Mittwoch, 11. September 2024

Wahre Worte (77)


Heute: Nils Minkmar über Journalismus und Alltag

"Aus Gründen [...] habe ich in den letzten Wochen viel Zeit als Besucher in einer Berliner Klinik verbracht. Diese Welt war mir neu, ich kam nur mit meinen persönlichen Vorurteilen. Und mit zig gelesenen Artikeln und betrachteten Dokus im Kopf, die natürlich die anprangerungswürdigen Ausnahmen beleuchten, nicht den Alltag. Meine Vorbehalte über Apparatemedizin und Massenbetrieb lösten sich rasch auf. [...]

Docs und Pflegekräfte sind mal biodeutsch, mal nicht -- genau wie ihre PatientInnen. Die ermüdende Frage, wer woher kommt, spielt in der Klinik keine Rolle. Ich nahm einige Mahlzeiten zwischen den Beschäftigten ein und hörte normale Arbeitsplatzwitze, aber nichts von dem dauernden Untergangsgeheule rechter oder auch betont linker Medien. Mein Eindruck war, dass die Leute ihren Job gut und gerne machen und mit ihrem Leben zufrieden sind. Vielleicht ist es an vielen Stellen im Land so -- aber als Journalist kann man das nicht abbilden. Man würde sofort der naiven Affirmation bezichtigt und verdächtigt, die wahren Probleme der Menschen zu ignorieren. Oder die Sorgen, die noch kommen. Oder die Nöte der anderen. Dabei sind dauernde Angst und die Verkennung, dessen, was in Europa gut ist, wirksame Treibstoffe für die Höckes und Wagenknechts dieser Republik." (Der siebte Tag, 08. September 2024)

Samstag, 7. September 2024

Made in Germany


"Die Migration wirft Probleme auf, sie ist hier aber nicht das entscheidende Problem. Die Islamisten werden sich ermutigt fühlen, dass ein Volk über Nacht durch einen Täter in völlige Unruhe geraten ist. Sie werden das wiederholen. Es muss ja gar kein Migrant sein. Die Islamisten könnten auch einfach jemanden herschicken." (Gerhart Baum)

Das Widerlichste an der kurrenten Migrations'debatte' ist ja, dass 90 Prozent der Politik sich offenbar entschieden haben, sich von "der Partei, die an Naziideologie anknüpft" (Baum, ebd.) am Nasenring durch die Arena schleifen und jegliche Humanität fahren zu lassen (in der Hoffnung, die Partei verschwände dann wieder), und es nur mehr darum geht, wie man Zuwanderern das Leben am nachhaltigsten zur Hölle machen kann. Dass Gevatter Migrant, vorzugsweise in seiner gefährlichsten Form als 'unkontrollierter Massenmigrant' an allem schuld ist, hat natürlich auch den Vorteil, dass man nicht auf Migrationsprobleme Made in Germany gucken muss. Eine kleine Auswahl:

Dienstag, 3. September 2024

Elf Thesen zu Sonntag


"Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser Auftrag." (Präambel des TITANIC-Impressums)

92 Jahre nachdem im 'NS-Mustergau' Thüringen zum ersten Mal eine Landesregierung von der NSDAP angeführt wurde und auf den Tag genau 85 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen ist zum ersten Mal seit 1945 eine rechtsextreme Partei in einem deutschen Parlament stärkste Fraktion geworden. Obwohl dieses Ergebnis keineswegs aus heiterem Himmel kam, ist das definitiv eine echte Zäsur. Auf gar keinen Fall aber ist das ein 'Rechtsruck', wie jetzt allenthalben behauptet wird. Da hat weder was geruckt noch ist da was überraschend gekommen. Es ist exakt das passiert, was sich seit vielen Jahren abzeichnete und womit seit langem zu rechnen war.

Sonntag, 1. September 2024

Vermischtes und Zeugs (LXXXIX)


In meiner bescheidenen Heimatstadt hat die Polizei die Tage einen Mann erschossen, der in einem Mehrfamilienhaus bei einem Streit mit einem Messer herumgefuchtelt hat. In Siegen wurden bei einem Messerangriff in einem Linienbus drei Menschen verletzt. Wir sollten unbedingt das Asylrecht noch weiter verschärfen, dann sind wir bestimmt sicher vor diesen Messermännern. Ach, der getötete Randalierer war Deutscher? Und die Täterin von Siegen ebenfalls Deutsche und eine Frau? Egal, nicht so wichtig. Passiert nun mal. Geht ja nicht um Sicherheit, sondern darum, Rassismus anzuheizen.

Donnerstag, 29. August 2024

Re: Messerstecher


Auf der Schönholzer Heide, / Da jab's 'ne Keilerei
Und Bolle, jar nich' feige, / War mittenmang dabei.
Hat's Messer rausgezogen / Und fünfe massakriert.
Aber dennoch hat sich Bolle / Janz köstlich amüsiert.
(Volksweise)


Auch wenn man Gewalt tendenziell ablehnt, sollte man wissen, wovon man redet. Noch mehr sollte man das, wenn man Gewalt rundheraus befürwortet, wenn nicht gar einfordert. Nach den teils tödlichen Messerangriffen der letzten Zeit häufen sich ja Forderungen wie die Polizei müsse härter durchgreifen, Messerangreifer "einfach wegballern", ihnen "einfach mal, zack, ins Bein schießen". Oder man hört Äußerungen wie: "Ich besorg mir jetzt nen Waffenschein und eine Knarre!", und so weiter. Dass das alles nicht so einfach ist, sieht man an diesem Video (Dank an fefe) der Deutschen Polizeigewerkschaft*.

Dienstag, 27. August 2024

Fakten, Angst, Humor


Man kann nur mehr schlecht umhin, der AfD zu gratulieren, wenn auch widerstrebend. Sie schafft es inzwischen locker, Politik und Medien nach Belieben vor sich herzutreiben, ihre Rhetorik dominiert den politischen Diskurs. Alle Parteien, mit Ausnahme der so gut wie irrelevanten Linken, sind mangels Rückgrat, aus taktischem Kalkül oder aus Angst vor dem Pöbel größtenteils bereit, "unkontrollierte Migration" als Problem Nummer eins und deren weitestgehende Begrenzung als wichtigste Aufgabe auszugeben.

Sonntag, 25. August 2024

Jenseits der Blogroll - 08/2024


Zu dem Schrecklichen, das vorgestern in Solingen geschehen ist, habe ich bereits 2016 das gesagt, was ich zu sagen habe. Mehr muss nicht. Zu glauben, Rechte und Nazis hätten da irgendwelche Lösungen anzubieten, ist gaga. Rechte können nicht als hetzen, Stimmung machen, utopische Forderungen stellen ("Grenzen dicht!", "Alle abschieben!!!") und schlimmstenfalls Mobs aufstacheln, deren Gewalt im Zweifel Unschuldige trifft. Es bleibt dabei: Solange man sich halbwegs darauf einigen kann, dass ein totales Kontrollregime a'la China, flächendeckende Kameraüberwachung und/oder ein kompletter Polizeistaat keine gangbaren Alternativen sind, wird ein Restrisiko bleiben. Leider.

Donnerstag, 22. August 2024

Vermischtes und Zeugs (LXXXVIII)


Dass grotesk klotzige Autokarikaturen wie der 'RAM 1500' auch hierzulande immer mehr in Mode kommen, finde ich komplett nachvollziehbar. Ich meine, hey, jetzt, da noch der letzte Rentner so eine SUFF-Kalesche fährt, muss man der Welt eben irgendwie anders mitteilen, dass man es gewaltig nötig hat. Letztes Jahr sah ich auf der A 9 bei Ingolstadt solch einen Kinderkiller, dessen Halter noch in Frakturschrift "FUCK YOU, GRETA!" auf die Heckklappe foliert hatte. Die Konföderiertenflaggen und das sächsische Kennzeichen rundeten den Gesamteindruck für mich stimmig ab. Nicht, dass ich Vorurteile habe...

Montag, 19. August 2024

Sommerloch: Parfum und Pahfühm


Es gibt zwei Arten von Duftwässerchen, beziehungsweise zwei Arten, welches zu tragen: Einmal Parfum, vornehm französisch ausgesprochen, und dann noch die breitdeutsch gesprochene Variante, das Pahfühm. Obwohl ich mir selbst nicht viel daraus mache, weiß ich ein gutes, im richtigen Maße appliziertes Parfum zu schätzen. Auch gegen ein dezent riechendes After Shave ist nichts zu sagen. Die Betonung aber liegt auf: Dezent. Eine Pest ist es nämlich, wenn vor allem Männer sich Pahfühm draufklatschen wie nicht gescheit. Wo immer so ein Stinkmorchel aufkreuzt, wird im Umkreis von zehn Metern Nasenschleimhaut zu Hornhaut, trüben sich die Linsen im Auge und die Milch wird sauer. Schwer geschlagen, wem ein ungnädiges Schicksal einen reservierten Platz im vollbesetzten Zug oder Flugzeug neben so einer Gasgranate beschert. Ein verstorbener Verwandter von mir, der sein Berufsleben im Bergbau zugebracht hatte, pflegte immer zu sagen: "Weißte Junge, der Gestank iss ja nich dat Schlimme. Dat Schlimme iss dat Brennen inne Augen."

Samstag, 17. August 2024

Auf Reisen (14)


Corvey

Die 840 gegründete Abtei Corvey bei Höxter war eine der reichsten Abteien im Heiligen Römischen Reich und der Abt gehörte zu den Reichsfürsten. Das karolingische Westwerk der Abteikirche hat die Zeiten weitgehend im Originalzustand von 870 überdauert. Der Innenraum und die Kaiserkirche im Obergeschoss wirken nicht besonders spektakulär, aber man sollte sich vorstellen, dass im 9. Jahrhundert die allerwenigsten Menschen in dieser frisch zwangschristianisierten Gegend, in der es, anders als hinter dem ehemaligen Limes, keinerlei römische Bauwerke gab, jemals in ihrem Leben einen Steinbau gesehen haben, erst recht keinen mehrgeschossigen. Denen muss diese Kirche wie das achte Weltwunder vorgekommen sein.