Montag, 2. März 2020

Terror in Sinsheim


Immer wieder faszinierend, was so alles eine Geld- und Klassenfrage ist. Obwohl das natürlich nicht wirklich überrascht. Nehmen wir das Skandälchen vom Wochenende, als in der Prezero-Arena Spruchbänder entrollt wurden mit persönlichen Schmähungen gegen den milliardenschweren TSG-Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp. Der gilt, seit er 2008 darangegangen war, die Sinsheimer Kickercombo TSG 1899 Hoffenheim mit massiven Investitionen in die Bundesliga zu hieven, als Gottseibeiuns aller traditionsbewussten Fans (auch jener, deren Objekte ihrer Liebe längst Kapitalgesellschaften sind), als Symbolfigur für die Kommerzialisierung des Fußballs.

Das Lustige ist nun, dass es nicht Fans eines Clubs waren, zu dessen Selbstverständnis und Geschäftsmodell es gehört, folkloristisch ein kapitalismuskritisches Underdog-Image zu pflegen wie zum Beispiel FC Union Berlin oder FC St. Pauli, sondern dass es Fans des FC Bayern München waren, die sich da echauffiert haben. Mehr Ironie geht kaum: Ausgerechnet Fans jenes Vereins, der die Liga seit Jahrzehnten systematisch bis zur Halskrause zuscheißt mit seinem Festgeldkonto, protestieren gegen die Kommerzialisierung des Fußballs. Merken die noch was?

Man muss aber weiß Gott kein Fan von Hopp sein oder sein Mäzenatentum irgendwie gutheißen, wenn man ihn gegen offensichtliche Idiotie in Schutz nimmt.

In Deutschland herrscht immer noch ein romantisches, nach alter Umkleidekabine müffelndes Verständnis von Vereinssport vor. Da ist diese bisweilen anrüchige Liebe zu angeblich Urwüchsigem und 'natürlich' Gewachsenem. Ein tiefsitzendes Misstrauen gegen jedweden 'Kommerz' und professionelle Strukturen. In den Augen vieler Fans dürfen nur Vereine auf Gnade hoffen, die vor mindestens 100 Jahren als rein ehrenamtliche Bierbolzerveranstaltungen angefangen haben und von korrupten, unfähigen Vereinsmeiern über Jahrzehnte haarscharf an der Pleite vorbeigestümpert wurden. Und deshalb werden 'Kunstvereine' wie Bayer Leverkusen so misstrauisch beäugt wie eine McDonald’s-Filiale neben einer Waldorfschule.

Warum? Rational ist das kaum zu erklären. Gern heißt es, Geld schieße keine Tore, es entseelte den Fußball. Schießen dann Seele, Tradition, Romantik und andere Gefühlsduseleien vielleicht mehr Tore? Wäre das so, jede Wette, die Premier League versänke Woche für Woche in einem Meer aus Tränen und Nächstenliebe. (Übrigens: Das Champions League-Finale 2002 zwischen der 'Millionärstruppe' Real Madrid und dem 'Retortenclub' Bayer Leverkusen in Glasgow war eines der besten aller Zeiten.)

Tradition ist ja nichts per se schlechtes. Sie wird es aber, wenn sie zum alleinigen Ausschlusskriterium gemacht wird. Was muss man tun als Fußballclub, um vor den Traditionsdödeln auf den Stehplätzen bestehen zu können? Darf man vor 150 Jahren von einem reichen Mäzen gegründet worden sein? Was, wenn sich ein paar reichgewordene IT-Nerds zusammentun und sagen: Wir fangen bei Null an, akquirieren Investoren und Sponsoren, machen Crowdfunding-Kampagnen für ein modernes Fußball-Startup und schauen mal, wie weit wir damit kommen? Ist das erlaubt? Wenn nein, wieso nicht? Weil nicht 'Verein' draufsteht wie bei anderen millionenschweren Fußballunternehmungen? Weil's zu neu ist? Oder unromantisch?

Wer den Kommerz aus dem heutigen Fußball entfernen will, muss auch gewillt sein, am Kapitalismus zu rütteln, anders geht es nicht. Der kluge Ewald Lienen wusste schon als Jungspund, wo der Hase langläuft. Fußball ist so wie er ist, auch so kommerziell, d.h. gewinnträchtig, weil er eine ganz bestimmte Rolle spielt im herrschenden System:

"In meiner Sturm- und Drangzeit als Revoluzzer hätte ich gesagt, das ist geplant vom System. Fußballspieler hoch zu bezahlen, um das Volk zu unterhalten nach altem römischen Vorbild, panem et circenses, Brot und Spiele, damit es nicht auf die Idee kommt, an den Geschehnissen etwas zu verändern. […] Abgesehen davon, dass der Fußballer dafür sorgt, dass sich die Revolution noch ein bisschen dahinschleppt, gehören wir nicht zu denen, die 2008 die Welt ins Unglück stürzten." (Ewald Lienen)

Zurück zum Thema. Natürlich ist es nicht in Ordnung, einen Menschen öffentlich als Hurensohn zu bezeichnen, keine Frage, zumal das im Falle Hopps eine Falschbehauptung ist. 

"[…] Hopp ist der legitime Sohn eines SA-Truppführers, der die jüdischen Opfer seines Vaters finanziell unterstützte, was bei einem Mann, dessen Vermögen auf über 10 Milliarden geschätzt wird, als Investition in Reputation betrachtet werden kann. Hopp ist vor allem deshalb bei den Fans unbeliebt, weil er den in der Tat völlig überflüssigen Verein Hoffenheim mit seinem Geld aus dem Boden gestampft hat, ein Kunstprodukt mit Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Vereinen, die keinen oder nur windige Mäzene haben oder an ihrer eigenen Unfähigkeit zugrunde gehen." (Klaus Bittermann)

Nur sollte man schon den Kontext sehen. Wieso nimmt Hopp, der den Fußball so sehr liebt, dass er sich quasi als Hobby einen eigenen Club hält, so hartnäckig nicht zur Kenntnis, dass derbe, teils vulgäre Schmähungen von den Tribünen Teil der Fankultur und daher in gewissem Maße hinzunehmen sind? Sagen wir so: Wenn jedes Mal, wenn irgendwo ein Schiedsrichter oder ein gegnerischer Torwart als 'Hurensohn' beschimpft wird, gleich das Spiel abgebrochen würde, könnte die DFL den Spielbetrieb komplett einstellen. (Übrigens: Denkt eigentlich auch jemand an Minderjährige im Stadion, die durch böse Wörter nachhaltig traumatisiert werden könnten?)

Vollends gaga wurde es, als Deutschlands Meistverkaufte sich nicht entblödete, die unschönen Szenen in der Hoffenheimer Arena auf eine Stufe zu stellen mit dem Anschlag in Hanau. Obwohl Rassismus schon ein prima Stichwort ist. Warum werden Spiele nicht unterbrochen, wenn ein dunkelhäutiger Spieler fortwährend rassistisch beleidigt wird? So wie vor drei Wochen der in Chemnitz geborene, für Hertha BSC kickende deutsche Staatsbürger Jordan Torunarigha, der beim DFB-Pokalspiel von Schalker Fans mit Affenlauten verhöhnt wurde? Als der sich völlig zu recht darüber ärgerte, sah er Gelb-Rot und flog vom Platz.

Obwohl der Vergleich vielleicht ein wenig hinkt (die Laute sollen nicht überall zu hören gewesen sein), stellt sich die Frage, wie ist da das Vorgehen ist, was die Kriterien sind. Bekommt ein beleidigter Milliardär aus Rücksicht auf seine verwundete Seele eine Spielunterbrechung (und werden alle Fans der Gastmannschaft mit einer Kollektivstrafe belegt, obwohl der DFB die eigentlich nicht mehr verhängen wollte), während ein beleidigter schwarzer Millionär sich gefälligst nicht so anstellen soll und noch eine Gelbe kassiert? Wie ist das bei hellhäutigen Spielern, die beleidigt werden? Oder entscheidet da nur der Kontostand? Dann wären wir wieder am Anfang.




8 Kommentare :

  1. Waren Hopp oder Rummenigge eigentlich schon mal in den sozialen Medien unterwegs? Da ist "HuSo" eine gängige Begrüßungsformel wie früher auf dem Schulhof.

    Nebenbei: Wie bekommt man diese riesigen Plakate eigentlich ins Stadion? Das kann nicht unbemerkt geschehen. Es gäbe für die Vereine also die Möglichkeit, präventiv gegen solche Beleidigungen vorzugehen.

    Dann bleibt nur noch der gute alte Sprechchor: STE-FAN RO-SE HU- ... Nicht auszudenken. Zwinkersmiley,

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    1. Och, die zweite Frage ist leicht beantwortet: Die Ultras sind ja eigentlich gern gesehen bei den Vereinen, weil sie die Stimmung machen. Also kooperieren Vereine mit solchen Gruppen. M.W.n. haben viele im Stadion eigene Lagerräume, um die Untensilien für ihre Choreos zu lagern. Da lässt sich unter der Woche so einiges unterjubeln...
      Wie das bei Auswärtsspielen läuft - keine Ahnung.

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  2. War nicht Bayern München die erste AG der inländischen Fussballwelt?

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    1. Jep. FC Bayern München AG: seit 2001, Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA: seit 1999.

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  3. Bitte.... da muss man schon etwas mehr differenzieren. Da ich mich ein wenig in der Szene auskenne, noch ein paar Hintergrundinfos: Bei den Bayern-Fans handelt es sich um die Schickeria, eine der stärksten und angesehensten Ultra-Gruppierungen überhaupt. Die stellen sozusagen die außerparlamentarische Opposition dar: Die sind links, Antirassistisch und pro LGBTI und z.B. die Einzigen, die gegen das alljährliche Trainingslager der Bayern in Katar protestieren und haben mit den normalen Bayern - Erfolgsfans maximal nichts zu tun.
    Und das gilt auch sonst oft. Beim 1. FC Köln (wo ich zu Hause bin) gab es früher durchaus ein Naziproblem und rassistische, sexistische und homophobe Schmähungen waren an der Tagesordnung. Die durchaus berüchtigten Ultras (Wilde Horde) haben damit aufgeräumt und das ganze Gesocks von der Südtribüne vertrieben. Heute stehen da auch viele Frauen und es gibt einen kopfstarken schwulen FC Fanclub und auch soziales Engagement außerhalb vom Fußball (für Flüchtlinge und Obdachlose z.B.)

    Also bitte nicht den durch und durch kapitalistischen Profifußball mit der Fankultur zusammen mixen. Das ist eine eigene Subkultur, die sich völlig zu recht durch Hopp, Bayer, Red Bull etc. massiv bedroht sieht. Das abschreckende Beispiel ist England. Die (proletarische) Fankultur, die einst das Maß aller Dinge war (leider auch bei der Gewalt), ist vollkommen vernichtet worden und es ist ein schlimmes Erlebnis, heute in ein englisches Stadion zu gehen. Wenn man denn noch erlebt hat, wie es mal gewesen ist.

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    1. Das mit der Schickeria und ihren hehren Zielen will ich ja gern glauben. Ich halte es eben nur für ziemlichen Kokolores, sich als Anhänger eines millionenschweren Clubs mit Champions League-Abo bloß an der Person Dietmar Hopp abzuarbeiten, der letztlich nur das sichtbarste Symptom einer jahrzehntelangen (Fehl-) Entwicklung ist. Hat was von Ablasshandel.

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  4. Kopfstarker schwuler Fanclub klingt fast wie anno dazumal die Werbung für FAZ-Kondome. Profifußball ist Business und zwar Eines, mit der Ökobilanz von Milliarden von Gießereien, würden die G. noch so produzieren, wie anno 1920. Unvergessen noch der Einzelspieler der seinen Learjet im Ärmelkanal kürzlich versenkte. Darauf kommt nicht mal ein Satiriker. Naziproblem? Wann gab es das denn im Fußball bitte nicht? 1950? 1810? Früher haben die Gasfanfaren wenigsten das unsägliche Gesabbel der Kommentatoren gekillt. Heute ist nicht mal das drin. Ach so, Majestätsbeleidigung, da war ja was... Inzwischen gibt es den Paragraphen auch nicht mehr. Das hat wohl Gründe. Fußball ist keine Subkultur. Disco war auch keine Subkultur, auch wenn sie mancher gerne dazu gemacht hätte. Stinknormales Business! Der Unterschied ist nicht das Wie, sondern dass Produkt. Der Rest ist gleich.

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  5. Dieter Hopp ist dieser SAP-Milliardär, der hier die Gegend u. A. mit hässlichen Sport­are­nen-UFOs vollstellt. Die „SAP-Arena“ fällt dabei noch in der Nach­bar­schaft zum mann­heimer Rangier­bahnhof durch ex­or­bi­tan­te Häss­lich­keit und Licht­ver­schmutzung auf. Glücklicherweise weigerte sich Hans-Peter Wild, ihm ein Grund­stück in HD/Eppelheim zu verkaufen, sonst stünde jetzt hier an der A5 nicht mehr dessen Capri-Sonne-We-create-great-taste-Werbung, sondern das womöglich noch grauen­haftere Monstrum, das Hopp dann bei Sins­heim auf den Acker stellen ließ.

    Nur mal so als Illustration, was hier wirklich überflüssig bis schädlich wirkt.

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