Israel bis heute nicht gespielt werden. Daniel Barenboim hat dort 2001 einen Auszug aus 'Tristan und Isolde' als Zugabe aufgeführt und damit einen Eklat ausgelöst. Wagner ist und bleibt kontrovers, aber definitiv zu schade, um ihn Rechten zu überlassen. Denn das würde ihm nicht gerecht.

Es mag überraschen, aber obgleich ungefähr zur selben Zeit entstanden wie sein 1850 publizierte, heute nur mehr schwer lesbarer Aufsatz 'Das Judenthum in der Musik', ist sein Opus magnum 'Der Ring des Nibelungen' weitgehend frei von Antisemitismus und Deutschtümelei. Dass die darin agierenden nordischen Götter und Helden um Siegfried, Brünnhilde und Wotan später immer wieder ins germanisch-deutschnationale Eck gerückt bzw. zu entsprechenden Karikaturen gemacht wurden, beruht auf einer sehr oberflächlichen Wahrnehmung.

Dazu tragen sicher auch die befremdlichen, nicht selten unfreiwillig komischen Stabreime bei ("Weia, waga, woge, du Welle..."; "Den hehrsten Helden der Welt trägst du, o Weib, im schirmenden Schoß!"), über die seit jeher gern und viele Witze gemacht wurden. Mein Liebster ist übrigens der, in dem sich zwei Mitglieder des Bayreuther Festspielorchesters unterhalten: "Schabst du Schello, schändlicher Schächer?" - "Nein, ich goge die Geige, geifernder Gauch!"

"Auf der Festwiese wirken außer dem Festspielchor Hitlerjugend, BDM und Männer der SS-Standarte Wiking mit." (Aus dem Programmheft der Bayreuther Festspiele 1943/44 zu 'Die Meistersinger von  Nürnberg')

Nach 1945 war der Ruf des NS-Leib und Magen-Komponisten Wagner aus Gründen erst einmal gründlich ramponiert. Wagners Enkel Wieland, der nach dem Krieg die Bayreuther Festspiele leitete, entrümpelte alles radikal, entfernte alle Zeitbezüge. Statt altbackenen Kulissenzaubers gab es Abstraktes, vor allem Lichteffekte. Charaktere wurden psychoanalytisch ausgedeutet, Kostüme und Requisiten auf das absolute Minimum reduziert. In einem zeitlosen Nirgendwo sollte das spielen, alles Politische keine Rolle spielen. Für die damalige Zeit innovativ und vielleicht die einzige Möglichkeit, in Deutschland so kurz nach dem Krieg wieder Wagner aufzuführen.

Das funktionierte eine Zeitlang sehr gut und machte den Bayreuther Hügel zum Epizentrum der Wagner-Aufführungspraxis. Nur ist Kunst niemals völlig unpolitisch. Je vehementer gefordert wird, sie möge das doch bitte sein, desto verdächtiger wird es und desto genauer sollte man hinsehen, wer das fordert.

Es dauerte bis 1976, bis zum 100. Jubiläum der Festspiele, bis man in Bayreuth den ersten wirklich 'modernen' Ring auf die Bühne brachte. Wielands Bruder Wolfgang verpflichtete den bis dahin weithin unbekannten jungen Pariser Theatermacher Patrice Chéreau als Regisseur und für die musikalische Leitung den Komponisten/Dirigenten Pierre Boulez, der noch zehn Jahre zuvor noch alle Opernhäuser der Welt in die Luft sprengen wollte. Das Ergebnis war bahnbrechend. Zwar wurde dieser 'Jahrhundertring' von den Bayreuther Gralshütern zunächst heftig ausgebuht, geriet dann aber zum nie wieder erreichten Triumph. Der Schlussapplaus nach der letzten Vorstellung 1980 soll über neunzig Minuten gedauert haben. Niemand kann dahinter zurück.

Chéreau machte endgültig Schluss mit Hörnerhelmen, Rauschebärten, verschreckten Gäulen auf der Bühne und anderem historisierendem Fantasy-Plunder und verlegte die Handlung ins 19. Jahrhundert. Die Götter von Walhall traten auf als neue herrschende Klasse der Kapitalisten, die sich mit Diebstahl und Betrug an die Macht putscht und schließlich an ihren eigenen Widersprüchen zugrundegeht. Am Ende, als die Protzburg Walhall im von Brünnhilde ausgelösten Weltenbrand verschwindet, strahlt aus dem Orchester das Liebesmotiv. Moral: Will diese zum Untergang verdammte Menschheit eine Chance haben, dann ist Liebe die einzige Rettung. Starker Stoff. Und durchaus aktuell. (Um Erlösung durch Liebe geht es bei Wagner eigentlich immer irgendwie. Außer in den 'Meistersingern von Nürnberg', da soll‘s die "Heil‘ge deutsche Kunst" richten. Nun ja.)

Der Text gibt das her. Wagner hatte den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus bzw. dessen Auswirkungen und Folgen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Teil noch selbst erlebt, war in jungen Jahren Sozialist. Wegen seiner Beteiligung am Dresdner Maiaufstand von 1849 wurde er polizeilich gesucht und floh in die Schweiz. Die Libretti zum 'Ring' sind in dieser Zeit bis 1852 entstanden. Die Textvorlagen hat er auch als er die Arbeit am 'Ring' zwischen 1857 und 1872 für 25 Jahre unterbrach, nicht mehr groß verändert.

Chéreaus Ansatz war also weder verkrampft neumodisch noch umstürzlerisch. Eigentlich hat er nichts anderes gemacht als bei George Bernard Shaw nachzulesen: Der hatte schon 1898 in seinem Aufsatz 'The Perfect Wagnerite' herausgearbeitet, dass der 'Ring' weder ein mythologisches noch ein historisches Drama ist, sondern ein antikapitalistisches Gegenwartsstück.

"Ich bin ja ganz präzise - Walhall ist Wall Street." (Wieland Wagner)

So kann es nicht überraschen, dass eine der nach wie vor besten Gesamteinspielungen 1980-83 im Auftrag des VEB Deutsche Schallplatten in der DDR produziert wurde (nebenbei die erste Digitalaufnahme). Mit einer von Marek Janowski unprätentiös geleiteten Staatskapelle Dresden in Hochform und bis in kleine Nebenrollen bestens besetzt (und unschlagbar günstig auf CD zu kaufen). Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass eine aktuelle Produktion am China National Opera House in Peking so dezidiert 'unpolitisch' ist, dass man glaubt, es mit einer Bühnenversion von 'Herr der Ringe' zu tun zu haben.

Nicht wenigen gilt der von Harry Kupfer 1988 erstmals in Bayreuth inszenierte ‚Ring‘ als mindestens ebenso gelungen wie der Chéreaus. Kupfer, den man aus der damaligen DDR eingeflogen hatte, verlegte die Handlung in eine postapokalyptische Welt. Kalter Krieg meets Waldsterben und Tschernobyl. Die musikalische Leitung hatte Daniel Barenboim, der ein Ensemble auf der Höhe seines Könnens dirigierte. Die Sprachkultur war, wie immer in Bayreuth, überragend. Nicht-Muttersprachler wie Anne Evans (Brünnhilde), John Tomlinson (Wotan) und Graham Clark (Loge/Mime) sangen akzentfreies Deutsch. Auch alles andere wie Bühnenbild, Kostüme und vor allem die Personenregie ist gut gealtert.

Woher ich das weiß? Weil ich diesen 'Ring' einst auf VHS-Kassette aufgezeichnet hatte. Die Kassetten habe ich schon lange nicht mehr. So war die Freude groß, als ich gewahr wurde, dass man sich den Kupfer-/Barenboim-Ring noch bis zum 24. August in der 3sat-Mediathek in HD zu Gemüte führen kann.

Vorabend: Das Rheingold
Erster Tag: Die Walküre
Zweiter Tag: Siegfried
Dritter Tag: Götterdämmerung


Wem ein knapper Monat zu kurz ist zum gucken, kann sich hier Abhilfe schaffen. Wagalaweia!





8 Kommentare :

  1. Über Wagner habe ich nur Sekundärwissen (s.o.), die Musik kenne ich nicht, bzw. nur in Auszügen, wenn ich Kunstbanausin im Auto mal den Klassiksender einschalte.

    Aber seitdem ich mal im Kammermusiksaal eine Werkstattprobe mit Thielemann erlebt habe und er freundlich und unerwartet humorvoll agierte ("Draußen brucknert es ja auch ziemlich" = Anspielung auf das trübe Herbstwetter), möchte ich ihn so gerne mal Wagner dirigieren sehen, also in echt. Aber nicht in Bayreuth, sondern irgendwo, wo es bequemere Stühle gibt.

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    1. Wagner macht schon Spaß. Der 'Ring' ist für mich auch das mit Abstand faszinierende, was er geschrieben hat. Nur leider erschließt sich das vielen nicht so ohne weiteres. Man kann sich etwa den von Lorin Maazel eingerichteten, eine gute Stunde langen 'Ring ohne Worte' anhören. Den besten Einstieg in den ganzen Trumm bietet vielleicht der erste Akt von 'Die Walküre'. Da ist ein Kommentar nebenher hilfreich, etwa von Kurt Pahlen (etwas altväterlich manchmal, aber sehr informativ).

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    2. P.S. In Bayreuth ist Karten zu bekommen für Otto Normalbürger unter 10 Jahren Wartezeit kaum machbar.

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    3. Isoldes Liebestod ist eher meins. Es kann gar nicht traurig genug sein; dann finde ich's gut.

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  2. Eine wahrlich wohlwollende Würdigung Wagners.

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  3. Moin Stefan

    Jetzt aber endlich. Seit Tagen lese ich Deinen Blogeintrag und habe mich immer wieder darüber gefreut. Da hast Du etwas wirklich feines geschrieben!

    Ein paar Kleinigkeiten aber würde ich so nicht unterschreiben.

    „Erst recht konnte er nichts dafür, dass er der Lieblingskomponist eines gewissen Adolf Hitler (1889-1945) werden würde.“

    Schnorrer unter sich, fällt einem dazu ein, auch wenn sich beide mindestens in der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs dramatisch unterschieden haben mögen. Und als Schnorrer war Wagner deutlich erfolgreicher als „der Führer“ (von der Bedeutung als Künstler ganz zu schweigen), zumindest was die erste Lebenshälfte betrifft.
    Die ewige Streitfrage der Persönlichkeit des Künstlers und die Trennung zu seinem Werk: Was Wagner betrifft, so könnte man durchaus darüber diskutieren, ob es ohne Wagner einen Hitler gegeben hätte. Oder genau diesen Hitler.
    Das könnte man natürlich auch über einen v. Treitschke, Hermann Ahlwardt oder Theodor Fritsch sagen. Aber es ist eben diese Stimmung, die ein Wagner bei seinen Zeitgenossen hinterließ. Er sprang zu Lebzeiten mit beiden Füßen in den Sumpf des Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, der der Nährboden für das war, was seit 1933 nicht nur Phantasie blieb.

    „Es mag überraschen, aber obgleich ungefähr zur selben Zeit entstanden wie sein 1850 publizierte, heute nur mehr schwer lesbarer Aufsatz 'Das Judenthum in der Musik', ist sein Opus magnum 'Der Ring des Nibelungen' weitgehend frei von Antisemitismus und Deutschtümelei.“

    Was mich dabei viel mehr überraschen würde, ist die Tatsache, daß die Veröffentlichung noch zu Lebzeiten Heinrich Heines (1797 – 1856) geschah. Wie reaktionär mußte man eigentlich sein, um so einen Schmu um 1850 zu veröffentlichen? Und wenn es um die Bedeutung des eigenen Werkes ging, war Wagner auch durchaus über „jüdische Hilfe“ dankbar.
    "…nur so viel, daß ich keinesfalls so lange in Boulogne geblieben sein und die englischen Preise bezahlt haben würde, wenn nicht ein glückliches Ungefähr es gefügt hätte, daß ich (Giacomo) Meyerbeer hier antreffen sollte, der mir bei meinen Vorhaben von unermeßlicher Wichtigkeit werden kann, und mit dem ich mich auch bereits so gut wie möglich liiert habe".
    Brief Wagners an Meyerbeer, 4. Februar 1837

    "Ach, wenn Sie wüßten, welche unermeßliche Wohltat Sie mir dadurch angedeihen ließen! Wenn Sie empfinden könnten, zu welch überschwenglichem Dankgefühl Sie mich durch diesen so einfach an den Tag gelegten und deshalb so hoch ehrenden Beweis Ihrer Theilnahme hinreißen! Ich in alle Ewigkeit nicht Anderes gegen Sie aussprechen dürfen, als Dank! Dank!"
    Wagner an Meyerbeer, 15. Februar 1840

    Ohne Kommentar.

    Vielleicht kann Wagner nicht direkt etwas dafür, Lieblingskomponist des „Führers“ gewesen zu sein – dagegen aber viel ausgelassen, daß diese Saat irgendwann aufgeht.
    Ich kann jedenfalls bis heute nicht diese Musik hören, ohne daß es mich graust.

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    1. "Da hast Du etwas wirklich feines geschrieben!"

      Ja, und das macht er nahezu jeden Tag, nicht wahr, Pantoufle?

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    2. Hey Pantoufle,
      erst mal lieben Dank für deine netten Worte, so was freut den Schreiberling.
      Nun, Wagner und NS - das ist ein ewiges Thema und wohl kaum auflösbar. Wie überhaupt das mit Urheber und Werk. So dürfte ein Blumenbild von Nolde an der Wand unproblematisch sein, obwohl der Mann glühender Nazi war.
      Ich kann jeden verstehen, den es bei der Musik gruselt, und würde da nie jemanden missionieren wollen. Bei einigem von Wagner bekomme auch ich gewisse Gedanken nicht aus dem Sinn. 'Lohengrin' etwa ist für mich kaum hörbar ohne Heinrich Manns 'Untertan'. Oder 'Parsifal' mit seiner (leider hinter verdammt genialer Musik versteckten) wirklich antisemitischen Blut- (und Rassen)schandesymbolik.
      (Sehr empfehlenswert ist übrigens die Dokumentation 'Wagner And Me' von Stephen Fry. Zu Wagner und Hitler vgl. auch hier.)
      Es ist vielleicht auch die Frage, wie man zuerst damit in Berührung gekommen ist. Mein erster Kontakt (abgesehen vom 'Walkürenritt', den irgendwie jeder mal gehört hat) kam über die Musik, ich glaube, die 'Tannhäuser'-Ouvertüre (Dresdner Fassung), die mich ziemlich elektrisiert hat. Wäre ich von der historischen, ideologiekritischen Seite her gekommen, dann hätte das evtl. anders verlaufen können.
      Und dass der Mann (den man sich als sächselnden Giftzwerg vorstellen muss) ein begnadeter Schnorrer war, der kein Problem mit Juden hatte, wenn er sie finanziell anzapfen konnte, ist unbestritten.

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