Heute vor 88 Jahren, am 14. Juli 1933, brannten auch in meiner Heimatstadt die Bücher. Auf dem Neumarkt, den man kurz zuvor nach dem von den Nazis zum Märtyrer aufgeblasenen Terroristen in Albert-Leo-Schlageter-Platz umbenannt hatte. Allgemein gilt der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund als maßgeblicher Akteur der Bücherverbrennungen. Da Recklinghausen damals keine Hochschule besaß, hatte hier die SA das Kommando übernommen. Die Aktion war also kein inszeniertes Bekenntnis der akademischen Jugend, sondern vor allem eine Machtdemonstration an die Arbeiter.
(Mit der Annahme, die SA sei eine Schlägertruppe aus Arbeitslosen und Proletariern gewesen, sollte man übrigens vorsichtig sein. Neuere Forschungen haben ergeben, dass die braunen Bataillone sich zu nicht unerheblichen Teilen aus Mittelschicht und akademischer Jugend rekrutierten, oft unterstützt von protestantischen Pastoren. Obere Ränge waren oft ehemalige Offiziere der Kaiserlichen Armee. Die Charakterisierung der SA als reiner Pöbelhaufen diente 1945ff. auch der Abgrenzung und Selbstapologie des deutschen Bürgertums.)
Die Wahl des Veranstaltungsortes ist nicht ohne Grund erfolgt: Der Platz liegt nicht in der Altstadt, sondern ist das Zentrum der Recklinghäuser Südstadt, in der vor allem Arbeiter lebten. Dort hatte zuvor schon die Fahnenweihe der örtlichen NSBO (NS-Betriebszellenorganisation) stattgefunden. NSBO-Verbände hatten sich hervorgetan bei der Besetzung der Gewerkschaftshäuser. Am 2. Mai 1933 waren die Gewerkschaften verboten und in die zeitgleich gegründete Deutsche Arbeitsfront zwangsüberführt worden. Dafür wurde den Arbeitern war der erstmals 1933 arbeitsfreie Maifeiertag als Geschenk des 'Führers' verkauft worden.
Schon am 23. Mai hatte die Polizeipressestelle Recklinghausen verlauten lassen:
"Noch sind in zahlreichen Bibliotheken, besonders in Leihbibliotheken, Bücher undeutschen Inhaltes vorhanden, Bücher und Schriften, die bewusst eine undeutsche Tendenz haben und nur zersetzend wirken, Bücher, die vor allem nicht in die Hände der deutschen Jugend gehören. [...] Der Polizeipräsident in Recklinghausen hat eine baldige Nachprüfung des in den Leihbibliotheken vorrätig gehaltenen Lesestoffes angeordnet. Die verantwortlichen Leiter werden zur sofortigen Entfernung der beanstandeten literarischen Erzeugnisse aufgefordert, und ihnen angekündigt, dass im Weigerungsfalle gegen sie geeignete Maßnahmen ergriffen werden." (RZ, 23.5.1933, unterstrichene Passagen im Original im Sperrsatz)
Am 14. Juli dann wurde unliebsames Schrifttum dem Feuer übergeben. Die SA-Stürme 4 (Süd) und 5 (Grullbad) der SA-Standarte 143 hätten, so hieß es, "in wochenlanger Kleinarbeit Zentner dieser Schriften zusammengesucht, die zu einem meterhohen Scheiterhaufen zusammengeworfen wurden". Die "wochenlange Kleinarbeit" bestand, wie man offen aussprach, aus Hausdurchsuchungen und Razzien. Unter anderem auch bei 'Bibelforschern' (Zeugen Jehovas) und dem 'Verband freier Schwimmer', deren kleine Leihbibliothek komplett beschlagnahmt wurde (vgl. Geck/Möllers/Pohl 2002, S. 46f.).
Festredner Sturmbann-Führer Dietz:
"Wenn gleich der Scheiterhaufen in Brand gesetzt wird und zum Himmel lodert, die roten Fahnen der »Volksbeglücker« verbrennend, so möge er ein Fanal sein für Stadt und Land. […] Und Du, Volksgenosse, wenn Du nach Hause kommst, dann schaue nach, ob nicht auch bei dir noch irgendwo Schmutz in wortgebändigter Form liegt, und übergebe ihn dem Feuer, damit die reine Seele Deines Kindes nicht getrübt wird und damit wieder Jünglinge und Männer heranwachsen, die es verstehen, wie die Kriegsfreiwilligen von Langemarck* mit dem Deutschland »mit dem Horst-Wessel-Lied auf den Lippen, wenn es nottut, fürs Vaterland zu sterben.«“ (RZ vom 15.7.1933)
Alles nur zum Schutz der Kinder. Und gegen 'Volksbeglücker'. So fängt es immer an.
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(*Die "Kriegsfreiwilligen von Langemarck" haben sich bestimmt nicht "mit dem Horst-Wessel-Lied auf den Lippen" massakrieren lassen. Das existierte 1914 nämlich noch gar nicht. Stattdessen soll 'Deutschland, Deutschland über alles' intoniert worden sein. Aber auch das lässt sich nicht belegen.)
Schmutz in wortgebändigter Form
AntwortenLöschenDas ist eine schöne Formulierung, auch wenn der Herr Dietz es damals falsch verwendet hat.
Nun ja, blindes Huhn und Korn und so. Vielleicht auch irgendwo abgeschrieben.
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