Mittwoch, 15. Mai 2019

Schmähkritik des Tages (28)


Heute René Hamann über die Schunkel-Shanty-Band 'Santiano'

"Es gibt Abgründe in dieser Welt, von denen man gar keine Ahnung hat, dachte ich, während ein ice-cold weißer Hybrid-SUV von BMW an uns vorbeischaukelte, fast geräuschlos. Von hinten hörten wir: eine Fiedel, ein paar Flöten, einen Schunkelrhythmus, eine reibeisenharte Männerstimme. Eine Mischung aus Seefahrerliedern und Mittelalterrock mit stark irischer Anmutung. Waren das die Pogues? Nein, dafür war die Musik zu schlecht. Die Levellers oder Poems for Laila? Nein, die Musik war deutscher, auf keinen Fall studentisch oder links. Sie war erwachsener, spießiger. [...]

Montag, 13. Mai 2019

Sonntagsbummel: Geisterstraße


Sie sehen hier, Mesdames et Messieurs, was von einer der wichtigsten Einkaufsstraßen meiner bescheidenen Heimatstadt im Jahr 2019 noch übrig ist. Beste Innenstadtlage übrigens. Im unteren Teil werden zur Zeit sechs von ca. 30 Ladenlokalen genutzt. Ein gut gehender Friseursalon, zwei Fotogeschäfte, ein Stoff- und Gardinengeschäft, ein öffentlich geförderter Second-Hand-Laden für Kinderbekleidung und ein Juwelier. Im ersten Stock noch ein Bildungsträger und einmal Thai-Massage. Zuletzt haben ein türkischer Kiosk mit Spätverkauf, ein Spielwarenladen, eine Stehpizzeria und eine SB-Aufbackfiliale die Segel gestrichen (lassen Sie sich durch das 'Kino'-Schild nicht täuschen, das ist nach der Schließung vor knapp 20 Jahren einfach drangeblieben).

Samstag, 11. Mai 2019

Ronny des Monats - Mai 2019


Das Fiese an den Zeiten, in denen wir zu leben haben, ist ja, dass man sich nicht so recht entscheiden kann. War das, was seit einiger Zeit überall an die Oberfläche schwappt, wirklich vorher in diesem Ausmaß nicht da oder traut das Pack sich inzwischen einfach nur mehr? Das ist nicht einfach zu beantworten, ich würde sagen, sowohl als auch. Vermutlich hat es was damit zu tun, dass man sich heute - Kachelmann lässt grüßen - besser vernetzten kann und noch für die abgefahrensten Minderheitenmeinungen Bestätigung findet. Leute, die glauben, Impfen sei tödlich, die Erde flach oder die Bundesrepublik kein souveräner Staat, wären vor, sagen wir, 20 Jahren ziemliche Außenseiter gewesen und haben sich bedeckt gehalten. Soziale Netzwerke und die unter deren Haube tickenden Algorithmen sorgen dafür, dass man sich als Teil einer ernst zu nehmenden Bewegung begreifen kann. Was dann auch Zulauf generiert.

Mittwoch, 8. Mai 2019

In Edekas Neandertal


Warum es zu kurz greift, den umstrittenen Edeka-Muttertagsspot nur für männerfeindlich zu halten.

Männer, Familienväter zumal, in allen häuslichen Belangen als in jeder Hinsicht überforderte, imbezile Totalausfälle darzustellen, gehört in der wunderbaren Welt der Reklame seit Jahrzehnten zur Standardfolklore. Die vermutlich angepeilte Kernzielgruppe - jene Frauen, die, Marktforschungen zufolge, im durchschnittlichen Privathaushalt inzwischen 80 Prozent aller Konsumentscheidungen treffen - mag das erheitern. Meinetwegen, so's einen denn weiterbringt (nicht mein Menschenbild, nicht meine Peergroup). Männer fühlen sich durch so was jedenfalls zunehmend angepisst und reagieren genervt, in sozialen Netzwerken zumal.

Sonntag, 5. Mai 2019

Klangwelten im Nirgendwo


Der 1987 viel zu früh verstorbene Conny Plank hat die Welt der Popmusik geprägt wie nur wenige. Zu Conny‘s Studio im rheinischen Wolperath, gelegen im Nirgendwo zwischen Köln und Bonn, pilgerten sie alle, um ihre Alben dort aufzunehmen. In den Siebzigern erst die Krautrocker. Kraftwerk, Neu!, Cluster, Faust, Guru Guru, Kraan. Dann die Scorpions, Brian Eno, Ultravox, Devo, D.A.F., Eurythmics. Um nur ein paar zu nennen. All die internationalen Stars kehrten für einige Wochen auf dem Bauernhof ein, wo sie von Connys Lebensgefährtin Christa Fast bekocht wurden. Plank war bekannt dafür, weder Schubladen noch Arbeitszeiten zu kennen und sich vor nichts bange zu machen, solange er nur einen Funken Kreativität sah, aus dem sich etwas würde machen lassen. Seine zahlreichen Auszeichnungen bewahrte er in der Gästetoilette auf.

Freitag, 3. Mai 2019

Return of the Rote Socke


"Hätte sich Marx vor allem geirrt, wäre sein Einfluss schnell verflogen. Die vielen Tausend, die sich hingebungsvoll dem Nachweis seiner Fehler gewidmet haben, hätten sich andere Beschäftigungen gesucht." (John Kenneth Gailbraith)


Hat eigentlich schon jemand angemerkt, aus einem, der Kevin mit Vornamen heiße, könne per se nur Bildungsfernes herauskommen? Warte ich noch drauf, nachdem sich bereits einer nicht entblödet hat, den den Jusos vorsitzenden Kevin Kühnert wegen ein paar erfrischend unzeitgemäßen Sätzen allen Ernstes mit Donald Trump gleichzusetzen. Ist in Bezug auf intellektuelle Fallhöhe bzw. deren Mangel in etwa dieselbe Liga. Im Moment scheinen zwei große Wettrennen im Gange zu sein: Das um die schnellste Distanzierung vom dunkelroten Kevin, das vor allem innerhalb der SPD und bei den Grünen stattfindet. Und das um die bildungsfernste öffentliche Reaktion. Momentan in Führung: Da will wohl einer die DDR zurück, wie? Wir wissen ja alle, wie das geendet hat!

Dienstag, 30. April 2019

Obst


Obst ist angeblich gesund. An apple a day keeps the Doctor away, weiß der Angelsachse (alternativ: Have an apple a day and see the Doctor anyway). Egal, schmecken tut‘s jedenfalls. Meistens. Vielen aber scheint nicht immer klar zu sein, dass man sich auch sehr schön selbst zum Obst machen kann. Was der folgenden Szenerie einen gewissen Charme verleiht, wie ich finde:

Sonntag, 28. April 2019

Neu gegen Alt


Mit dem Print-Journalismus verhält es sich im Prinzip nicht viel anders als mit dem stationären Einzelhandel, der Privatkundenbank oder dem Taxigewerbe: Allen ist irgendwie klar, dass da gerade was zu Ende geht. Dass es Kassiererinnen bald wohl nicht mehr geben, das Bargeld an Bedeutung verlieren wird. Und dass die gute alte Kraftdroschke wie wir sie kennen noch während der Lebenszeit meiner Post-Babyboomer-Generation, von Nischen einmal abgesehen, wohl auch verschwinden wird. Selbst wenn es gelingt, Fahrdienste wie uber per Gesetz einzudämmen, spätestens wenn das autonome Fahren kommt, wird sich das erledigen. Wie gesagt, allen scheint es irgendwie klar zu sein, aber richtig wahrhaben will man es noch nicht. Man glaubt, sich mit Durchlavieren retten zu können. Und macht damit alles noch schlimmer.

Donnerstag, 25. April 2019

Sex. Rock 'n' Roll. Deadly Sins


Und ich habe es wieder getan. All you can eat-Buffett beim Chinesen. Fast immer, wenn ich ein paar Tage frei habe, lande ich an einem Mittag in so einem Überfresstempel. In die Vitrine gekübelter Wareneinsatz. Fressorgie mit Ansage. Alles, was fettig und ungesund ist. Und sollte sich doch etwas Gesundes dorthin verirren, dann wird ihm das Gesundsein mittels Backteig und Fritteuse sofort gnadenlos ausgetrieben. Abgesehen vom guten alten Mettbrötchen "gibt [es] nichts Vergleichbares, mit dem man so einfach und symbolisch perfekt sämtlichen Gesundheitsgurus in den Arsch treten kann." (Maik Söhler) Wenn Essen der Sex des fortschreitenden Alters ist, dann ist das China-Buffett das Rauchen des Ex-Rauchers.

Mittwoch, 24. April 2019

Schmähkritik des Tages (27)


Heute: Stefan Gärtner über Akademisches für Kinder

"Im Buchladen ist Satire jetzt tatsächlich in die Realität gewandert: »Allgemeine Relativitätstheorie für Babys«, ein Pappbilderbuch »ab 2 Jahren«, darin etwa ein von einem schweren Objekt gekrümmtes Raumzeitgitter, und wenn ich schreibe: Das ist kein Witz, dann stimmt das nur zur Hälfte. »Allgemeine Relativitätstheorie für Babys ist eine heitere und verständliche Hinführung zu Albert Einsteins berühmtester Theorie. […] Auf unnachahmlich leichte Weise und stets mit einem Augenzwinkern schafft es der Quantenphysiker und Familienvater Chris Ferrie, Kinder und Erwachsene gleichermaßen zu inspirieren. Die Bücher der Baby-Universität sind der einfachste Weg, um schon unsere Jüngsten für die Wunder der Wissenschaft zu begeistern.« [...]